Der Liebeswunsch

Drama | Deutschland 2005 | 115 Minuten

Regie: Torsten C. Fischer

Die unglückliche Ehe einer hemmungslos liebesbedürftigen jungen Frau bringt das ohnehin fragile Verhältnis zweier Paare aus dem Gleichgewicht und lässt vier Menschen auf eine Katastrophe zusteuern. Eine gediegene Literaturverfilmung, die die Wurzeln des Glücks hinterfragt. Filmisch versucht die Inszenierung den Rahmen des Fernsehfilms zu sprengen, was nur bedingt gelingt; gleichwohl ein großer Fernsehfilm im ansehnlichen Kinoformat, getragen von vier überzeugenden Darstellern. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Allmedia Pic./CH Media
Regie
Torsten C. Fischer
Buch
Dieter Wellershoff
Kamera
Theo Bierkens
Musik
Annette Focks
Schnitt
Hansjörg Weissbrich
Darsteller
Jessica Schwarz (Anja) · Tobias Moretti (Leonhard) · Barbara Auer (Marlene) · Ulrich Thomsen (Jan) · Hildegard Kuhlenberg (Anjas Mutter)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Heimkino

Verleih DVD
NFP (1:2,35/4:3/Deutsch DD 5.1)
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Diskussion
Es gibt grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, die Welt zu erfahren und wahrzunehmen. Während der Realist mit dem Brustton der Überzeugung sagt: „In diesem Raum ist kein Rhinozeros“, entgegnet der Buddhist: „Wir können es nur noch nicht sehen.“ Als Jan diese Ansicht äußert, können seine Frau Marlene sowie Anja und Leonhard, das Freundesehepaar, darüber noch lachen. Noch ist die Welt zumindest halbwegs in Ordnung, doch das wird sich innerhalb weniger Stunden grundlegend ändern. Denn das Rhinozeros ist bereits im Raum, und wer es sehen möchte, könnte es auch sehen. Diese Szene aus dem Südafrika-Urlaub der beiden Paare ist eine der Schlüsselstellen in Torsten C. Fischers Romanverfilmung, die die gleichnamige Wellershoff-Vorlage, ein intellektuelles Vexierspiel um eigentlich unerfüllbare Begierden, Schuld und eine schier unerträgliche Sühnelast, auf eine recht überschaubare Form zurückführt, um ihr ein glaubwürdiges Leinwandleben einzuhauchen. Zu diesem Zeitpunkt ist die an einer unstillbaren Liebessehnsucht leidende Anja bereits einige Jahre mit dem liebesunfähigen, wortkargen und überpedantischen Rechtsanwalt Leonhard verheiratet. Eine Ehe, die eigentlich keinen Sinn ergibt, denn Anja ist von Beginn an unverstanden, und als sie den Unfall des Sohnes Daniel „verschuldet“ – der Junge verbrüht sich am Morgen ihres Geburtstags mit heißem Wasser – lässt sich überhaupt nichts mehr kitten. Leonhard, der Anja im Hause des befreundeten Ärzte-Ehepaars Jan und Marlene kennengelernt hat, geht seiner eigenen Wege, Anja greift immer häufiger zur Flasche. Bei Marlene findet sie mitfühlende Unterstützung, bei Jan aber die Hingabe, die sie zu brauchen meint. Die Lunte ist gelegt und glimmt; besonders pikant wird die Affäre dadurch, dass Jan mit Marlene dem besten Freund Leonhard bereits eine Frau, die dieser liebte, ausgespannt hatte und sich dies nun wiederholen könnte, zumindest wenn es nach Anja ginge. Doch Jan blockt ab. Er, der nicht müde wird zu behaupten, vor nichts Angst zu haben, drückt sich vor einer konsequenten Entscheidung: ein Liebesnest, ja, eine Trennung von Marlene, eher nicht. Doch als seine Frau hinter die Affäre kommt und in ihrer Verzweiflung Leonhard informiert, entwickeln die Dinge eine Eigendynamik, die wohl niemand der Beteiligten vorhergesehen hat. Anja glaubt, dass nun der Grundstein für einen Neuanfang mit Jan zu legen wäre, der will seine Frau zurück, Leonhard den Sohn und die Scheidung. Alkoholexzesse und Trennungen sind die Folgen, Anja landet nach einem Suizidversuch in der Psychiatrie, nutzt einen Ausflug der Therapiegruppe zur Flucht und stürzt sich aus dem 14. Stock eines unbewohnten Hochhauses zu Tode. Der Liebeswunsch, die Sehnsucht nach dem kleinen Tod, hat im großen seine Erfüllung gefunden. Fischers retrospektiv erzählter Film, der mit einer Rückerinnerung Jans beginnt, erzählt seine Geschichte in gedeckten Farben und bemüht sich, im Stil und vor allen Dingen in den Dialogen und der Interaktion zwischen den überzeugenden Darstellern, den Emotionalitätsgehalt der Geschichte auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Natürlich müssen für Anjas ungerichtete Leidenschaft entsprechende Bilder gefunden werden, doch sie weisen immer über den gelebten Augenblick hinaus, implizieren neben der Lust immer auch die Möglichkeit des Leidens. Sei es, dass Anjas Liebesverhalten Leonhard zu „verhurt“ erscheint, ein Rückweisen in die Schranken bürgerlicher Wohlanständigkeit, um sie im nächsten Augenblick mit an Selbstbefriedigung grenzender Lust penetrieren zu können; seien es die Liebesmomente mit Jan, die immer vom Druck der Heimlichkeit belastet sind. Aber es wäre zu kurz gefasst, den „Liebeswunsch“ auf die Person der Anja zu fokussieren. Sie und ihre unbefriedigten Wünsche stehen zwar im Mittelpunkt dieser beachtlichen Roman-Adaption, doch gleichzeitig werden die Liebeswünsche aller Beteiligten verhandelt: Leonhards Sehnsucht und hilflose Versuche, seine Liebesunfähigkeit zu überwinden; Jans Ausbrechen aus einer scheinbar intakten und auch sexuell befriedigenden Ehe, sein Versagen in seiner ersten Ehe; Marlenes früherer Fluchtversuch in die Ehe mit Jan und die Hoffnung, diesen Zustand aufrechterhalten zu können. Keiner dieser Wünsche wird in Erfüllung gehen. So ist die berührendste Szene des Films denn auch die letzte wirkliche Begegnung zwischen den beiden rivalisierenden Frauen. Zum Abschied küsst Marlene die verzweifelte Anja, die ihrem Ende entgegen deliriert. Eine sehr zärtliche, sehr erotische Szene, die im Roman übrigens nicht enthalten ist und in der der Liebeswunsch für einen Wimpernschlag vielleicht doch seine Erfüllung findet. Ein beachtlicher Film, der sich jeder Romantik versagt und der trotz seiner Nähe zur großen Fernsehunterhaltung die Konkurrenz im Kino nicht zu scheuen braucht, wobei er gar nicht vorgibt, eine „Leichtigkeit des Seins“ anzustreben, sondern vielleicht sogar mit einer intellektuellen Kopflastigkeit kokettiert – auch das ist ungewohnt und entwickelt einen ganz eigenen Reiz.
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