The Giant Buddhas

Dokumentarfilm | Schweiz/Deutschland 2005 | 95 Minuten

Regie: Christian Frei

Im Februar 2001 beschloss die afghanische Taliban-Regierung, alle figürlichen Darstellungen vernichten zu lassen. Dem Erlass fielen unter anderem die Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal zum Opfer. Ein essayistischer Dokumentarfilm, der sich dem Mythos der zerstörten Statuen nähert, um ihre Schönheit zu erfassen und ihre Bedeutung für die kulturelle Identität der Afghanen zu beschreiben. Dabei reflektiert der Film das Thema von mehreren Seiten, rückt Gegenwärtiges und Vergangenes ins Blickfeld, läuft aber auch stellenweise Gefahr, sich instrumentalisieren zu lassen, da er provozierende Behauptungen nicht hinterfragt. In der Gesamtschau verdichtet der Film sich jedoch zu einer Betrachtung über Vergänglichkeit und Heuchelei. (O.m.d.U.) - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE GIANT BUDDHAS
Produktionsland
Schweiz/Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Christian Frei Filmprod/SF DRS/ZDF-arte
Regie
Christian Frei
Buch
Christian Frei
Kamera
Peter Indergand
Musik
Philip Glass · Jan Garbarek · Steve Kuhn · Arvo Pärt
Schnitt
Christian Frei
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Es war ein Akt purer Barbarei gegenüber einem Weltkulturerbe, als die Taliban im Februar 2001 ein Edikt erließen, alle Statuen und nichtislamischen Schreine innerhalb des Islamischen Emirats Afghanistan zu zerstören. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Figuren von den Anhängern anderer Religionen angebetet werden. Prominenteste Opfer dieses Bildersturms waren die beiden riesigen, aus vorislamischer Zeit stammenden Buddha-Statuen, die im 6. Jahrhundert im Bamiyan-Tal aus dem Fels des Hindukusch geschlagen wurden. Trotz der weltweiten Proteste, auch aus islamischen Kreisen, setzten die Taliban das Edikt innerhalb von zwei Monaten um. Der Schweizer Dokumentarfilmer Christian Frei („War Photographer“, fd 35 483) nahm das Ereignis zum Anlass eines dokumentarischen Essays, das sich in konzentrischen Kreisen nicht nur um das Schicksal der beiden Statuen dreht, sondern die Bedeutung der zerstörten Kolosse im Leben unterschiedlichster Menschen erforscht; der Film weitet sich so zur Reflexion über Toleranz und den Umgang der Kulturen untereinander. „The Giant Buddhas“ startet mit einem Überraschungsangriff gegen die westliche Perspektive auf die Ereignisse: mit Zitaten Goethes und Byrons, Aussagen, die jeden Anflug zivilisatorischer Überlegenheit im Keim ersticken. Goethe wie Byron gaben nämlich ihrer Abscheu vor den riesigen Buddha-Statuen deutlich Ausdruck; Goethe sprach sogar von „verbannen“ und „vernichten“. Sollte der deutsche Dichterfürst, Leuchtturm in Sachen Bildung, Humanismus und Kunst, den Taliban an Ignoranz und Intoleranz gar nicht so fern stehen? Christian Frei will jedoch nicht mit Agitprop-Tricks Stimmung machen, weshalb diese Zitate nicht überbewertet werden. Ebenso wenig wie eine Äußerung des iranischen Regisseurs Mohsen Makhmalbaf, der sich zu der Ansicht versteigt, die Buddha-Statuen seien nicht zerstört worden, sondern aus Scham über die Ignoranz des Westens zerbröckelt – ein selbst in seiner Metaphorik zweifelhaftes Statement. Auf diese Weise sammelt der Film jedoch immer wieder Reizpunkte. Frei organisiert unterschiedlichste Perspektiven, spannt große weltanschauliche Bögen, enthält sich dabei jedoch weitgehend vorschneller Bewertungen und konfrontiert den Zuschauer mit dem Problem, diese Pluralität an Meinungen erst einmal zuzulassen, um sich dann in einem zweiten Schritt darin zurecht zu finden. Die wohl schillerndste Figur ist der aus Syrien stammende und in Spanien lebende Journalist Taysir