Nach Gurinder Chadhas Bollywood-Satire „Liebe lieber indisch“ (im Original: „Bride & Prejudice“, fd 37 171) kommt mit Joe Wrights historisch angelegter Romanze „Stolz und Vorurteil“ in diesem Jahr bereits die zweite Verfilmung von Jane Austens Klassiker in die deutschen Kinos. Unterschiedlicher könnten zwei Adaptionen desselben Stoffes kaum ausfallen. Während Chadha sich der Vorlage frech und frei bediente, das Geschehen kurzerhand in die heutige Zeit verlegte und dabei auf drei Kontinente verteilte, bemüht sich Wright, den Roman, entlang des Drehbuchs von Deborah Moggach, so buchstabengetreu wie möglich in Filmsprache zu übersetzen. Szenen werden um zentrale Sätze arrangiert, viele Dialogpassagen fast wörtlich übernommen. Natürlich musste Moggach den Roman kürzen; der Film hätte sonst gut doppelt so lange gedauert. So strich sie den Erzählstrang um den intriganten Schönling Wickham, der sich zwischen die beiden Hauptliebenden zwängt, auf ein Mindestmaß zusammen. Einige Nebenfiguren fielen weg, und manche Nebenhandlung wurde in das zentrale Geschehen integriert. Dennoch lässt sich fast jede Einstellung mit einer Seitenzahl belegen, und auch der im ländlichen England gegen Ende des 18. Jahrhunderts angesiedelte Plot orientiert sich eng an der Vorlage.
Die Bennets haben fünf Töchter, aber keinen Sohn. Da die Erbfolge nur männliche Nachfahren berücksichtigt, fällt das gesamte Familienvermögen beim Tode des Vaters einem entfernten Verwandten zu: Mr. Collins. Kein Wunder also, dass Mrs. Bennet alles daransetzt, ihre Töchter so schnell und so gut wie möglich zu verheiraten. Als Mr. Charles Bingley, ein reicher, gutaussehender und allein stehender junger Mann in das nahe gelegene Herrenhaus von Netherfield Park zieht, gerät Mrs. Bennet sogleich in Verzückung. Mit Bingley sieht sie die einmalige Chance gekommen, ihre älteste Tochter Jane an den (Edel-)Mann zu bringen. Außerdem erhofft sie sich im Gefolge Bingleys zahlreiche weitere, wohlhabende Junggesellen für ihre anderen Töchter. Ihre Wünsche scheinen auch in Erfüllung zu gehen. Auf einem Ball fordert Mr. Bingley Jane gleich mehrfach zum Tanz auf, und Bingleys attraktiver und vermögender Begleiter, Mr. Darcy, wäre eine herrliche Partie für die zweitälteste Tochter Elizabeth. Leider aber entpuppt sich Darcy als hochnäsig und unhöflich. Von der ärmlichen Landbevölkerung hält er wenig, und von Elizabeth zunächst nicht viel mehr. Während Bingley und Jane geradewegs auf eine Verlobung zuzusteuern scheinen, entwickelt sich zwischen Darcy und Elizabeth eine verwirrende Hassliebe, der es erst nach zahlreichen Kabalen gelingt, Stolz und Vorurteile glücklich zu überwinden.
Das alles geschieht im Film analog zum Roman. Nur Nuancen unterscheiden die Fabel der Verfilmung von derjenigen der Vorlage. Wird Wrights Adaption Austens Text also gerecht? Auf den ersten Blick hat das den Anschein, und bis zu einem gewissen Grade trifft es auch zu. Beim genaueren Hinsehen allerdings erweist sich einmal mehr, dass demjenigen, der das Gerippe einer literarischen Vorlage zu erhalten versucht, deren Geist häufig abhanden kommt. Während Chadha durch die Modernisierung des Romans und seinen Transfer in einen anderen Kulturkreis dessen gesellschaftliche Brisanz immerhin andeutet, verflacht Wrights filmische Version zum opulent kostümierten Liebesdrama. Im nostalgischen Rückspiegel verlagern sich die Konflikte auf eine psychologische Ebene. Die Genderfrage wird so zum amüsanten Geschlechterstreit, und Austens Roman nachträglich zur Urmutter harmloser Screwball-Komödien uminterpretiert. Der doppelbödige Humor, die kunstvolle Ironie und die satirischen Überzeichnungen Austens verlieren durch ein derart unreflektiertes Hinüberkopieren, das die zeitgeschichtlichen Veränderungen im Rezeptionskontext nicht berücksichtigt, an Schärfe und Aussagekraft. Fast zwangsläufig bleiben die hübsch anzusehenden Hauptdarsteller Keira Knightley und Matthew MacFadyen farblos; stattdessen spielen sich prall karikierte Nebenfiguren wie die peinlich kuppelnde Mutter (Brenda Blethyn) oder der schmierig dümmliche Mr. Collins (Tom Hollander) in den Vordergrund.
Der gesamte Film akzentuiert die burlesken, schwankähnlichen Ansätze des Romans ebenso wie die romantischen, was beides auf Kosten der Gesellschaftskritik geht. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist zwar auch bei Wright unübersehbar, und Roman Osins Kamera akzentuiert den Kontrast zwischen der Weite herrschaftlicher Schlösser und der drängenden Enge eines bäuerlichen Heimes zusätzlich, indem er mit statischen Totalen der steifen, förmlichen Etikette Rechnung trägt, während er mit der sich in geringem Abstand zwischen den Menschen bewegenden Handkamera das muntere, ungezwungene, auch derbe Landleben nachzeichnet. Letztlich aber dient die soziale Kulisse vor allem als Hintergrund für das Märchen vom Aschenputtel, das zur Prinzessin aufsteigt. Als romantische Komödie knüpft „Stolz und Vorurteil“ fast reibungslos an frühere „Working Title“-Produktionen wie „Notting Hill“
(fd 33 730), „Bridget Jones“ (fd 376 788) oder „Tatsächlich Liebe“
(fd 36 238) an. Diese Liste unterhaltsamer und sorgfältig gearbeiteter Filme bemisst denn auch, nach oben wie nach unten, die Qualität von Wrights Adaption.