The Road to Guantanamo

Drama | Großbritannien 2006 | 95 Minuten

Regie: Michael Winterbottom

Semi-dokumentarisch wird vom Schicksal der "Tipton Three" erzählt, dreier junger Briten mit pakistanischen Wurzeln, die während einer Reise in Afghanistan festgenommen und im US-Gefangenenlager Guantanamo zwei Jahre lang als Terror-Verdächtige festgehalten wurden. Der Film mischt Interviews mit den jungen Männern, Fragmente von Medienberichten sowie nachgestellte Spielszenen, die die Reise sowie die Inhaftierung bebildern. Aufgrund mangelnder Distanz und analytischer Tiefe kein bleibendes Dokument, überzeugt der ganz bewusst Partei nehmende Film als aufrüttelnder Appell gegen die Verletzung der Menschenrechte. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE ROAD TO GUANTANAMO
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Revolution Films/Screen West Midlands
Regie
Michael Winterbottom · Mat Whitecross
Buch
Michael Winterbottom · Mat Whitecross
Kamera
Marcel Zyskind
Musik
Molly Nyman · Harry Escott
Schnitt
Michael Winterbottom · Mat Whitecross
Darsteller
Farhad Harun (Ruhel) · Arfan Usman (Asif) · Riz Ahmed (Shafiq) · Waqar Siddiqui (Monir) · Shahid Iqbal (Zahid)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Falcom (1:1.85/16:9/Dolby Digital 5.1)
DVD kaufen

