Shouf Shouf Habibi! - Schau ins Leben

Komödie | Niederlande 2004 | 88 Minuten

Regie: Albert ter Heerdt

Die Probleme einer marokkanischen Migrantenfamilie in den Niederlanden, die den Spagat zwischen Integration und Tradition, Arbeitslosigkeit und Aufstiegsträumen durchlebt, und deren Mitglieder versuchen, das für sie Beste aus ihrer Situation zu machen. Eine äußerst pointierte, streckenweise furiose politisch unkorrekte Sozialkomödie über Identitätsprobleme und Abschottung, die mit wohltuender Selbstironie die Widersprüche multikultureller Gesellschaften auf den Punkt bringt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SHOUF SHOUF HABIBI!
Produktionsland
Niederlande
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Theorema Films
Regie
Albert ter Heerdt
Buch
Albert ter Heerdt · Mimoun Oaïssa
Kamera
Steve Walker
Musik
Cablejuice · Mike Meijer · Vincent van Warmerdam
Schnitt
Sytse Kramer
Darsteller
Mimoun Oaïssa (Ap) · Salah Eddine Benmoussa (Ali) · Zohra "Flifla" Slimani (Khadija) · Najib Amhali (Sam) · Iliass Oija (Iliass Oija)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
e-m-s (1:1.85/16:9/Dolby Digital 5.1/dts)
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Diskussion
Dass Lachen (und auch das Verlachen) durchaus die Aufklärung befördern können und nicht nur die Abweichung von der Norm negativ sanktionieren, weiß man spätestens seit Lessings Komödien. So wird kurz vor Schluss von Albert ter Heerdts temporeicher Migrantenkomödie „Shouf Shouf Habibi!“ – aus marokkanischer Perspektive – gefragt, was das Leben in den Niederlanden dem verstorbenen Vater Ali gebracht habe: Der älteste Sohn sei mittlerweile eher ein Holländer denn ein Marokkaner, die Tochter trage ihre Haare offen, der zweite Sohn ließ die Hochzeit mit einer Tochter des Dorfes platzen, und auch der jüngste Sohn sei nicht wohlgeraten. So bleibe Ali letztlich nur das größte Grab auf dem Friedhof, das seinerzeit der Zweitälteste, der Tunichtgut Abdullah („Ab“), ausgesucht hatte. Der Zuschauer, der Gelegenheit hatte, Alis Familie und ihr soziales Umfeld über 90 Minuten durch mal hinreißend komische, mal durchaus ernsthafte Abenteuer zu verfolgen, weiß, dass dieses Fazit oberflächlich richtig ist, zumal aus der Perspektive dessen, dessen Blick aus dem Grab heraus hier den Bildausschnitt bestimmt. Zugleich jedoch hat der Film auch fortwährend gezeigt, dass die Dinge ungleich komplizierter liegen, dass eindeutige Urteile nur durch Einschränkung des Blickfeldes zu haben sind. Das Schönste an „Shouf Shouf Habibi!“ ist jedoch, dass es den Film überhaupt gibt. Als vor einem Jahr der Filmemacher Theo van Gogh einem religiös motivierten Mordanschlag zum Opfer fiel, waren auch hierzulande die Feuilletons voll von Texten, die so gnadenlos wie wohlfeil mit dem „fatalen Traum“ von der multikulturellen Gesellschaft abrechneten. Damals war viel von der „Parallelgesellschaft“ die Rede; jetzt kommt diese holländische Sozialkomödie über die vielschichtigen und widersprüchlichen Identitätsprobleme marokkanischer Migranten in einer niederländischen Community ins Kino, die bereits 2004 produziert wurde und in den Niederlanden zudem zu einem großen Kinoerfolg wurde. Es geht in „Shouf Shouf Habibi!“ um verweigerte und vollzogene Integration, um Tradition und Wandel, um Arbeitslosigkeit und Aufstiegsträume, Versagensängste, mangelnde Sprachkenntnisse und die daraus erwachsenen Handlungsspielräume, Gewalt und, natürlich, Kriminalität. Kurz: um die ganze Dialektik der wechselseitigen Projektionen von Heimat und Fremde. Das wäre lauter, aber auch konventionell. Höchst interessant und bemerkenswert ist die Art und Weise, wie Regisseur Albert ter Heerdt (Jhrg. 1960) und der Initiator, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Mimoun Oaïssa (Jhrg. 1975) dies verhandeln. Die ohnehin schwierigen Themen