Wir leben im 21. Jahrhundert

Dokumentarfilm | Deutschland 2005 | 60 Minuten

Regie: Claudia Indenhock

Der Dokumentarfilm zeigt die Bemühungen dreier Hauptschulabbrecher, durch ein Förderprogramm ihren Abschluss nachzuholen und ein Praktikum zu erhalten. Die Protagonisten aus armen Verhältnissen wirken zunächst antriebslos, finden aber durch die Arbeitsplätze zu Selbstvertrauen. Der behutsame, aber deutliche Film zeigt die Verlierer des härter werdenden Kampfs um Arbeit und veranschaulicht, wie sie zu einem würdevollen Leben finden. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Kunsthochschule für Medien (KHM)
Regie
Claudia Indenhock
Buch
Claudia Indenhock
Kamera
Angelika Huber · Eva Radünzel
Musik
Claudia Indenhock · Stefanie Paul
Länge
60 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Wie hoch der Anteil der Arbeitslosen in Deutschland sei, fragt der Lehrer eine kleine Gruppe von Schülern. 80 Prozent, sagt eine, 50 Prozent ein anderer – so viele seien in ihrem Umfeld nun einmal arbeitslos, so wie sie selbst, und so sei es doch sicher überall. Diese Meinung ist auch der Grund dafür, dass sich die jungen Leute in einem Projekt namens BUS (Betrieb und Schule) eingefunden haben, in dem sie den Hauptschulabschluss nachholen und sich ein Praktikum suchen können. Aber beides ist nicht so einfach, vor allem, wenn man keinen Antrieb hat. Dick in ihre Jacken eingepackt, sitzen die etwa 16-Jährigen da, meckern an allem herum und lassen sich vom Lehrer nichts sagen. Besserwisserei, Ignoranz, Faulheit, Lustlosigkeit, Ungebildetheit, ja Dummheit: diese Attribute scheinen nach wenigen Minuten auf jeden Schüler anwendbar, doch dieses Urteil muss bald revidiert werden. Die Regiedebütantin Claudia Indenhock begleitet drei Protagonisten zunächst nach Hause. Bittere Armut herrscht bei allen, permanent laufen Fernseher und Videospiele, mit den Hunden wird das Bett geteilt. Aber trotz einer kaum verständlichen Sprachreduktion, trotz mancher innerfamiliärer Konflikte funktioniert die Kommunikation. Die Eltern sind kooperativ und ermahnen zur Mitarbeit in der Schule und im Betriebspraktikum, ihre Kinder, die manchmal wirklich noch wie Kinder wirken, reizt allerdings nichts davon. Pascal geht am liebsten angeln; wenn schon arbeiten, dann wenigstens im eigenen Viertel: Er mag nicht gerne allein auf die Straße gehen. Patrick liebt seine Mutter und außerdem Videospiele, also versucht er sich als EDV-Nachwuchs. Und Jasmin, niemals ohne Kaugummi im Mund, findet sowieso alles doof. Als sie tatsächlich einen Praktikumsplatz ergattern, wendet sich das Blatt. Pascal kommt auf einer Baustelle unter und erzählt hinterher nicht ohne Witz von den verschiedenen Möglichkeiten, eine Schippe zu halten. Auch Patrick glaubt sich am richtigen Ort. Vor allem Jasmin wirkt wie ausgewechselt. Sie landet in einem Altenheim und sorgt sich rührend um die Bewohner. Schon wenige Tage, an denen sie sinnvoller Arbeit nachgehen, geben den jungen Leuten offensichtlich ein bis dahin nicht gekanntes Selbstvertrauen, das auch mit einer gewandelten Sicht auf die Welt einhergeht. „Wir leben im 21. Jahrhundert“, sagt Patrick oft zu seiner Mutter, und will damit ausdrücken, dass das mit dem Arbeiten heute nicht mehr so läuft wie zu ihrer Zeit, als man mit 14 Jahren in die Arbeitswelt eintrat. Er meint, es sei komplexer geworden, und hat auf fatale Weise Recht, denn überhaupt in diesen Prozess hinein zu kommen, ist für manche inzwischen fast unmöglich geworden. Das wirkt im Film umso bedrückender, je mehr einem die drei Hauptfiguren ans Herz wachsen, was der ebenso behutsamen wie deutlichen Erzählweise zu verdanken ist. Denn natürlich befindet sich hinter ihrer abwehrenden Schale ein weicher Kern, der das eigene Versagen deutlich spürt. So liefert Claudia Indenhock eine Innenansicht der Welt derer, die im verschärften Kampf um Arbeit in größerem Ausmaß auf der Strecke bleiben: auf Menschen, die wie alle anderen ein Recht auf ein würdevolles Leben haben. Und dazu gehört, dies ist die entscheidende Botschaft des Films, auch ein Arbeitsplatz.
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