Die Vogelpredigt oder Das Schreien der Mönche

Road Movie | Schweiz/Italien 2004 | 88 Minuten

Regie: Clemens Klopfenstein

Das Dilemma des unterforderten und überförderten Schweizer Films als Thema eines Road Movie, in dessen Verlauf zwei Darsteller und ein einschlägig vorbelasteter Regisseur Bilanz ziehen und sich zugleich mit der eigenen Arbeit auseinandersetzen. Clemens Klopfenstein gelang eine eigenwillig-hintersinnige, mitunter höchst komische Reflexion über Kunst und Kommerz, die sich aufmerksamen Zuschauern als wahres Füllhorn kluger Gedanken zu erkennen gibt. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DIE VOGELPREDIGT ODER DAS SCHREIEN DER MÖNCHE
Produktionsland
Schweiz/Italien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Ombra-Films
Regie
Clemens Klopfenstein
Buch
Clemens Klopfenstein
Kamera
Clemens Klopfenstein
Musik
Ben Jeger · Polo Hofer und die Schmetterband
Schnitt
Remo Legnazzi · Lorenz Klopfenstein
Darsteller
Polo Hofer · Max Rüdlinger · Sabine Timoteo · Mathias Gnädinger · Lukas Klopfenstein
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Road Movie
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Diskussion
Zwei Männer, Polo und Max, suchen ihren Meister. Doch der hat sich schon vor geraumer Zeit nach Umbrien zurückgezogen, und deswegen muss man „über den Berg“. Zunächst leistet das Auto zweckdienliche Hilfe, auch wenn Polo nervt, weil der Tonmeister mal wieder seine neue CD verhunzt hat und er ständig mitsingt. Max nervt zurück, indem er ohne Unterlass seine Vision des großen Schweizer Films verkündet, der, natürlich, in Afrika spielen müsse, „Action pur“ bieten sollte, zudem ein gerüttelt Maß an Exotik und Erotik und, unabdingbar, Komik. Es ist der Traum vom perfekten Film, den Max träumt, und er weiß, wer diesen Traum erfüllen könnte: Meister Clemens. Nicht weil Clemens unbedingt ein begnadeter Regisseur wäre, sondern weil niemand so gut (Förder-)Formulare ausfüllen kann – ein begnadeter Ausfüller also. Vor die Begegnung mit St. Clemente haben nicht nur die Film-Götter den Schweiß gesetzt. Bald geht es zu Fuß über Stock und Stein, unter sengender Sonne durch Geröllhalden. Kneipen mit zwielichtigen Typen sind ebenso zu meistern wie Begegnungen mit gefährlichen Frauen. Und dann auch noch dieses merkwürdige Kloster, in dem man zwar die Blessuren versorgen kann, wo sich aber ein dicker Mönch mit kryptischen Texten abmüht und irgendetwas von Kirche, dem Blut Jesu und vom Kapital faselt, das vernichtet werden muss – oder muss es verdichtet werden? Eine blau gewandete Madonna in Pietà-Pose redet derweil auf ihren toten Sohn ein, dem sie im besten Schweizer-Deutsch deklariert: „Der Vater ist komisch, der meldet sich nicht.“ Doch auch diese merkwürdige Laienspielschar lässt sich überwinden, und mit der Bus-Bird-Tour wird die letzte Wegstrecke zurückgelegt, die zu einer sehr weißen Straße führt. An deren Ende wohnt Clemens, der sehr traurig aussieht, „fast wie Saddam nach fünf Wochen im Erdloch“. Und dem wollen Max und Polo jetzt ihren Plan vom großen Film unterbreiten, der nach einigen Schnäpsen „Wo Elefanten tanzen, leidet das Gras“ heißen könnte. Doch Clemens hat in den letzten vier Jahren seine ganze Arbeitskraft in einen Film über Kirche, Klöster, Kapitalismus und Konsumismus gesteckt, versucht, einen Augustinus-Text publikumswirksam zu gestalten, und sucht noch nach einem Darsteller des Franz von