- | Spanien 2005 | 99 Minuten

Regie: Carlos Saura

Eine von Isaac Albéniz’ gleichnamiger Suite inspirierte musikalische Reise durch unterschiedliche Regionen Spaniens ohne Anspruch auf ethnische Authentizität, die vom Wechsel visueller und musikalischer Rhythmen lebt, scheinbar Unverbindbares verbindet und ein vielschichtiges Porträt spanischer Identität vermittelt. Die Stilisierung der einzelnen Regionen funktioniert durch die hervorragende Bildgestaltung, das Spiel mit Spiegeln, Farben, Licht und Schatten, vor allem aber durch Tanz und Musik, wobei Carlos Saura die großen Meister des Flamenco zusammenbringt. (O.m.d.U.) - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
IBERIA
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Morena Films/Wild Bunch/Tele Madrid
Regie
Carlos Saura
Buch
Carlos Saura
Kamera
José Luis López-Linares
Musik
Roque Baños
Schnitt
Julia Juaniz
Darsteller
Sara Babas · Antonio Canales · Manolo Sanlúcar · Marta Carrasco · Aída Gómez
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
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Heimkino

Verleih DVD
MFA (16:9, 1.78:1, DD5.1 span.)
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Diskussion
Eine Frau spielt am Konzertflügel ein Stück des spanischen Altmeisters Isaac Albéniz (1860–1909), im Hintergrund erklingen Flamenco-Takte. Die Kamera fährt über die Bühne, schwebt hinter die Kulissen: Ein Tanzlehrer probt mit Kindern, eine dunkel gekleidete Frau fängt an zu singen, Musiker stimmen ihre Instrumente – Gitarrenklänge und Kastagnetten, Stimmen auf der Bühne, Schritte auf den glänzenden Holzdielen. Auf den verschiebbaren Trennwänden sind Schatten und Wiederspiegelungen zu sehen. Bilder aus dem Leben des Komponisten Albéniz werden auf die Leinwände projiziert. Dabei entspricht die visuelle Vielschichtigkeit einer polyphonen Tonebene, und immer wieder wird die sichtbare Wirklichkeit gebrochen oder verfremdet; so lässt sich ein ungewohnter Splitscreen-Effekt auf einen von zwei Bühnenarbeitern durch den Raum getragenen überdimensionalen Spiegel zurückführen. Wie bereits in seinen früheren Musik- und Tanzfilmen inszeniert Carlos Saura Musik nicht als statische Emotion, nicht in den Konventionen pittoresker Folklore, sondern als lebendige Werkstatt-Atmosphäre, bei der musikalische Rhythmen und Tanz einen dynamischen Prozess markieren. Noch stärker als in seiner Flamenco-Trilogie „Bodas de sangre“ (fd 24 684), „Carmen“ (fd 24 114) und „El Amor Brujo“ (1985) oder in seinen Flamenco- Dokumentarfilmen „Sevillanas“ (1991) und „Flamenco“ (fd 33 328) dokumentiert er in „Iberia“ (2005) eine musikalische Fusion aus klassischer spanischer Musik, Flamenco und modernen Jazz- und HipHop-Elementen. „Iberia“ ist eine von Albéniz’ gleichnamiger Suite inspirierte musikalische Reise durch unterschiedliche Regionen Spaniens, ohne Anspruch auf ethnische Authentizität. So vermischen sich in der ersten Episode „Aragón“ (Aragonien), Sauras Heimat, Flamenco und Elemente regionaler Folklore zu einer choralen Atmosphäre, die von schwarz-braunen Farbtönen und dunklem Licht bestimmt wird. Ganz anders die Atmosphäre der zweiten Episode: In „Bajo la Palmera“ (Unter der Palme) dominiert ein warmer Orange-Ton, musikalisch wird eine fast karibische Stimmung beschworen; wogegen Saura in der dritten Episode „Granada“ zum traditionellen Flamenco zurückkehrt: Vor dunkelblauem Hintergrund kreieren alte Frauen in ländlicher Tracht einen strengen Rhythmus, der sich zum Klageruf von existenzieller Tragik verdichtet. Der vierte Teil, „Cordoba“, eine Reise in eine andere andalusische Provinzhauptstadt, steht für das maurische Erbe. Arabische Rhythmen dominieren die Szene. Mit blauen, schwarzen und weißen Stoffen bekleidete, verschleierte Frauen tanzen in maurischer Architektur, wobei durch die Fusion aus marokkanischen und spanischen Musikelementen auch die Verwurzelung des Flamencos in der langen muslimischen Tradition Spaniens deutlich wird. Trotz der verfremdeten Atmosphäre kommt der Film immer wieder auf spanische Archetypen zurück: In der Episode „Torre Bermeja“ sitzt das klassische Flamenco-Emsemble vor einem Triptychon mit falschem Vollmondhimmel, in „Albaicín“ (nach dem maurischen Stadtteil Granadas) tanzt eine Frau vor loderndem Lagerfeuer. In „Corpus Sevilla“ interpretiert ein Blasorchester die religiöse Sarabande der Semana Santa, der Karwoche, in Sevilla. Die Bühne steht für den permanenten musikalischen und visuellen Wandel, eine Weltbühne, in der sich regionale und historische Unterschiede ablösen und verschmelzen – ein kontinuierlicher Wechsel von Farben, Licht und Schatten, historischer und ethnischer Identität. Damit greift Saura eine Tendenz auf, die den Flamenco der letzten Jahre befruchtet hat: die Fusion des „canto jondo“ mit unterschiedlichen modernen oder archaischen Musikrichtungen, wie sie etwa spanische Musikgruppen wie „Ketama“ oder „Radio Tarifa” seit Jahren erfolgreich betreiben. „Iberia“ ist kein narrativer Film und lebt doch von der gebündelten Kraft archaischer Geschichten und atmosphärischer Dichte; so beeindrucken die Episoden „Triana!“, „Almeria“ und „Sevilla“ durch die stilisierte Inszenierung der Leidenschaft, den Wechsel von Attraktion und Eifersucht, Liebe und Hass. Dabei bleiben Tanz und Choreografie artifiziell und ambivalent, das Konkrete verschwindet in der Poesie des Unscharfen, wie in „Albaicín“, dem verzweifelten Kampf einer Frau, die sich in Plastikfolien verfangen hat – eine Ertrinkende in einem künstlichen Meer. Der Film baut auf den Wechsel visueller und musikalischer Rhythmen, vereint scheinbar Unverbindbares und vermittelt ein vielschichtiges Porträt spanischer Identität. Die Episode „Zortziko“ repräsentiert das Baskenland in rotem Licht und mittels einer Musik aus Flöten, Trommeln und Klavier; das nordspanische „Asturias“ (Asturien) wird durch getragene Cello-Musik und sepiafarbene Bilder dargestellt. Die Stilisierung funktioniert durch die hervorragende Bildgestaltung, das Spiel mit Spiegeln, Farben, Licht und Schatten. Dabei entwickelt sich der Film in erster Linie über Tanz und Musik, wobei Saura die großen Meister des Flamenco zusammenbringt: die Tänzerinnen Sara Baras und Aida Gómez, die Tänzer Antonio Canales, José Antonio Ruiz, Aida Gómez und Patrick De Bana, die Gitarristen Manolo Sanlúcar, Gerardo Núñez und José Antonio Rodríguez, die Pianistin Rosa Torres Pardo, die Flamenco-Jazz-Musiker Chano Domínguez und Jorge Pardo, den hervorragenden Sänger Enrique Morente und seine Tochter Estrella.
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