Dumplings - Delikate Versuchung

- | Hongkong 2004 | 91 Minuten

Regie: Fruit Chan

Eine Ärztin aus dem Norden Chinas bekocht in einer verwahrlosten Gegend Hongkongs begüterte Frauen mit Teigtaschen, denen eine verjüngende Wirkung nachgesagt wird. Da sie sich im Zweitberuf auf illegale Abtreibungen spezialisiert hat, wird rasch deutlich, woher ihre Gerichte ihre Wirkung erzielen. Der verstörende und bitterböse, dabei überaus elegant, in Farbgebung und Kameraführung geradezu virtuos inszenierte Film treibt ein makabres Spiel mit Mythen und Vorstellungen. Dabei thematisiert er durchaus ernsthaft die trügerische Hoffnung auf ewige Jugend sowie die kulturellen und sozialen Gegensätze im heutigen China. (Die Kurzfilmfassung erschien auf DVD in der "Three ... Extremes".)
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Filmdaten

Originaltitel
GAUDZI
Produktionsland
Hongkong
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Applause Pic.
Regie
Fruit Chan
Buch
Lilian Lee
Kamera
Christopher Doyle
Musik
Chan Kwong-wing
Schnitt
Fruit Chan · Tin Sam-Fat · Chan Ki-hop
Darsteller
Bai Ling (Mei, die Köchin) · Miriam Yeung (Frau Li) · Tony Leung Ka Fai (Herr Li) · Pauline Lau (Masseurin) · Miki Yeung (Kate)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18; f
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Heimkino

Die Extras der Special Edition (2 DVDs) beinhalten u.a. die dem Langfilm zugrunde liegende Kurzfilmvariante des Films aus der Kompilation "Three... Extremes" (33 Min.).

