Hallesche Kometen

Drama | Deutschland 2005 | 83 Minuten

Regie: Susanne Irina Zacharias

Ein junger Mann Anfang 20 in Halle lebt nach dem Tod der Mutter bei seinem Vater, der jeden Lebensmut verloren und aufgehört hat, sich um Arbeit zu bemühen. Der Sohn bringt es nicht fertig, ihn im Stich zu lassen. Statt seinen Traum von einer Weltreise wahr zu machen, harrt er an seiner Seite aus, bis er sich verliebt und einsieht, dass es so nicht weitergeht. Die in ein sozialrealistisches Nachwendedrama eingebettete Vater-Sohn-Geschichte berührt dank erstklassiger Darsteller, ohne ins Rührselige abzugleiten. Ein schöner kleiner (Erstlings-)Film, klug durchdacht, kurzweilig und unaufgeregt, der sich zum Lehrstück über Trauer, Hoffnung und Solidarität verdichtet. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Flying Moon/HFF Konrad Wolf
Regie
Susanne Irina Zacharias
Buch
Iwan Dimow · Sarah Esser
Kamera
Daria Moheb Zandi
Musik
Eike Hosenfeld · Moritz Denis
Schnitt
Philipp Stahl
Darsteller
Hanno Koffler (Ben) · Peter Kurth (Karl) · Marie Rönnebeck (Jana) · Max Riemelt (Ingo) · Patrick Güldenberg (Puh)
Länge
83 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs mit der Kamerafrau.

Verleih DVD
epix (16:9, 1.85:1, DD2.0 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Susanne Irina Zacharias hat mit ihrem Spielfilmdebüt „Hallesche Kometen“ ihre Abschlussarbeit für das Studium des Regiefachs an der HFF „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg vorgelegt. In dem sozialrealistischen Nachwendedrama erzählt sie eine zartbittere Vater-Sohn-Geschichte: Ben ist Anfang 20 und lebt nach dem Tod der Mutter mit seinem Vater Karl in einer innigen, aber perspektivlosen Männer-Wohngemeinschaft. Karl hat nach dem Mauerfall seine Arbeit als Polier und nach dem tödlichen Autounfall seiner Frau jeden Lebensmut verloren. Er nistet sich zuhause ein, widmet sich ganz dem Kampf gegen die Küchenameisen und hat längst aufgehört, sich um Arbeit zu bemühen. Stattdessen verkörpert er das Klischee des weinerlichen Ostdeutschen, der gar nicht mehr neu anfangen will, sondern sich lieber in Selbstmitleid suhlt. Mit langen, fettigen Haaren und Bierwampe hängt er den Erinnerungen an bessere Zeiten nach. Ben hingegen hat die tatkräftige West-Mentalität längst verinnerlicht. Der Ost-West-Konflikt spiegelt sich im innerfamiliären Generationenkonflikt in abgemilderter Form. Ben ist kein rücksichtsloser Ellenbogenmensch, er liebt seinen Vater und bringt es nicht fertig, ihn im Stich zu lassen. Statt seinen Traum von der Welt wahr zu machen und Reiseberichte zu schreiben, harrt er an der Seite Karls in Halle aus und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Erst als er sich in Jana verliebt, die sich auf ein Au-Pair-Jahr in den USA vorbereitet, sieht er ein, dass es so nicht weitergehen kann. Welche Note Susanne Irina Zacharias erhalten hat, ist nicht bekannt. sie dürfte ihr Diplom aber mit Bravour bestanden haben. Handwerklich gibt es an dem Debüt kaum etwas auszusetzen, und dank der erstklassigen Hauptdarsteller, die den markanten Figurenschnitt dezent unterspielen, berührt das Schicksal der Protagonisten, ohne ins Rührselige abzugleiten. Hallesche Kometen“ ist ein schöner kleiner Film, ein Lehrstück über Trauer, Hoffnung und Solidarität. Didaktisch präzise lässt er kaum Fragen und nur wenig Deutungsspielraum offen. Der sensible Karl sieht seiner verstorbenen Frau auffällig ähnlich, fast als versuche er sie zu absorbieren. Zacharias hat dafür ein starkes, kinoschönes Bild gefunden: Karl projiziert ein Foto seiner Frau an die Wand, der Projektor kippt, wirft das Bild der Frau aufs Bett, und Karl legt sich sehnsuchtsvoll daneben. Die Gesichter der Toten und des Trauernden verschmelzen. Interpretieren muss man diese Einstellung nicht. Auf malerische Weise verdichtet Zacharias hier den inneren Konflikt Karls zu einem zeitlosen Moment; allerdings hart an der Grenze zum Plakativen. Was an dieser Stelle durch die Originalität des Bildes gerechtfertigt wird, erweist sich insgesamt aber als Manko. Figuren und Handlung des Films bleiben pädagogisch überschaubar, tafelbildtauglich. Die Drehbuchautoren bedienen sich des einfachen moralischen Strickmusters von Kinderfilmen, um die thematische Vorgabe „12 Jahre nach dem Mauerfall“ der Ostwind-Reihe (für die der Film entstand) zu erfüllen. „Hallesche Kometen“ stellt damit einen Prototyp des gegenwärtigen deutschen Kinos dar: einen co-produzierten Film-Fernseh-Hybriden als Auftragsarbeit, das Gegenteil von Autorenkino. Da wundert es kaum, dass das Thema, nur unwesentlich abgewandelt, erst unlängst Gegenstand eines anderen deutschen Debüts war: In Robert Thalheims „Netto“ (fd 37 032) zieht der Sohn nach einem Streit mit der Mutter beim arbeitslosen Vater ein und erlebt einen ganz ähnlichen Konflikt. Thalheim ist übrigens wie Zacharias „Konrad Wolf“-Schüler. Auch wenn sich „Netto“ im direkten Vergleich als der vielschichtigere Film erweist, fällt „Hallesche Kometen“ keineswegs ab. Zacharias’ Erstling ist kein mit Herzblut geschriebener und mit Verve gedrehter Geniestreich, aber ein klug durchdachtes, kurzweilig und unaufgeregt inszeniertes Drama, das angenehm aus dem oft pompösen Kinodurchschnitt herausragt und sich im Programm der Filmtheater einen Platz verdient hat.
Kommentar verfassen

Kommentieren