Der Fischer und seine Frau

- | Deutschland 2005 | 102 Minuten

Regie: Doris Dörrie

Eine Mode-Designerin und ein Händler von Zuchtfischen verlieben sich in Japan und heiraten nach traditioneller Shinto-Zeremonie. Zurück in Deutschland, müssen die Weichen fürs gemeinsame Leben gestellt werden, wobei sein Hang zum kontemplativen Genießen des Daseins und ihre agilen Karrierepläne zunehmend kollidieren. Bei allen Spannungen erweist sich die Beziehung lange Zeit als emotional intakt. Unterhaltsam-anregendes Lehrstück auf der Grundkonstellation des Grimmschen Märchens, das formal abwechslungsreich und fantasievoll die vielschichtigen Probleme beschreibt, die entstehen, wenn Selbstverwirklichungsansprüche, Familiengründung, Liebe und moderne Rollenzuschreibungen zu Überforderungen führen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Constantin Film/Fanes Film/megaherz
Regie
Doris Dörrie
Buch
Doris Dörrie
Kamera
Rainer Klausmann
Musik
B:Sides
Schnitt
Inez Regnier · Frank Müller
Darsteller
Alexandra Maria Lara (Ida) · Christian Ulmen (Otto) · Simon Verhoeven (Leo) · Young-Shin Kim (Yoko) · Ulrike Kriener (Lena)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Paramount (1:1.85/16:9/Dolby Digital 5.1/dts)
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Diskussion
Woran erkennt man einen Film von Doris Dörrie? Bestimmt nicht an der Subtilität, mit der die psychologischen Tiefen von Figuren ausgelotet werden. Auch Spülstein-Realismus sucht man hier vergeblich, wenngleich Dörrie souverän und fantasievoll Realitätspartikel vor der Kamera drapiert, um ein bestimmtes Milieu zu skizzieren. Doch letztlich geht es bei fast allen ihren Filmen um konstruierte Realitätsmodelle, um (auch satirische) Abstraktionen, um soziologische oder philosophische Experimente, die bestimmte Thesen und Fragestellungen vor der Kamera unter den Bedingungen der Postmoderne, der Globalisierung und des aktuellen Stands der Geschlechterdebatte durchzuspielen versuchen. Bereits bei ihrem frühen Erfolgsfilm „Männer“ (fd 25 432) ging es um die Ungleichzeitigkeit von Lebensentwürfen, damals noch unter Männern, die in unterschiedlichen Subkulturen der Post-1968er-Zeit sozialisiert worden waren. Damals hieß es „Yuppie“ vs. „Sponti“, wobei es auch darum ging, welches „Design Mann“ bei Frauen besser ankommt. „Nackt“ (fd 35 585) widmete sich mit fast schon surrealer Leichtigkeit und viel Pop-Art-Chic den ambivalenten Glücksvorstellungen der „Generation Kohl“, mit dem Fazit: „Das andere Leben. Alle sehnen sich nach etwas anderem. Die Glücklichen, die wirklich zusammenleben, weil sie sich lieben, sind so wenige. Die ganzen Familien, die, wenn ihre Mörderphantasien ans Licht kämen, alle eingesperrt werden müssten...“ Auch bei ihrem aktuellen Film dürfte die Grundkonstellation hinlänglich bekannt sein. Das Grimmsche Märchen vom Fischer und seiner Frau hat Dörrie seit ihrer Kindheit aufgeregt; sie fand die Bestrafung der unbescheidenen Frau, die immer mehr will, ungerecht, und das indifferente, ja konterkarierende Verhalten des Mannes („Meine Frau, die Ilsebill, die will nicht so, wie ich wohl will“) rätselhaft. Später schien ihr das Märchen eine „verbreitete Dynamik“ zwischen Männern und Frauen offen zu legen (Presseheft); sie spricht explizit von der „passiv-aggressiven Haltung“ des Mannes: Die Frau ist gezwungen, etwas zu wollen, weil der Mann nichts mehr will. Gründe genug also, diese doppelbödige moralische Erzählung unter aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen noch einmal aufzugreifen und durchzuspielen. Schwierigkeiten dürfte die soziale Grundierung der Fabel bereitet haben; mit den wenigen, ihrem Handwerk noch nachgehenden Fischern waren soziale Aufstiegsmodelle kaum überzeugend zu gestalten. Wie schon in „Erleuchtung garantiert“ (fd 34 074) half ein Blick nach Japan, dem „Reich der Zeichen“ (Roland Barthes), einem idealen Raum für die tragfähige Modernisierung der Stoffes: „Japan“, das ist – aus westlicher Perspektive – eine großartige popkulturelle Projektionsfläche, die ihrerseits durch extreme Ungleichzeitigkeiten geprägt ist: Hypermodernes Design und Mode einerseits, uralte Traditionen und Zen-Buddhismus andererseits. Der Modezuchtfisch Koi