wurden in eine erstaunlich pointierte, ja über weite Strecken furiose und politisch unkorrekte Komödie transformiert, ohne die politische Dimension des Films deshalb zu unterspielen. Die furiosen ersten 30 Minuten zählen zum Besten, was das Genre seit „Arizona Junior“ (fd 26 198) der Gebrüder Coen zu bieten hat. Zu den holprigen Klängen von Jonathan Richmans „Egyptian Reggae“ werden die Figuren durch typische Situationen elegant eingeführt, die sie nicht nur charakterisieren, sondern zugleich zentrale Aspekte der folgenden Handlung prägnant bezeichnen. So entwirft der Film leichthin ein dichtes Netz von Motiven und Themen, deren immanente Konflikte im Verlauf des Film nach und nach durchgespielt und „diskutiert“ werden. Dass dieser Film so brillant funktioniert, liegt zunächst an der von Oaïssa gespielten Figur des Abdullah, genannt „Ab“. Der ist ein Loser, ein präpotenter Tunichtgut, der von einer Katastrophe in die nächste schlittert, andererseits aber ein hinreißender Erzähler ist, der die Realität seiner Community, aber auch diejenige seiner marokkanischen Heimat an (s)einer von Hollywood gefütterten Medienrealität misst. Die Jungs in Abs Clique träumen von J.Lo., hoffen aber für sich selbst auf eine Jungfrau, die dann aber wieder „erfahren“ sein soll. Die Jungs spielen Gangster, sind kleinkriminell, dabei aber eher erfolglos. Ab selbst kennt selbstironisch fünf Unterschiede zwischen marokkanischen Migranten und E.T., aber die Logik der Sommerzeit, die hier als Running Gag fungiert, hat keine der Figuren verstanden. Während Abs Machismo in der niederländidischen Gesellschaft leer läuft und sich schließlich in der Gewalt gegen die sich emanzipierende Schwester entlädt, gibt er sich gegenüber seinen Kumpels und auch beim Besuch in Marokko großspurig als Mann von Welt. In jedem Mitglied von Alis Familie verdichten sich spezifische Identitätsprobleme zwischen Integration und „Parallelgesellschaften“, der Vater ist mit seinen Erziehungsaufgaben überfordert, ein Sohn wurde Polizist, Ali „Gangster“, und der 13-jährige Driss nutzt seine Bildung, um sich zwischen Familie und Bildungsinstitutionen Freiräume zu sichern. Tochter Leila arbeitet in der Modebranche und hat holländische Freunde, die sie als exotische Bereicherung empfinden. Sie wählt den „westlichen“ Weg und verweigert ihre Verheiratung nach traditioneller Sitte. Hier kommen Familienehre und auch Ehrenmord ins Spiel, allerdings nur am Rande. Derweil träumt Ab, dem das übliche Job-Angebot zu spießig und zu unglamourös ist, auf eine Karriere als Schauspieler in Hollywood – nach dem 11. September müssten Araber dort ja wohl gefragt sein. Amüsiert notiert sich der Berater in der Arbeitsagentur den Wunsch, bei Steven Spielberg anzurufen; ernstgenommen wird Ab dort mit seinem „Weltbild“ allerdings nicht. So zeigt der Film auch prägnant die andere Seite, die zur Konstitution einer „Parallelgesellschaft“ führt, die Arroganz, das Desinteresse und die Oberflächlichkeit der indigenen Bevölkerung. Auf die fortwährende Frustration reagiert Ab schließlich mit einer Hinwendung zu Tradition – hier lohnt ein Vergleich von „Shouf Shouf Habibi!“ mit „Yasmin“ (fd 37 076) – und ersetzt die Lederjacke durch den Kaftan. Doch solche „Lösungen“ führen zu nichts, und letztlich schließt sich der Kreis dankenswerterweise nicht in Marokko, sondern am Billardtisch der Eckkneipe. Neben dem wohltuend selbstironischen Umgang mit den Problemen und Haltungen der Migranten, der die Widersprüche aktuell multikultureller Gesellschaften nicht negiert, aber auch keine „heroischen“ Modelle entwirft, überzeugt an „Shouf Shouf Habibi!“ vor allem der nüchterne Pragmatismus dieser politisch unkorrekten Sozialkomödie. Theo van Gogh, so darf man hoffen, hätte diese famose Bestandsaufnahme wohl gefallen.
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