Kinderfilm | Schweden/Finnland 2002 | 80 Minuten

Regie: Klaus Härö

Ein neunjähriges Mädchen im nördlichsten Verwaltungsbezirk Schwedens kommt nach dem Tod seines finnischen Vaters Anfang der 1950er-Jahre in eine neue Schulklasse und wird mit den überstrengen Methoden und Ansichten einer ältlichen Lehrerin konfrontiert. Ein engagiertes, zutiefst bewegendes Plädoyer für ein gerechtes, von Liebe, Freundschaft und gegenseitigem Respekt getragenes menschliches Miteinander, das sich aus dem Blickwinkel eines starken, gleichwohl alle kindlichen Nöte des Ausgrenzens durchleidenden Mädchens Bahn bricht. Hervorragend gespielt und inszeniert. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
ELINA - SOM OM JAG INTE FANNS | NÄKYMÄTÖN ELINA
Produktionsland
Schweden/Finnland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Filmlance International/Filmpool Nord/Kinoproduction/Svenska Filminstitutet
Regie
Klaus Härö
Buch
Kjell Sundstedt
Kamera
Jarkko T. Laine
Musik
Tuomas Kantelinen
Schnitt
Riitta Poikselkä · Tomas Täng
Darsteller
Natalie Minnevik (Elina) · Bibi Andersson (Tora Holm) · Marjaana Maijala (Marta, Elinas Mutter) · Henrik Rafaelsen (Einar Björk) · Tind Soneby (Irma)
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Kinderfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
atlas/Starmedia (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Norrbotten ist der nördlichste, am Polarkreis liegende Verwaltungsbezirk Schwedens – und, neben seinen Naturschönheiten, gekennzeichnet durch eine kältebedingt sehr niedrige Luftfeuchtigkeit. Hier, unmittelbar an der Grenze von Schweden und Finnland, lebt im Jahr 1952 die neunjährige Elina mit ihrer schwedischen Mutter Marta und der jüngeren Schwester Irma – unter ärmsten Verhältnissen in einem bescheidenen Haus am Waldrand, nahe einem weiten Moorgebiet. Der Vater, ein finnischer Einwanderer, ist an Tuberkulose gestorben, und auch Elina musste lange wegen Schwindsucht das Bett hüten. Elina kann den Tod des Vaters nicht verstehen und flüchtet immer wieder zur intensiven Zwiesprache mit ihm ins menschenleere Moor. Nun aber ist sie wieder kräftig genug, um zur Schule gehen, wo es vieles nachzuholen gibt; sie wird eine Klasse zurückgestuft und kommt mit Irma in die Klasse der Lehrerin Tora Holm. Was ein neuer Start ins junge Leben werden soll, wird für Elina bereits am ersten Tag zum Martyrium. Die strenge, standesstolze und dank ihres Bildungsvorsprungs auch mächtige Lehrerin duldet keine finnische Sprache und bestraft Anton, einen Jungen in Elinas Klasse, rücksichtslos dafür, dass er nicht des Schwedischen mächtig ist. Elina besitzt ein zwar noch eher intuitives, gleichwohl tief verwurzeltes Empfinden für Gerechtigkeit, solidarisiert sich mit Anton – und wird damit zur Gegnerin für Fräulein Holm. Die mittägliche Essenausgabe, in den Augen der altjüngferlichen Pädagogin eine Geste der Großzügigkeit besonders gegenüber armen Kindern, wird zur Machtprobe: Elina soll essen, Elina aber weigert sich. Auch sie könne finnisch sprechen, sagt sie, also gelte der Essensentzug für Anton auch für sie. Die Konfrontation wächst zum Machtkampf: Elina soll sich entschuldigen, Elina aber will sich nicht für etwas entschuldigen, das sie nicht getan hat. Die Lehrerin isoliert das Mädchen zunehmend und behandelt