- | Deutschland 2003 | 89 Minuten

Regie: Nicolai Albrecht

Eine Autofahrt nach Berlin führt Fremde zusammen, die sich in den Mitfahrzentralen Köln und Kassel kennen lernen. Der Film beobachtet, wie sie Beziehungen zueinander aufbauen, zu Verbündeten werden und sich einander anvertrauen, wobei er das Geflecht der Geschichten in einer traumwandlerischen Schwebe belässt. Dem Abschlussfilm fehlt zwar ein wenig die dramaturgische Zuspitzung, dafür behandelt er seine ambivalenten Figuren feinfühlig und mit spürbarer Sympathie. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Opal Filmprod./dffb
Regie
Nicolai Albrecht
Buch
Khyana el Bitar · Dagmar Gabler · Robert Löhr
Kamera
Ngo The Chau
Musik
Christian Conrad
Schnitt
Bernd Euscher
Darsteller
Ulrich Matthes (Peter) · Anna Brüggemann (Carolin) · Michael Ojake (Hilal) · Ivan Shvedoff (Sylvester) · Ingrid Sattes (Loubelle)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar mit dem Regisseur, der Produzentin und dem Kameramann.

Verleih DVD
epix (16:9, 1.85:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Deutschland ist ein Land der Autobahnen, durch das täglich Millionen von Menschen geschleust werden. Seltsam, dass erst jetzt der erste Autobahn-Film ins Kino gelangt. „Mitfahrer“ ist eines jener Road Movies, die eine Zeitlang am Leben anderer teilnehmen lassen, den Zuschauer mitnehmen und anderswo wieder absetzen – diesmal auf dem weiten Autobahnnetz der Republik. Mitfahrzentralen in Köln und Kassel sind die Knotenpunkte, von denen an einem Wochenende die Begegnungen zwischen einer Handvoll sich völlig Fremder ihren Ausgang nehmen. Das Einzige, was sie verbindet, ist das Reiseziel: Sie möchten alle nach Berlin, und das möglichst schnell und billig, oder zumindest nicht allein. Ein vereinsamter, von seiner Familie auf Distanz gehaltener Bademoden-Vertreter, der unentwegt von einer Stadt zur nächsten reist, nimmt in Köln einen schwarzen Flüchtling und eine junge Studentin mit. In Kassel steigen zur gleichen Zeit ein abenteuerlustiger Jugendlicher und ein zwielichtiger Schmuckhändler mit russischem Akzent in das Auto einer Nachwuchsschauspielerin, die in Berlin am Auswahlverfahren für die Ernst-Busch-Schule teilnehmen will. Bei sommerlicher Hitze und auf engstem Raum den Blicken, Fragen und Kommentaren der Mitfahrer ausgeliefert, gewinnen die Personen allmählich an Konturen. Bis alle Reisenden in Berlin ankommen, wird der Zufall gleich mehrfach bemüht und die Gutgläubigkeit des Betrachters gelegentlich über die Maßen strapaziert. Die Fahrkonstellationen wechseln, mehrere Liebesbeziehungen sortieren sich neu und anfängliche Feinde wandeln sich zu Verbündeten. Irgendwann tauschen alle ihre Vorurteile, Sorgen und Ängste aus, erleben Hoffnungsschimmer und entledigen sich mancher Lebenslüge. In jedem Fall gibt es bei diesem symmetrischen Aufbau immer etwas zum Schmunzeln oder Nachdenken, und so geht es die ganze lange Fahrt hindurch weiter mit den Gewinnern und Verlierern des launischen Glücksrouletts namens Leben, das hier durch die Metapher der Autobahn den passenden Ausdruck findet. Dass man das so oder ähnlich zuletzt in jüngsten deutschen Episodenfilmen von Hans-Christian Schmid („Lichter“, fd 36 069) oder Max Färberböck („September“, fd 36 015) gesehen hat und dass sich die Handlung über weite Strecken nur in statischen Einstellungen entwickelt, spricht nicht gegen den Film, denn die Gesichter der Schauspieler – allen voran die wunderbare Jana Thies als von Selbst- und Beziehungszweifeln geplagte Jungschauspielerin und Ivan Shvedoff mit seiner überwältigenden slawischen Präsenz – und nicht zuletzt das zweifelhafte Flair des ohne Unterlass lärmenden Schauplatzes haben eine Kraft, die dem Film eine ungewöhnliche Faszination verleiht. „Mitfahrer“, Abschlussfilm des 35-jährigen Nicolai Albrecht an der dffb, ist dank der nahezu makellosen Regie und der mit viel Sinn fürs Detail gezeichneten Figuren ungemein spannend. Zwar fehlen in dieser kurzweiligen Etüde noch der rechte Kinoatem und der Wille zur dramaturgischen Zuspitzung, dafür aber überzeugt die Beiläufigkeit, mit der Albrecht die äußeren und inneren Bewegungen seiner zeitgemäß mobilen Alltagshelden, die verzweifelte Lebenslust und Suche nach einem Platz zum Verweilen registriert. Immer wieder entwickelt er Szenen, in denen man Sympathie für jede einzelne der zum Teil ambivalenten Figuren empfindet. So gelingt ihm ein existenzialistisches Puzzle des Ungewissen, das in der Schwebe lässt, was an Sehnsüchten und Krisen nur fixe Idee sein könnte und was real ist. Allen Vorhersehbarkeiten zum Trotz sieht man sich „Mitfahrer“ gerne an, und sei es nur, weil sich das Auge an den dezent ausgeleuchteten und mit melancholischer Musik akzentuierten Stimmungsbildern dahin gleitender Verkehrsströme erfreut, hinter deren flackernden Mustern und Lichtspielen unendlich viele offene Einzelschicksale verborgen sind.
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