Tropical Malady

- | Thailand/Frankreich/Deutschland/Italien 2004 | 118 Minuten

Regie: Apichatpong Weerasethakul

Die zarte Romanze zwischen einem thailändischen Soldaten und einem jungen Dorfbewohner verlagert sich in der zweiten Hälfte der Erzählung in den Dschungel, wobei sich der Film zunehmend einer personellen Zuordnung entzieht und seine Geschichte ins Mythologische überhöht. Das visuell bezwingende, assoziationsreiche Drama der stummen Blicke changiert auf traumwandlerische Weise zwischen Natur und Zivilisation und übt eine hohe Faszination aus. Lange Einstellungen, Schwarzblenden und Zwischentitel geben dem Film, der sich jeder Kategorisierung entzieht, allenfalls eine vage Struktur. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SUD PRALAD
Produktionsland
Thailand/Frankreich/Deutschland/Italien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Anna Sanders Films/TIFA/Downtown Pictures/Thoke+Moebius Film/Kick the Machine
Regie
Apichatpong Weerasethakul
Buch
Apichatpong Weerasethakul
Kamera
Vichit Tanapanitch · Jarin Pengpanitch · Jean-Louis Vialard
Schnitt
Lee Chatametikool
Darsteller
Banlop Lomnoi (Keng) · Sakda Kaewbuadee (Tong) · Sirivech Jareonchon · Udom Promma · Huai Deesom
Länge
118 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (1:1.85/4:3/Dolby Digital 2.0)
DVD kaufen