Assisi, ist also für diesseitige Filmprojekte wenig ansprechbar. Er will seine Arbeit transformieren, weg vom Film, der nicht mehr ist als „Witze erzählen“, und hat mit dem Schweizer Schauspieler-Urgestein Mathias Gnädiger und dem Ex-Weltstar Ursula Andress auch schon gewichtige Darsteller für seine Idee gewinnen können. Die aber werden zusehends ungehaltener, da der Meister mit seinen kaum verständlichen Texten ins Hintertreffen geraten ist und der blutjunge Jesus-Darsteller gelangweilt neben seiner Mutter steht und lieber Fußball spielen möchte. Trotz Polos und Max’ Einflüsterungen ist der Regisseur nicht gewillt, seine Pläne zu revidieren. Lieber opfert er die Gans Bruno für ein Abendessen mit Freunden, die er anderntags für die Rolle des Franz casten will; wobei Polo wegen der ausgeprägten Tränensäcke eher schlechte Karten hat. Für die Probeaufnahmen wird ein Pappbaum auf einer Waldlichtung aufgestellt, wegen der Atmosphäre wird ein gerüttelt Maß an Plastikkrähen drapiert, die „Türsteher“ vor unseren Bäckereien, dann legen sich die erzwungenen Möchtegern-Darsteller ins Zeug. Clemens ist recht angetan, doch dann will Polo mehr „Drive“ in die Vogelpredigt bringen, da Demenz (!) Klopfenstein ja nichts kann und nicht weiß, wie der Hase im Filmgeschäft laufen sollte. Clemens verlässt verstimmt den Ort des Geschehens und hat seine ganz eigene Begegnung der dritten Art, die in bester „Blair Witch“-Manier auf seiner HV-Kamera aufgezeichnet wird und die Freunde kurzfristig das Fürchten lehrt. Etwa zur Mitte des Films hat man erfahren, dass Filmemachen nicht mehr ist als Witze erzählen. Wenn dies stimmt, dann hat Clemens Klopfenstein mit seiner „Vogelpredigt“ eine Reihe prächtiger Witze aneinandergereiht und sorgt für ein herrliches Filmerlebnis ohne Action und frei von Stammtischniveau. Voller Selbstironie schwadroniert er über das Filmemachen in der Schweiz, spickt seinen Film mit Selbstreflexionen, die bereits im Titel ihren Anfang nehmen und sich über die Besetzung mit Stammschauspielern fortsetzen – Schauspieler Max Rüdlinger und Rock-Musiker Polo Hofer sind feste Größen in Klopfensteins Filmen. Schließlich erweist er der Gans Bruno, die in „WerAngstWolf“ (fd 34 317) die Hauptrolle spielte, seine Reverenz - und hat sich selbst ein Ende zugedacht, das die Angst vorm Wolf nur rechtfertigt. Hatte sich Klopfenstein in „Das Schweigen der Männer“ (1997) auf ironisch-spöttische Art mit der helvetischen Sexualität auseinandergesetzt und „seine“ Männer tatsächlich in die Wüste geschickt, greift er nun das viel wichtigere Thema des Schweizer Films auf und ringt dem scheinbar traurigen Kapitel eine durchaus heiter-nachdenklichen Seite ab. Alles an Klopfensteins Film ist Spaß, doch es ist auch der Spaß eines (vielleicht) traurigen Clowns, der ein wenig bitter geworden ist und sich dennoch die Freude nicht verderben lassen will. Vielleicht sind deshalb die Mönchskutten subventionierte Decken der Schweizer Armee, und vielleicht passt deshalb der Text mit den Vögeln so gut, die nicht sähen, nicht ernten und doch von Gott ernährt werden; und vielleicht haben Max und Polo wirklich recht und die Leistung ist gut, aber die Umwelt ist Scheiße. Ganz sicher sind sie sich da nicht, deswegen machen sie sich auf nach Portugal, wo ein finnischer Regisseur wohnt, den Max kennt. Wer weiß, was die Zukunft zu bieten hat.
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