Don't Come Knocking

Drama | Deutschland/Frankreich 2005 | 123 Minuten

Regie: Wim Wenders

Ein alternder Western-Darsteller ist seines Daseins überdrüssig und flieht vom Set zurück zu seiner Mutter, die er 30 Jahre lang nicht mehr gesehen hat. Als er erfährt, dass er Vater eines erwachsenen Sohnes ist, setzt er alles daran, um Kontakt zu seiner "Familie" aufzunehmen, kann sein Fremdsein aber nur schwer überwinden. Wim Wenders inszenierte einen in farbenprächtigen Scope-Bildern fotografierten Film über einen in die Jahre gekommenen Mann, der über sein vergeudetes Dasein nachsinnt, ohne einen Ausweg zu finden. Dank seiner Kinder deutet sich am Ende jedoch die Möglichkeit einer Aussöhnung an. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DON'T COME KNOCKING
Produktionsland
Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Reverse Angle/Arte France Cinéma
Regie
Wim Wenders
Buch
Sam Shepard
Kamera
Franz Lustig
Musik
T-Bone Burnett
Schnitt
Peter Przygodda · Oli Weiss
Darsteller
Sam Shepard (Howard) · Jessica Lange (Doreen) · Tim Roth (Sutter) · Gabriel Mann (Earl) · Sarah Polley (Sky)
Länge
123 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras sowohl der Single- als auch der Special Edition (2 DVDs) beinhalten u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und von ihm kommentierte, für den Film nicht verwendete Szenen. Die Special Edition enthält zudem das ausführliche Making of "Going Places -A Journey with ‚Don't come Knocking'" von Peter Schwartzkopff (94 Min.).

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion

Als Howard Spence vom Set reitet, hat er den Zenith seiner Karriere als Westerndarsteller längst überschritten. Müde und alt geworden, flüchtet er vor dem Berufsleben als Held, den er im Sattel zu spielen in der Lage ist; doch ohne Maske einer zu sein, gelang ihm bislang noch nie. Er kommt bei seiner Mutter unter, die er seit 30 Jahren nicht mehr besucht hat. Dort erfährt er, dass einer seiner weiblichen Fans vor langer Zeit angerufen und erklärt habe, von Howard schwanger zu sein. Die unverhoffte Vaterschaft weckt neue Energien, die ihn nach seinem Kind suchen lassen. In dem trostlosen Wüstennest Butte trifft er auf Doreen, die Mutter seines Sohnes Earl. Ihr gehört eine kleine Bar, in der ihr Sohn samt Band auftritt, um melancholischen Rock zu intonieren.

Sam Shepard als geriatrischer Leinwandheld verkörpert viele Qualitäten und Unzulänglichkeiten, die man Cowboys gerne nachsagt: die Unfähigkeit zur Bindung, die Rast- und Ziellosigkeit, mit der er sein Leben bisher verbrachte. Den Exzessen eines Stars hat er noch immer nicht abgeschworen. Erst als er nach einer durchzechten Nacht mit drei jungen Frauen in einem Hotelzimmer erwacht und von der Polizei zu seiner Mutter gebracht wird wie ein ungezogener Junge, der über die Stränge geschlagen hat, reift in ihm der Gedanke, dass vielleicht eine Familie ihm den Halt geben könnte, den er zur Zeit so nötig hat. Doch Earl ist wenig erfreut über die plötzliche Rückkehr seines verschollen geglaubten Vaters. In einem Tobsuchtsanfall wirft er sein ganzes Mobiliar aus dem Fenster auf die Straße: ein nach den Maßstäben der Alltagspsychologie unmotiviert wirkender Ausbruch.

Außerdem gibt es da noch Sky, ein junges Mädchen, das die Urne mit der Asche ihrer verstorbenen Mutter unter dem Arm trägt und ebenfalls ein Kind Howards zu sein scheint. Sie bittet ihn, auf Earls Sofa, das nun auf der Straße liegt, Platz zu nehmen und auf sie zu warten. Und tatsächlich sitzt Howard dort bis in den Abend, hält inne und überdenkt sein Leben – formal elegant, wenn auch nicht zwingend originell, durch Kreisfahrten der Kamera um ihn und sein Sitzmöbel herum gelöst –, um am nächsten Morgen dann doch wieder den Ort zu verlassen, ohne Skys Rückkehr abzuwarten.

Wenders entwirft eine zerstörte, desolate Familienszenerie, die nicht mit dem propagierten Ideal eines gemütlichen (amerikanischen) Heims übereinstimmt. Das einander Fremdsein erweist sich als die eigentliche Realität, wenn sogar Howards Mutter ihn mit der Frage begrüßt, ob er denn auch „ihr“ Howard sei. Eine Vater- oder Vorbildfigur scheint es für ihn nicht zu geben. So variiert „Don’t Come Knocking“ bekannte Wenders-Themen wie die Entbehrung familiärer Wärme, die innere Sehnsucht der Hauptfigur nach einer Art Beständigkeit und die Unfähigkeit zur klärenden Kommunikation zwischen den Generationen.

Die knappe, leicht überschaubare Geschichte bietet genug Platz für zum Teil recht ausgedehnte Szenen, in denen die klugen und teils sehr witzigen Dialoge aus Shepards Feder zur Geltung kommen. Die eingängige Erzählweise, die kleinen Scherze am Rande – der weibliche Star des Film-Western sieht sich außer Stande, eine Kussszene mit einem Double zu drehen – und das Aufgebot an intensiv agierenden Stars in meist kleinen Rollen (etwa Jessica Lange als Mutter von Earl) machen den Film leicht zugänglich. Shepard selbst verkörpert mit seinem reduzierten Spiel, seinen kurz angebundenen Sätzen, auf die lange stumme Phasen folgen, die Rolle des entwurzelten Einzelgängers: eine Figur, die fast in allen Filmen von Wenders auftaucht. Als er einmal mehr fliehen will, diesmal aus den neuen familiären Verstrickungen, die er zu entwirren nicht in der Lage scheint, versperrt ihm ein alter Indianer den Fluchtweg. Doch 20 Jahre Abwesenheit lassen sich nicht auf die schnelle Cowboy-Art vergessen machen. Ein mürrisch-verschrobener Agent der Filmfirma, der hinter dem entlaufenen Helden her ist, führt ihn schließlich doch in Handschellen ab – just im Moment, als Howard bereit schien, endlich einmal stand zu halten.

Kameramann Franz Lustig fotografiert „Don’t Come Knocking“ in farbenprächtigen Cinemascope-Bildern. Doch gerade die Panoramen, die in ihrem starken Hell-Dunkel-Kontrast auf bekannten Plakaten für Zigaretten werben und die Freiheit und Weite des Landes beschwören, kippen hier um zu Sinnbildern einer fast beängstigenden Einsamkeit und Nicht-Zugehörigkeit des Helden zur amerikanischen (Familien-)Welt. Das an Edward Hoppers menschenleere Gemälde erinnernde Artifizielle dieser Einstellungen karikiert gleichzeitig auch die amerikanische Sicht auf Amerika selbst.

Das Ende ist offen: nur im Film-im-Film weiß sich Howard von allen geliebt und kann, ohne hinter sich blicken zu müssen, auf und davon reiten. Das wahre Leben, entdeckt Howard, verlangt nicht mehr nach Einzelgängern. Wenn die „Kinder“ dem Vater im Auto singend hinterher reisen, scheint die Aussöhnung der Generationen so nahe gerückt, wie in kaum einem anderen Wim Wenders-Film.

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