Diskussion
„Blissfully Yours“, der als erster thailändischer Film in Cannes prämiert wurde und seinem Regisseur Apichatpong Weerasethakul 2002 internationale Aufmerksamkeit eintrug, hält für sein Publikum nach einer Dreiviertelstunde eine ziemliche Überraschung parat: Mit entsprechender Verspätung erscheinen nämlich die Vorspanntitel auf der Leinwand, so, als sollten die Zuschauer darauf hingewiesen werden, dass in der zweiten Hälfte ein ganz anderer Film beginnt. In gewissem Sinne ist das tatsächlich der Fall, denn mit der Verlagerung des Geschehens in den Dschungel geht ein grundlegender Wechsel im Erzählton einher. Ähnlich verhält es sich mit Weerasethakuls viertem Spielfilm, der von den „Cahiers du Cinéma“ zum besten Film 2004 gekürt wurde. Auch „Tropical Malady“ besteht aus zwei Hälften, deren Differenz unterstrichen wird, indem die Leinwand für ein paar Sekunden schwarz wird – was den Gedanken an eine Projektionspanne aufkommen lässt. Die Credit-Sequenz setzt dagegen mit der üblichen Verzögerung von nur wenigen Minuten ein, ist aber eigenwillig genug, um einen Vorgeschmack auf die wahrhaft bezaubernden Qualitäten dieses jungen Filmemachers zu geben. Denn der junge Mann in Soldatenkluft, der in einer statischen halbnahen Einstellung am rechten Bildrand neben den Titeln zu sehen ist, flirtet ganz unzweideutig mit der Kamera – und damit mit den Zuschauern. Sinneseindrücke sind der hauptsächliche Gegenstand dieses Films, und sie werden so subtil und doch eindringlich vermittelt, wie dies im Kino selten gelingt. Zunächst dominieren in „Tropical Malady“ stumme Blicke. Mehrere Flirts, bei Zufallsbegegnungen auf der Straße oder im Kreise aufmerksamer Familienmitglieder, werden regelrecht zelebriert, wenngleich ihre szenische Auflösung auf die Variation weniger statischer Einstellungen beschränkt bleibt. Sobald sich eine zarte Romanze zwischen dem Soldaten Keng und dem jungen Dorfbewohner Tong entspinnt, gewinnen wiederum zaghafte und verspielte Berührungen an Bedeutung. Der zentrale Bruch in der Handlung wird dann auch damit eingeleitet, dass Tong spontan Kengs Hand ableckt, nachdem dieser urinierte. In der zweiten Filmhälfte, die wie in „Blissfully Yours“ in den Dschungel verlagert ist, betonen regelmäßig eingestreute Nahaufnahmen den physischen Kontakt mit den Elementen, wenn sich beispielsweise ein Soldat mit Schlamm einreibt oder seine Haut von Blutegeln und Insekten befreit. Die Kamera lässt ihn zudem im dichten Urwald gelegentlich unsichtbar und mit der Natur eins werden. Während es in der zweiten Hälfte keinen einzigen Dialog gibt – wenn man von den Lauten eines Affen einmal absieht –, gewinnt die Tonspur ungeheure Präsenz. Die Vielstimmigkeit des Dschungels lässt sich nicht treffender beschreiben als mit einem Zitat des amerikanischen Kritikers Dennis Lim, demzufolge „die raschelnde, zwitschernde, brummende Kakophonie an eine umnachtete, weißes Rauschen produzierende Maschine denken lässt“. Die logischen Zusammenhänge zwischen den dünnen Handlungsfäden der beiden Filmhälften bleiben indes rätselhaft. Die Romanze von Keng und Tong wird mit einem betont beiläufigen Naturalismus geschildert, der Straßenimpressionen einschließt und beide Männer in loser Folge bei unterschiedlichen Freizeitvergnügen zeigt. Dieser scheinbar ziellos mäandernde Erzählfluss gipfelt in einer von Thai-Pop untermalten Motorradfahrt durch die Nacht, deren Unbeschwertheit ansteckend ist, bis sie von einem irritierenden Geschehen am Straßenrand unterbrochen wird. In die erste Hälfte ist freilich eine Sequenz eingeschoben, die stumm eine fantastische Fabel illustriert, die dem Liebespaar von einer Zufallbekanntschaft erzählt wird. In ähnlicher Form sowie mit einzelnen Zeichnungen und kurzen Zwischentiteln wird nach der Schwarzblende auch eine weitere Fabel illustriert, der zufolge ein Tigergeist menschliche Gestalt annehmen kann und für mehrere tote Dörfler verantwortlich ist. Wenn man schließlich einen Mann nackt durch den Dschungel streifen sieht, liegt die Annahme nahe, dass es sich um besagten Geist handelt. Und weil der Soldat, der sich offenbar auf die Suche nach jenem Geist in den Wald aufmacht, vom selben Schauspieler verkörpert wird, der zuvor Keng gespielt hat, kann man spekulieren, ob es sich dabei tatsächlich um Keng handelt. Sicher ist das jedenfalls nicht; so wie auch unklar bleibt, ob eine Verbindung zwischen Tong und der menschlichen Gestalt des Tigergeistes besteht, nur weil beide mit dem selben Darsteller besetzt wurden. In irgendeiner Weise scheint sich das fabelhafte Geschehen dieser zweiten Filmhälfte auf die allerersten Szenen zu beziehen: In denen fand nämlich ein Trupp Soldaten im Dschungel eine Leiche, und in einer von Thai-Pop untermalten totalen Landschaftsaufnahme streifte der Nackte bereits kurz durchs Bild. Weil zu Beginn ein Insert festhält, dass wir alle von Natur aus wilde Bestien sind, und weil Weerasethakul gegen Ende ein Bild des Soldaten im Halbschlaf, aus dem vagen chronologischen Zusammenhang gerissen, wiederholt, könnte man spekulieren, dass die traumwandlerische zweite Filmhälfte die Rückkehr einer Urnatur darstellt. Letzten Endes können solche Erklärungsansätze der Faszinationskraft dieses Films aber unmöglich gerecht werden. Als das Festival von Cannes 2002 zu Ende ging, soll Jurymitglied Emmanuelle Béart Weerasethakul mitgeteilt haben, dass sie nie zuvor etwas Ähnliches gesehen habe wie „Blissfully Yours“. Es ist anzunehmen, dass es dem deutschen Publikum mit „Tropical Malady“ ähnlich gehen wird. Das elliptische Erzählen und die scheinbar ungerührte Beobachtung von Alltagsgeschehen, oft in langen Einstellungen eingefangen, mögen an Tsai Ming-liang denken lassen. Auch Hou Hsiao-hsien wird als Referenz genannt, während die bukolische Stimmung mancher Sequenzen in „Tropical Malady“ zu Vergleichen mit Jean Renoir einlädt. Letzten Endes scheinen jedoch alle Vergleiche seltsam deplaziert; Weerasethakuls ausgesprochen originelle Filme widersetzen sich allen Kategorisierungen.
Kommentar verfassen

Kommentieren