Diskussion
Der Kontrast zwischen den ernsten Männern mit langen Bärten, die im perfekt ausgeleuchteten Studio vor weißem Hintergrund interviewt werden, und den milchgesichtigen Teenagern, die vor einer pseudodokumentarisch verwackelten Handkamera deren Martyrien nachspielen, könnte kaum augenfälliger ausfallen. Dennoch wird er in Michael Winterbottoms Dokudrama nirgends thematisiert. Am Ende des Films deuten Ruhel Ahmed, Asif Iqbal und Shafiq Rasul an, dass sie erst durch die Erfahrung der Gefangenschaft wirklich zum Islam gefunden hätten. Doch genügt das, um den Widerspruch der Bilder zu erklären? Vielen offensichtlich nicht. Neben Lob, Schulterklopfen und dem „Silbernen Bären“ der „Berlinale“ 2006 mussten Winterbottom und Mat Whitecross für ihren brisanten Film über drei britische Moslems, die zwei Jahre lang auf „Guantanamo Bay“ inhaftiert waren, ehe sie ohne Gerichtsverhandlung freigelassen wurden, auch reichlich Tadel einstecken. Ein Hauptvorwurf: Die Dokumentation suggeriere Fakten, liefere aber nur blanke Polemik. Die Skepsis, ob das, was der Film vorführt, viel mit der Wahrheit zu tun hat, scheint berechtigt: Der dramaturgische Aufbau ist nicht nur unkritisch, sondern auch reichlich spekulativ. An keiner Stelle werden die Aussagen der drei Ex-Guantanamo-Insassen hinterfragt. Stattdessen liefern sie den Anstoß für Spielszenen, die offen lassen, was auf Augenzeugenberichten basiert, gemutmaßt wurde oder schlicht erfunden ist. Rein filmisch freilich geht das Konzept auf. Der Wechsel zwischen sachlich fotografierten Interview-Ausschnitten und im grobkörnigen Reporter-Stil nachgespielten Szenen sorgt für Dynamik und Abwechslung. Aus einem spröden Gesprächsprotokoll wird so ein rasanter, gut gespielter Doku-Thriller – ein atemberaubender Reality-Schocker. Der „Thrill“ aber ist bekanntlich der Feind der Wahrheit. Zweifel an der Geschichte, die Winterbottom entlang der Erzählungen seiner Protagonisten entwirft, sind also erlaubt. Zumal sich Gesagtes und Gezeigtes mitunter widersprechen, und auch der aus Zufällen, Missgeschicken und Missverständnissen gewebte rote Erzählfaden nicht unbedingt überzeugt. Im September 2001 brechen Ruhel, Shafiq und Monir demnach von Tipton, England, zur Hochzeit ihres Freundes Asif nach Pakistan auf. Weil sie schon einmal so weit gekommen sind und gehört haben, dass im benachbarten Afghanistan mannshohes Fladenbrot gebacken wird, wollen sie zu viert einen Abstecher dorthin machen – und „helfen“ wollen sie außerdem, wem auch immer. Sie schließen sich anderen an, die ebenfalls „helfen“ wollen, ahnen aber nicht, dass die darunter „kämpfen“ verstehen. Als der Krieg ausbricht, finden sie sich zwischen den Taliban in Kunduz wieder, wo sie von Truppen der Nordallianz gefangen genommen und später an die Amerikaner übergeben werden. Das alles mag unglaubwürdig klingen. Doch wer hätte nicht schon am eigenen Leib erfahren, was für unglaubwürdige Geschichten das Leben bisweilen schreibt? In Kunduz verliert sich die Spur von Monir. Darüber, wie er verloren ging, gibt es im Film zwei Versionen. Zunächst soll er plötzlich weggewesen sein. In den Spielfilmszenen sieht man, wie seine Freunde vergeblich nach ihm suchen. Später, bei einem Verhör auf Guantanamo, heißt es, Monir sei mit den ersten Lastwagen weggefahren, die beschossen wurden; ein weiterer unaufgelöster Widerspruch. Doch was wäre damit bewiesen? Dass sich die ganze Geschichte in Wirklichkeit anders abgespielt haben könnte? Dass Winterbottom eine vehement subjektive Sichtweise vertritt? Wer hätte etwas anderes erwarten dürfen von dem eigenwilligen Regisseur, der in seinem breiten Werkspektrum zwischen Kriegsdrama („Welcome to Sarajevo“, fd 33 177), Sozialkino („In this World“, fd 36 128) und Kunstporno („9 Songs“, fd 36 870) immer wieder den Tabubruch sucht, aufrütteln und provozieren möchte? Winterbottom mag an die Version der von ihm verfilmten Geschehnisse glauben, sein Film beansprucht deren Wahrheit nicht. Er lässt drei Menschen zu Wort kommen und stellt deren Geschichte szenisch nach. Mehr nicht. Nie verhehlt er seinen subjektiven, fiktionalen Charakter. Worum es Winterbottom geht, ist nicht Wahrheit, sondern Wahrhaftigkeit. Es ist nicht entscheidend, ob alles gerade so ablief, wie es der Regisseur und seine drei Hauptfiguren schildern; ob die Tipton-Drei wirklich völlig „unschuldig“ waren, als sie gefangen genommen wurden, ob sie tatsächlich wie Vieh in einem Container transportiert wurden, in den ohne Vorwarnung von außen Luftlöcher geschossen wurden, sodass die ersten Gefangenen im Kugelhagel starben. Es kommt nicht darauf an, ob die drei wirklich das Kondenswasser von der Container-Wand trinken mussten, um zu überleben. Ausschlaggebend ist auch nicht, ob ihre Schilderungen von der entwürdigenden Behandlung in den Camps „X-Ray“ und „Delta“, im „Zoo“ oder „Isolationstrakt“ auf Guantanamo im Detail der Realität entsprechen. Entscheidend ist, dass all das vorstellbar, ja – wenn nicht in diesen, dann in vielen anderen, auch von „amnesty international“ dokumentierten Fällen – wahrscheinlich ist. Solange ein rechtsfreier, willkürlicher Zwangsraum wie Guantanamo Bay existiert, ist es das Recht, vielleicht sogar die Pflicht eines politisch engagierten Filmemachers, dagegen zu polemisieren. Winterbottom tut dies in radikal einseitiger Weise. Geschickt spielt er den fiktiven Wissensvorsprung, den er den Zuschauern mit auf den Weg gibt, gegen die verhörenden US-Soldaten aus. Wer gesehen hat, um was für „liebe Jungs“ es sich bei den drei Beschuldigten handelt, muss die Unterstellung, sie gehörten den Taliban oder Al Kaida an, lächerlich finden und spätestens bei der Frage „Wo ist Osama Bin Laden?“ auflachen. Die vernehmenden Beamten kennen Winterbottoms Wahrheit nicht, aber sie haben noch gut die traumatisierenden Bilder von verzweifelten Menschen in Erinnerung, die aus Fenstern des brennenden World Trade Centers in den Tod sprangen. Winterbottoms manipulative Montage will davon nichts wissen. „Road to Guantanamo“ ist kein Film, der abwägt und differenziert. Er bezieht eine klare Position oder vielmehr: eine Gegenposition. Den Standpunkt, von dem er sich abgrenzt, gibt gleich zu Beginn US-Präsident George W. Bush vor, wenn er kategorisch für alle Guantanamo-Häftlinge erklärt: „These are bad people.“ Winterbottom stellt für seine Helden die Gegenthese auf: Das sind gute Menschen. Zwei unbewiesene Behauptungen mit grundverschiedenen Konsequenzen. Wer nun also Beweise einfordert, sollte sich zunächst nicht an Winterbottom richten.
Kommentar verfassen

Kommentieren