dürfte der ideale Schnittpunkt der widersprüchlichen Diskurse zwischen Luxus-Lifestyle und Zucht-Tradition, selbstbezüglichem Konsum und überkommenen Werten sein. Ida, die Mode-Designerin in spe, und Otto, Parasitologe und Koi-Händler, begegnen einander in Japan. Sie verlieben sich und heiraten nach einer traditionellen Shinto-Zeremonie. Zurück in Deutschland, müssen die Weichen für das gemeinsame Leben gestellt werden. Schon bald zeigt sich, dass Otto einen Hang zum kontemplativen Genießen des Hier und Jetzt besitzt, während Ida sofort beginnt, agil und kreativ Pläne zu schmieden. Während Otto sich der Karriere verweigert – der Film erzählt diese Geschichte über die Spiegelfigur seines besten Freundes Leo – , startet Ida ihre „radikale“ Selbstverwirklichung. Rasch ist ihr das Wohnmobil der „Flying Fishdoctors“ zu klein. Eine Wohnung muss her, in der Ida ihre Designer-Schals anfangs noch in Heimarbeit produziert. Das Paar bekommt ein Kind, das selbstverständlich von Otto betreut wird, der durch schlecht bezahlte Nachtjobs ein paar Euros hinzuverdient. Je erfolgreicher Ida im Beruf agiert, desto deutlicher zeigen sich Spannungen in der Ehe. Diese lassen sich allerdings nur schwer verbalisieren, weil die Beziehung emotional intakt ist; zumeist zeigen sie sich als Zeitmangel, als wachsendes Unbehagen an der mangelnden Synchronizität der Lebensentwürfe. Dabei macht Otto kaum einmal einen Vorwurf, fast schon distanziert verfolgt er Idas Streben, die sich wiederum durch diese Zurückhaltung in ihren Ambitionen nicht ernst genommen fühlt. Schließlich endet das Paar in einer wunderschönen Villa am See mit Bediensteten, bevor eine letzte, märchenhafte Volte ihren (materiellen) Traum vom Glück zuschanden macht. Sehr prägnant beschreibt Dörrie die vielschichtigen Probleme, die entstehen, wenn Selbstverwirklichungsansprüche, Familiengründung, Liebe und moderne Rollenzuschreibungen unter einen Hut gebracht werden müssen und zu permanenten Überforderungen führen. Fraglich ist auch, welche Rolle die Biologie beim Rollentausch spielt. In Idas „Gegenfigur“ Yoko kommt die traditionelle Frauenrolle zu ihrem Recht, bei der der Karrierismus ihres Mannes zu emotionalen Defiziten führt. Es ist lohnenswert, dem Potenzial dieser Überkreuz-Dramaturgie mit ihren latenten Liebesgeschichten nachzuspüren – sie sind allesamt keine praktikablen Alternativen zum hier Problematisierten. Eine ganze Reihe weiterer Nebenfiguren wie der Kinderhasser oder die Hippie-Mutter variieren die Skala der Lösungsmöglichkeiten der vorgeführten Konflikte. „Der Fischer und seine Frau“ zeigt die Reibung, die aus diesen Konflikten entsteht, erspart es sich aber zum Glück, eine eindeutige Position zu beziehen. Zwar hält der Film mit seiner Sympathie für die umtriebige Frau nicht hinter dem Berg, doch zugleich scheint der Impetus des Immer-mehr-Wollens oberflächlich und letztlich unproduktiv im engeren Sinne (Stichwort: „Mode“), während Ottos kontemplative Ader in Zeiten der ökonomischen Krise angemessener erscheint. Wie stets bei der „Buddhistin“ Dörrie ist die Struktur des Films aufreizend zirkulär; die „Erleuchtung“ wird ganz dem Zuschauer überlassen. Eine prächtige, klar konturierte Farbdramaturgie im Look der späten 1960er-Jahre, sprechende Fische, die die kommentierende Funktion des griechischen Chors übernehmen und ein außergewöhnlich gelungener, weil liebevoll zusammengestellter und thematisch passender Soundtrack mit Songs von Hank Williams und Keren Ann, Egoexpress bis hin zu Interpol runden das positive Bild ab. Auch die Besetzung der Protagonisten ist perfekt, weil gerade keine besonderen Darstellerleistungen, sondern Typen gefragt waren: Christian Ulmen lässt hier einfach seinen lässigen Charakter aus „Herr Lehmann“ (fd 36 159) noch etwas weiter vor sich hintreiben. Die bemerkenswert überschätzte Alexandra Maria Lara verfügt über genau zwei unterschiedliche Gesichtsausdrücke: „Wundern und Staunen“ sowie „Freuen“, die sie indes durchaus variabel einzusetzen versteht. Das coole Lehrstück „Der Fischer und seine Frau“ zielt also nicht mitten ins Herz, ist aber unterhaltsames und anregendes Kopfkino auf der Höhe der Zeit.
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