Verleih DVD
e-m-s (16:9, 1.85:1, DD5.1 kanton./dt., dts dt.)
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Diskussion
Silbergraues Haar auf silbergrauem Kissen, weißes Bettzeug. Ein Mann mit weißem Gipsbein, eine Frau mit knallroter Jacke, die verführerisch vor ihm steht und es genießt, dass er sie anfassen möchte, aber es wegen seiner Behinderung nicht kann. Dann beugt sie sich ihm ein wenig entgegen, entzieht sich ihm wieder, gibt ihm das gewünschte Wasser direkt aus ihrem Mund – eine Geste verhaltener Zärtlichkeit und unverhohlener Erotik, die in Küsse übergeht und ins Lachen, das ihr Mann lange an seiner Frau Ching vermisste. Allein schon wegen solcher Momente müsste man Fruit Chans Film sehen. Denn die Bilder sind nicht nur erotisch, fein und genau komponiert, von höchster Eleganz. Eine Kamera, die nie ruhig steht, sucht die Räume ab, nimmt Fragmente und Ausschnitte auf. Indem sie durch Vorhänge oder Wände, hinter Teller, durch kochenden Sud blickt, nie direkt hinschaut, sondern hervorlugt, immer ein wenig aus der zentralperspektivischen Achse verschoben, wirkt sie wie der Blick eines Detektivs. Sie macht den Zuschauer zum Voyeur, streicht durch die Wohnung wie der Wind, der die Vorhänge und Kleidungsstücke bewegt. Vielleicht liegt es an dieser Kamera von Christopher Doyle, vielleicht an den beiden wunderbaren Hauptdarstellerinnen, vielleicht an den prächtigen Kleidern, die sie tragen, vielleicht an der Genauigkeit und dem Einfallsreichtum, mit dem jedes Bild in den Leitfarben Rot, Grün und Weiß durchkomponiert ist, dass man sich in einen Film von Wong Kar-wai versetzt fühlt. So ist „Dumplings“ ein Film, der Lust und Appetit macht – obwohl er zugleich die Ekelgrenze mehr als einmal überschreitet und schockierende Sujets mischt: Kannibalismus, Abtreibung, Alterung und die Sehnsucht nach ewiger Jugend. Albtraum und Verführung liegen dabei von Anfang an eng nebeneinander. In den ersten Minuten sieht man Ching, eine schöne, nicht mehr ganz junge, gut und teuer angezogene Frau, die in ein verwahrlostes Wohngebiet Hongkongs kommt, um sich in der Wohnung der jungen Mei Dumplings, Teigtaschen, kochen zu lassen, die in der ganzen Stadt berühmt sind. Gleich schwingt hier auch ein Klassenkonflikt zwischen den Frauen mit: So, wie sichtbar ist, dass Ching nicht hier zuhause ist, sind die gröberen Manieren Meis zu erkennen, auch wenn sie betont, sie sei ausgebildete Ärztin. Sie käme aus dem Norden, erzählt Mei, und gibt sich damit als eine der vielen Neubürger zu erkennen, die seit Jahrzehnten aus der Volksrepublik nach Hongkong kommen, um in der kapitalistischen Metropole ihr Glück zu machen. Die Unterschiede zwischen beiden sind also auch der regionalen Herkunft geschuldet. Teigtaschen sind eine Delikatesse des Nordens, die im Süden Chinas, der sich viel auf seine vermeintlich bessere Küche einbildet, geringer geschätzt werden. Der Diskurs über das Essen, der in den Gesprächen der beiden geführt wird, ist immer zugleich einer über die Herkunft, die Verhältnisse zwischen Nord und Süd, Mainland und Hongkong, arm und reich, Land und Stadt, über das vermeintlich schwerere und das leichtere Leben. „Sie mögen reich sein, aber ich bin frei“, sagt Mei einmal zu ihrer Auftraggeberin. Andererseits gibt es auch Solidarität zwischen den Frauen – sobald es nämlich um Männer geht, die „nur Sex im Kopf haben“, und diesen Kopf verlieren, ihre nicht mehr ganz taufrischen Ehefrauen vergessen, sobald „eine 20-Jährige“ im Spiel ist. Die Tonspur sorgt dafür, dass man sich von Anfang an wie in einem Horrorfilm fühlt und spürt, dass „etwas nicht stimmt“. Sie sei viel älter als sie aussieht, sagt Mei: „Das liegt an meinen Dumplings.“ Diese entpuppen sich als Jugendelixier. Schnell sieht auch die Kundin besser und jünger aus, und binnen kurzer Zeit erfüllt sich ihr Wunsch, für den fremdgehenden Ehemann wieder attraktiv zu werden. Doch was ist das Geheimnis der wirkungsvollen Speisen? Man ahnt es schon früh, die Bestätigung erhält man, wenn man sieht, dass Mei, wenn sie keine Dumplings kocht, Abtreibungen vornimmt und sich aus den Embryonen dann gleich für die Füllung bedient. Das ist nicht nur eine widerliche Vorstellung und nicht nur wunderschön inszeniert; es ist auch ein ernstes Spiel mit den Mythen von ewiger Jugend und Potenz, die in Asien besonders blühen. Von ihnen sind alle besessen: Chings Mann isst – auch das ein Erlebnis der anderen Art – halb ausgebrütete Enteneier, denen man in China eine besondere aphrodisiakische Wirkung beimisst. Originell und beziehungsreich vermischt Fruit Chan solche Motive. Zugleich schreibt er sich in die Kinotradition des surrealen Realismus ein, für die in der Gegenwart vor allem David Lynch und David Cronenberg stehen, zu deren Filmen und Vorliebe fürs Makabre „Dumplings“ offene Verwandtschaft aufweist. Das Drehbuch stammt von Lillian Lee, die mit „Lebewohl, meine Konkubine“ (fd 30 545) und „Rouge“ das Script für zwei der besten chinesischen Filme der letzten Jahre schrieb. Es ist anzunehmen, dass ein Mann die Vorlage zu „Dumplings“ nicht so unverblümt und doch ohne moralisierenden Unterton, so ironisch und spielerisch, stellenweise satirisch hätte schreiben können. Wenn der Film eine Anklage formuliert, dann keine moralische, die sich etwa gegen Kannibalismus richtet, sondern eine soziale, die auf jene Bedingungen zielt, die Frauen zu illegaler Abtreibung nötigen. Zur Gesellschaftssatire wird er dort, wo er Szenen einer Ehe zeigt, wo Miriam Yeung eine nervöse Ehefrau in ihren „besten Jahren“ großartig porträtiert, die ihr Leben damit vergeudet, für einen egozentrischen Mann attraktiv zu bleiben. Über all das hinaus ist „Dumplings“ ein wunderbares intimes, bitterböses und verstörendes Porträt höchst unterschiedlicher Varianten weiblicher Existenz.

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