Krimi | Deutschland 2005 | 90 Minuten

Regie: Michael Kupczyk

Ein junger Gelegenheitsganove in der Dortmunder "Nordstadt", einem sozialen Brennpunkt und Zentrum für Kriminalität, wird auf Bewährung aus der Haft entlassen. Sein Bemühen um ein normales Alltagsleben droht an seinen Wünschen und Ansprüchen zu scheitern. Er gerät in die Abhängigkeit eines Verbrecherbosses und in eine scheinbar aussichtlose Situation. Mit geringem Budget produzierter Hochschulabschlussfilm mit viel Gespür für erzählerischen Rhythmus sowie die beklemmende Entwicklung der Eskalation, die in eine sympathische Utopie um Solidarität, Freundschaft und Liebe mündet. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Film und Fernsehen
Regie
Michael Kupczyk
Buch
Michael Kupczyk · Nadine Neuneier
Kamera
Nadine Neuneier
Musik
Markus Mayersieck
Schnitt
Michael Kupczyk
Darsteller
Jörg Pohl (Maik) · Anke Rähm (Melanie) · Vladimira Alec (Tanja) · Jörg Reimers (Karl) · Samira Bagdad (Jessy)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi | Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Schröder Media (16:9/Dolby Digital 2.0)
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Diskussion
Fast hätte es ja geklappt. Doch als Gelegenheitsganove Maik Borsitzy die Streife getäuscht zu haben glaubt und die Tankstelle, in die er in der Nacht eingebrochen ist, durch den Hinterausgang verlassen will, rennt er einem Polizisten genau in die Arme. Maik wandert in den Knast. Mit einer gewissen Härte und Aufsässigkeit, die man dem äußerlich eher sanft erscheinenden jungen Mann auf den ersten Blick nicht unbedingt zutraut, fügt er sich ein und lebt den Gefängnisalltag – bis zu dem Tag, an dem er vorzeitig auf Bewährung entlassen wird. Was er von drinnen mitnimmt, ist viel Optimismus und einen Zettel für den Notfall: eine Adresse für ein „sicheres Einkommen“, wie der Mitgefangene versichert. Was Maik draußen erwartet, ist frustrierend und mit den aufmunternden Worten seiner Bewährungshelferin allein kaum zu bewältigen. Ex-Freundin Melanie, mit der er eine Tochter hat, ist mit jemand anderem zusammen, mit Ulf, einem beruflichen Aufsteiger mit Perspektive auf Karriere in Berlin; die alkoholkranke Mutter liegt im Krankenhaus, und mit der erhofften Arbeit in der Autowerkstatt, in der sein Freund Hassan angestellt ist, wird es auch nichts; was bleibt, sind einsame Nächte vor dem Fernseher auf Mutters Wohnzimmersofa, ein mieser Job in einer Fleischerei, wenige Begegnungen mit Tochter Jessy. Vorbestraft, keine Ausbildung, keine Perspektiven – das „Du schaffst das schon“ der anderen klingt bald wie Hohn in Maiks Ohren. Alltagsnormalität und Zufriedenheit sind unerreichbare Trugbilder. So entscheidet er sich, den Zettel zu nutzen. Er heuert bei einem dubiosen Gangsterboss an – und gerät in einen fatalen Teufelskreis aus Kriminalität, Gewalt und Abhängigkeit, aus dem es schon bald kein Entkommen mehr zu geben scheint. Die Schlinge um seinen Hals zieht sich immer enger. Manchmal ist „Nordstadt“ ein handfester, rasanter, durchaus harter Krimi mit allen dafür notwendigen Zutaten: nächtliche Verfolgungsjagden, Einbrüche und Schlägereien. Einmal steht Maik, der sich selbst immer tiefer hineinreitet, neben Hassan und spielt, mit einer Pistole in der Hand, Robert De Niros berühmten Monolog aus „Taxi Driver“ (fd 19 983) nach – worauf Hassan entnervt ausrastet, um Maik auf den Boden der Wirklichkeit zurückzuholen. In solchen und vielen anderen Momenten öffnet sich die Genrefolie und gibt den Blick auf die Menschen dahinter frei, auf ihre Frustrationen und Verzweiflung, ihre unerfüllten Wünsche auf ein normales, angenehmes Leben. „Nordstadt“ spielt in Dortmund, in einem Stadtteil, der als sozialer Brennpunkt und Zentrum für Kriminalität gilt. Das prägt den Film, freilich eher unterschwellig und ohne dass er zur trockenen Sozialstudie würde; dafür ist er zu sehr dem Kino und dem Geschichtenerzählen verbunden. Deutlich spürt man hier den Einfluss von Adolf Winkelmann, der nicht nur selbst wunderbar entspannte, dabei punktgenaue Ruhrgebietsgeschichten inszeniert, sondern auch als Leiter des Fachbereichs Film und Fernsehen an der Fachhochschule Dortmund unterrichtet – „Nordstadt“ ist Michael Kupczyks Abschlussarbeit seines dortigen Studiums. Mögen dem Film aus den daraus resultierenden wirtschaftlichen Engpässen formale Grenzen gesetzt sein, so fesselt er in vielen Momenten durch seine Vitalität, einige detailreiche visuelle Finessen und vor allem durch einen souverän entwickelten narrativen Rhythmus. Zwischen fatalem Stillstand und Glück verheißender Bewegung, Tristesse und lakonischem Humor, Stimmungsbild und Realitätssinn entwickelt sich eine kleine, aber feine Geschichte mit viel Gespür für die beklemmende Entwicklung der Eskalation, die sich am Ende in fast schon märchenhafter Utopie auflöst: dem wahr gewordenen Traum von tragfähiger Solidarität, Freundschaft und Liebe. Die Ausgelassenheit dieses sympathischen Finales trägt noch in den Nachspann, den man nicht auslassen sollte, spiegelt er doch noch einmal pointiert die Fabulierfreudigkeit des Films.
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