- | Deutschland 2005 | 98 Minuten

Regie: Leander Haußmann

Ein junger Mann in der DDR wird sehr zu seinem Leidwesen zum Militärdienst eingezogen. In der "unattraktivsten Armee aller Zeiten", der NVA, muss er mit seinen Leidensgenossen die Schikanen der spießigen Vorgesetzten erdulden und verstrickt sich alsbald in amouröse Abenteuer. Die unterhaltsame Militärklamotte verliert sich nicht in komödiantischer Ostalgie, sondern wendet sich mit ihrem Plädoyer für zivile Aufmüpfigkeit gegen Militarismus generell. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Boje Buck Prod./Seven Pictures
Regie
Leander Haußmann
Buch
Thomas Brussig · Leander Haußmann
Kamera
Frank Griebe
Musik
Paul Lemp · Marcel Blatti
Schnitt
Hansjörg Weissbrich
Darsteller
Kim Frank (Henrik) · Oliver Bröcker (Krüger) · Detlev Buck (Oberst Kalt) · Jasmin Schwiers (Marie) · Daniel Zillmann (Mischke)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
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Heimkino

Verleih DVD
UFA (1:2.35/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
Wenn der zivile Ungehorsam die wirkungsvollste Waffe gegen den Militarismus ist, was macht dann der zu seinem Leidwesen eingezogene Genosse in Uniform? Er ergibt sich ganz und gar der Wurschtigkeit und unterminiert die Kampfmoral der Truppe, indem er so tut, als wäre die Grundausbildung ein etwas zu lang geratener Schulausflug. Schon deshalb war es nur eine Frage der Zeit, bis Leander Haußmann von der „Sonnenallee“ (fd 33876) in die Nationale Volksarmee der DDR umsiedeln würde: Passt doch das im ersten Spielfilm des gelernten Theaterregisseurs gefeierte Lebensprinzip jugendlicher Verweigerung zur Dramaturgie der Militärklamotte wie Kimme auf Korn und Spieß auf „Schnauze halten“! Zu Beginn von „NVA“ stehen die Rekruten entsprechend im bürgerlich-unordentlichen Glied herum und summen im Geiste den Refrain der nächsten fünfzehn Monate: „Abschied von Sex und geilen Weibern, Abschied von Schnaps und LSD, Scheiße – wir müssen zur Armee.“ Ganz so arg lässt es Haußmann dann doch nicht kommen. Zumindest Sex und Schnaps werden den Kasernierten in der üblichen Dosis verabreicht. Einer der Frischlinge in der Fidel-Castro-Kaserne ist der verträumte Henrik Heidler, der seine geliebte Freundin für eine Kameradschaft der Komödientypen verlassen hat. Gemeinsam mit dem Schleimer Stadlmair (benannt nach dem Haußmann nicht eben zugeneigten Theaterkritiker der FAZ), dem Allergiker Traubwein, dem gemütlichen Fettkloß Mischke und dem rothaarigen Aufrührer Krüger steht er die Grundausbildung durch, die vor allem gegen die derben Späße der Dienstälteren abzuhärten scheint. Nachts legt sich die romantische Sehnsucht nach den Daheimgebliebenen über den Rekruten-Schlafsaal, aber auch eine Kaskade mit Entsprechungen für das Tätigkeitswort „onanieren“ perlt aus dem Off herab – ein Gegensatz, in dem Haußmann seinen Film insgesamt eingerichtet hat. Ist man jung und verliebt, dann ist alles andere im Grunde egal. Das war die Botschaft der „Sonnenallee“, und auch in „NVA“ legt sich junge Mädchenblüte als Weichzeichner über die Tristesse des Soldatenalltags. Die Aussicht auf ein Rendezvous lässt für Henrik so manches in Vergessenheit geraten: den Drill, die Schikane, und selbst, dass seine Eva seinem besten Freund das Jawort gibt. Ein militärisches Manöver führt schließlich in die Irre unplanmäßiger Fraternisierung: Nachdem Henrik unter der Gasmaske die Orientierung verloren hat, wird er von einem örtlichen Krankenschwestern-Trupp aus dem Wasser gefischt und zu neuem Liebesleben animiert. Dumm nur, dass seine Lebensretterin die Tochter des Kasernenobersts ist und ihn die Brautschau in die Höhle des Löwen führt. Als Komödienregisseur sucht Haußmann in Deutschland derzeit seinesgleichen – und doch verkauft er sich und seine Geschichten stets etwas unter Wert. Die Leichtigkeit, mit der Haußmann und sein Co-Autor Thomas Brussig obrigkeitshörige Knallchargen und abenteuerlustige Spätpubertierende aufs Papier und auf die Leinwand bringen, verrät mehr als nur einen winzigen Schluck Feuerzangenbowle, und das Frühlingserwachen ist als politische Metapher sowieso ein ewig grünes Motiv. Mehr als eine melancholische Komödie über die im Presseheft so getaufte „unattraktivste Armee aller Zeiten“ ist allerdings nicht zu erwarten. In Haußmanns Nischengesellschaft DDR ist selbst die Volksarmee noch ganz behaglich: Befehligt von skurrilen Spießern mit sprechenden Namen wie Futterknecht und Stummel, rottet die NVA ideologisch wie materiell ihrem Ende entgegen. Wenn die hohen Militärs einmal aus ihrem weltfremden Tran erwachen, um ein Individuum auf soldatisches Maß zurück zu stutzen, wirkt das abseits aller Krisengebiete dieser Welt eher als Ansporn zur Aufmüpfigkeit – neben der Offiziersriege des Films fühlt sich noch der Angepassteste als subversiv. Ein Produkt der Ostalgie ist „NVA“ dennoch nicht geworden. Dafür sorgt schon Haußmanns Westbindung ans amerikanische Lied- und Filmgut und natürlich der allgemeine Charakter seines Stoffs. Der Kommiss ist eben fast überall derselbe, und im Nachkriegsdeutschland ohnehin meist 08/15. Wirklich bedrohlich wird es im Film erst, als russische Erziehungsmaßnahmen ins Spiel kommen und für einige Augenblicke die Tragödie in der Klamotte aufblitzt. Dass auch mit deutschen Soldaten nicht nur zu Spaßen ist, schwant dem Protagonisten immerhin: Wenn der Munitionsmeister heimlich überzählige Minen vergräbt, damit seine Buchführung stimmt, kommt einem die Wurschtigkeit der NVA vielleicht doch nicht mehr ganz so harmlos vor.
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