The Sounds of Silents - Der Stummfilmpianist

Dokumentarfilm | Deutschland/Tschechien 2005 | 84 Minuten

Regie: Ilona Ziok

Einfühlsames Porträt des 1904 geborenen Stummfilmpianisten Willy Sommerfeld, der in den 1920er-Jahren durch sein akzentuiertes Spiel zu einem Meister seines Metiers avancierte und mit der Renaissance der Stummfilme in den 1970er-Jahren ein neues Publikum fand. Der liebevoll gestaltete Dokumentarfilm stellt den außergewöhnlichen Künstler und die Spannbreite seines Schaffens vor, bezieht dabei Ausschnitte aus Stummfilmklassikern ein und präsentiert den bescheidenen Pianisten auch in seinem privaten Umfeld. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Tschechien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
CV-Films/NDR/Vera Vista/Matti Film
Regie
Ilona Ziok
Buch
Ilona Ziok
Kamera
Sergej Jurisditskij · Wojciech Szepel · Erik Krambeck · Peter Domsch
Musik
Willy Sommerfeld
Schnitt
Ludmilla Korb-Mann · Dietmar Kraus · Peter Domsch
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Willy Sommerfeld, geboren am 11. Mai 1904 in Danzig, kam nach dem Staatsexamen als Musiklehrer zum Studium der Komposition und des Dirigierens nach Berlin. Dort verdiente er als Stummfilm-pianist in kleineren Kinos und als Redakteur eines Musikverlags seinen Lebensunterhalt. Mit dem Aufkommen des Tonfilms waren die Goldenen Zwanziger für ihn allerdings beendet. Sommerfeld verdingte sich als Kapellmeister am Braunschweiger Theater, wurde aber nach dem Verweigern des „deutschen Grußes“ entlassen. In den Jahren danach hielt er sich mit Aufträgen fürs Militär, für Hörfunk und Zirkus über Wasser. Nach dem Bau der Berliner Mauer wechselte der ehemalige „Freistaatler“ aus Danzig in den Westen. Seine „Wiederentdeckung“ als Solopianist verdankt Willy Sommerfeld der Stummfilm-Renaissance Anfang der 1970er-Jahre. Ulrich Gregor lud den 163 Zentimeter großen Musiker zur Begleitung von Stummfilmen ins „Arsenal“ ein: Jung und Alt feierten den Meister begeistert. Er war ein genialer, authentischer Improvisator, der alle Stimmungen auf der Leinwand innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde abrufen und umsetzen konnte – ohne das sonst übliche lieblose Tastengeklimper. Wie ein Schachspieler, der knifflige Situationen vorausahnt, erfasste und interpretierte Sommerfeld zugespitzte Geschichten und ging mit ihren Konnotationen traumwandlerisch sicher um. Perlende Läufe, grollende Moll-Akkorde, beschwingte Heiterkeit, das Sichverlieren im Nichts – alle Klangfarben und Emotionen sind quasi auf Knopfdruck abrufbar. Sein Gedächtnis hat die zeitgenössischen Erinnerungen und Klangwelten gespeichert, gestattet bildsynchrone Paraphrasierungen und ironische Zwischentöne – im Gegensatz zu den durchkomponierten Partituren, die vor allem in großen Erstaufführungskinos von Orchestern gespielt wurden. Willy Sommerfelds Spiel repräsentiert die Vitalität und Spontaneität aus der Tradition der Stummfilmära, stellt die individuelle Neu-Interpretation über die relativ starre Reproduktion. „Das Bild diktiert die Musik“, lautet seine Devise. Wenn man ihn Josef von Sternbergs „Der letzte Befehl“, Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Der fremde Vogel“ von Urban Gad begleiten sieht und hört, versteht man intuitiv diese hohe Kunst. Dass er sein Rohmaterial, den zu begleitenden Film, vor der Aufführung nicht ansieht oder gar einstudiert, ist ihm dabei von den Verfechtern der Originalmusik immer mal wieder vorgeworfen worden. Die Montage der Filmemacherin Ilona Ziok arbeitet mit Ausschnitten berühmter Stummfilme, stellt dem virtuosen Spiel Willy Sommerfelds Erinnerungen und Anmerkungen des Künstlers sowie seiner Frau gegenüber, die ihm Jahrzehnte zur Seite stand. Auch Sohn Sebastian, der unter der „Last des Vaters“ litt, steuert eine weitere Facette zu dieser Biografie bei. Für Ziok ist Sommerfeld „das Fossil einer vergangenen Ära, Augenzeuge eines ganzen Jahrhunderts im Leben und in seiner Kunst, mit einem musikalischen Gedächtnis, das auf das 19. Jahrhundert zurückgreift, während wir uns bereits im 21. Jahrhundert befinden“. Statements von Ulrich Gregor und dem Filmwissenschaftler Karl Prümm erläutern die herausragende Popularität und die Bedeutung der einzigartigen Karriere des talentierten Musikers. Jenem gelingt „als zweitem Erzähler in einem musikalischen Diskurs... das Komponieren im Augenblick der Begleitung eines Films“. Der feinfühlige Dokumentarfilm, der der Legende noch zu Lebzeiten ein kleines Denkmal setzt, gestattet auch einen Blick hinter die Kulissen, in das Privatleben eines bescheidenen Menschen. Das durchaus wechselvolle Verhältnis zu seinem Sohn und zu seiner Frau wird in den Gesprächen nicht ausgeblendet: besonders hübsch sind in diesem Kontext die kontrastierende Sequenz aus Ernst Lubitschs Humoreske „Die Austernprinzessin“ sowie das Thema des Abschieds vom Berufsleben im Ausschnitt aus Murnaus „Der letzte Mann“. Die Parallelmontage von Walther Ruttmanns „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ zur Gegenwart der Bundeshauptstadt vermittelt einen wehmütigen Kontrast und besonderen Reiz.
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