es schlussendlich wie Luft – eine kaum zu ertragende Zwangslage für Elina, die sich nicht beugen will, aber dringend Verständnis und Zuneigung braucht. Als ihr ein junger, aufgeschlossener Lehrer und sogar ihre geliebte Mutter – aus Unkenntnis der Zusammenhänge – den Rückhalt entziehen, flüchtet sich Elina einmal mehr zum geliebten Vater ins Moor. Doch auch das Moor kann unbarmherzig sein: Es duldet, wie Lehrerin Holm, keinen Fehltritt. Nicht nur die klimatische, sondern auch die Herzenskälte zwischen den erwachsenen Menschen prägt Elinas kleine Welt. Was sich als fortschrittliches und pädagogisch „weises“ Prinzip ausgibt und „Ordnung in dieser Wildnis“ schaffen soll, wie es Fräulein Holm einmal ausdrückt, erweist sich als Form der Diskriminierung gegenüber anderen Nationalitäten, anders Denkenden und sozial Schwächeren. Das Ausgrenzen funktioniert als machtvolle Waffe, deren Wirkung vor allem dadurch schmerzt, dass es mit Erniedrigung und Unterwürfigkeit einhergeht. Welche Einsamkeit und tiefe seelische Verletzung für ein unverstandenes Kind entstehen, vermittelt sich eindrücklich in ebenso stimmungsvollen wie präzise verdichteten (Herbst-)Bildern, die bereits jungen Zuschauern ein intensives Gefühl für Ungerechtigkeit vermitteln: Ein Kind so zu behandeln, als würde es gar nicht existieren – eine erschütternde Vorstellung! Deutlich wie unter dem Brennglas kindlicher (Ein-)Sicht treten die Konflikte zutage: eine domestizierte, „unterworfene“ Welt, in der die Menschen mit Disziplin und Strenge (auch gegenüber ihren Wunden und ihrer Trauer) „regieren“, sieht sich dem Widerstand der Kinder ausgesetzt; in deren Gesichtern spiegeln sich (noch) ungebrochene Stärke und Selbstbewusstsein, und ein Sonnenstrahl scheint nicht nur das Filmbild zu füllen, wenn Elina nur einmal kurz lächelt. Wie ein Versprechen auf ein besseres Dasein huscht sie durch den streng aufragenden Birkenwald, wirbelt die äußere Erstarrung mit ihren „rebellischen“ Gedanken durcheinander. Zu Beginn greift sie für eine Sekunde vertrauensvoll nach der Hand der Lehrerin – die ihr abrupt verweigert wird. Hände, Berührungen, Blicke von außen in Innenräume, selbst die Planungstafel im Lehrerzimmer wird symbolisch aufgeladen. Intuitiv klagt Elina nicht nur Zuneigung, sondern in gleich hohem Maße Gerechtigkeit, Freundschaft und Respekt ein; doch was sie im grimmigen Machtkampf mit der Lehrerin erfährt, sind Unverständnis, Erniedrigung und Demütigung. Erst allmählich spürt sie, dass sie geliebt und gebraucht wird – und es ist eine herrliche Utopie, wenn sie endlich die Solidarität ihrer Mitschüler erringt. Die Welt, die sie in ihrem Herzen trägt, färbt urplötzlich doch auf ihre Umwelt ab. Und vor allem: Elina akzeptiert etwas mehr den Tod ihres Vaters, gerade weil sie etwas von der Schönheit des Lebens verspürt. Man mag das belastete Wort „Kinderfilm“ kaum aussprechen, um keine Vorurteile gegenüber diesem zutiefst berührenden Film zu schüren. Einfühlsam inszeniert, wunderbar von den Kindern wie den Erwachsenen gespielt, geprägt von der poetischen Kamera sowie der subtilen Musik, vermittelt sich die erzählerische Kraft der Fabel nicht zuletzt, weil dem Film alle Ingredienzien einer „erwachsenen“ Inszenierungskunst zuteil wurden.
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