Alony: Er drehte die Bilder von der Zerstörung der Statuen für Al Jazeera. Nach dem 11. September interviewte er als einziger Osama Bin Laden. Während der Dreharbeiten zu „The Giant Buddhas“ wurde Alony in Spanien verhaftet, wegen Hilfsdiensten für Al-Kaida angeklagt und Ende 2005 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Diese Entwicklung war Frei noch nicht bekannt, als er Alony interviewte. Alonys Aussagen gehören zu den provozierendsten des Films, vor allem deshalb, weil er nicht zwischen den Taliban und dem afghanischen Volk differenziert und deshalb zu dem Schluss kommt, die Taliban hätten sich von der Weltgemeinschaft verraten gefühlt und die buddhistischen Symbole aus Protest zerstört. Frei lässt die Aussagen für sich stehen, was im ersten Moment Unbehagen auslöst, weil man sich reflexhaft eine ebenso pointierte Gegenrede wünschen würde. Doch so funktioniert dieser Film gerade nicht, auch wenn Frei im Fall von Alonys geschickter Selbstdarstellung sicher Gefahr läuft, sich instrumentalisieren zu lassen und die Fäden aus der Hand zu geben. Diesem Problem war er bei den anderen Protagonisten nicht ausgesetzt, die andere, weniger polemische, aber nicht minder interessante Perspektiven eröffnen. Die Tagebuchaufzeichnungen des chinesischen Mönchs Xuanzang, der im 7. Jahrhundert 16.000 Kilometer zurücklegte, um nach Bamiyan zu gelangen – damals eine wichtige Station an der Seidenstraße –, dienen dazu, die Bedeutung der Buddha-Statuen in der damaligen Zeit zu beleuchten; sie verweisen aber auch auf ein bis heute ungelöstes Rätsel, dem der Archäologe Zémaryalaï Tarzi auf der Spur ist: Gibt es tatsächlich die von Xuanzang erwähnte, über 300 Meter große liegende Buddha-Statue in Bamiyan, oder ist das nur Legende? Tarzi wirkt wie ein auf den Boden der Tatsachen zurückgeholter Indiana Jones, getrieben von einer Vision. Er lenkt den Blick auf die Tatsache, dass Afghanistan im Begriff steht, von Kunsträubern ausgeplündert zu werden: damit werde mehr Geld verdient als durch den Anbau von Drogen. Ein weiterer unmittelbarer Zeuge kommt zu Wort: Sayyed Mirza Hussain, der wichtigste Protagonist des Films. Er lebte mit seinem Familienclan in den Felshöhlen in direkter Nähe der Statuen, die einst vielen Pilgern und Mönchen Unterkunft boten. Von ihm erfährt man, dass sich lokale Taliban-Vertreter weigerten, die Statuen zu zerstören, bis andere kamen, die aber auf ebenso groteske wie dilettantische Weise versagten. Erst Spezialisten gelang es, das Zerstörungswerk mit einem brachialen Feuerwerk von Sprengungen zu vollenden. Das Drama um die Buddha-Statuen hatte für Sayyed und seine Leute eine handfeste Konsequenz: Nachdem die UNESCO das Tal zum Weltkulturerbe erklärt hatte, wurden sie im Frühjahr 2004 auf ein unwirtliches Plateau umgesiedelt. Was der Film an teils unglaublichen Versuchen auch zu Tage fördert, die Buddhas wieder auferstehen zu lassen, verblasst vor diesem traurigen Fall von Menschenverachtung nach dem Ende der Taliban-Herrschaft. So souverän Frei alle Facetten auch zusammensetzt, unterstützt von den Bildern seines Kameramannes Peter Indergand und untermalt von einem subtil emotionalisierenden Soundtrack, so bemüht wirkt sein Kunstgriff, in den Briefen an Nelofer seine eigene Perspektive und eine Art Erzähler zu etablieren. Nelofer Pazira war die Hauptdarstellerin in Makhmalbafs Film „Kandahar“ (fd 35 199). Sie macht sich im Laufe des Films von Kanada aus auf die Spuren ihres Vaters, der als Student auf dem Kopf des 55 Meter hohen Buddhas stand, ohne jedoch richtig anzukommen. Doch das lässt sich durchaus verschmerzen bei einem Werk, das ein Füllhorn an Informationen und Anregungen zum Reflektieren bietet.
Kommentar verfassen

Kommentieren