Biopic | Großbritannien 2005 | 102 Minuten

Regie: Stephen Woolley

Film über Brian Jones, den "Rolling Stones"-Gitarristen, der in den 1960er-Jahren mit Drogen, Sex, Blues und außereuropäischer Musik experimentierte. 1969 wurde er tot in seinem Swimmingpool gefunden. Der Film meidet die Untiefen eines herkömmlichen Biopics, zeigt weder eine Erfolgsstory noch interessieren ihn die wirklichen Todesumstände; vielmehr entwirft er ein komplexes semi-dokumentarisches Bild des "Swinging London" jener Jahre, deren psychedelisches Aufbruchsklima sich heute nur noch schwer vermittelt. Das ambitionierte Porträt einer Epoche, deren Liberalität nie so mehrheitsfähig war, wie in der retrospektiven Verklärung gerne dargestellt wird. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
STONED
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Number 9 Films/Finola Dwyer Prod.
Regie
Stephen Woolley
Buch
Neal Purvis · Robert Wade
Kamera
John Mathieson
Musik
David Arnold
Schnitt
Sam Sneade
Darsteller
Leo Gregory (Brian Jones) · Paddy Considine (Frank Thorogood) · David Morrissey (Tom Keylock) · Ben Whishaw (Keith Richards) · Tuva Novotny (Anna Wohlin)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
VCL (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Zum Zeitvertreib von Fans der Rock-Musik gehören Diskussionen über den Werdegang populärer Bands. Man erinnere sich nur an Patrick Batemans („American Psycho“, fd 34 430) denkwürdige Eloge auf die späten Genesis, nachdem Peter Gabriel seine Verkleidungen als Streichholzschachtel oder Gänseblümchen an den Nagel gehängt und sich als Solokünstler neu erfunden hatte. Ältere Genesis-Fans sind dagegen nicht gut auf Phil Collins zu sprechen. Analoge Debatten kann man anhand des Karriereverlaufs von Pink Floyd (mit und post Syd Barrett) oder der Rolling Stones (mit und post Brian Jones) führen. Mancher Nachgeborene mag sich nun fragen: „Wer ist Brian Jones?“ Der britische Regisseur Stephen Woolley ist angetreten, um mit „Stoned“ ein wenig Nachhilfeunterricht in Sachen Rock-Historie zu liefern, und was man dabei lernen kann, lässt sich in wenigen Sätzen fassen: Der Gitarrist Brian Jones war ein visionärer Künstler, der dank seines Naturells und unzähliger Drogen seiner Zeit voraus war. Im Vergleich zu ihm, der als Klangforscher in Marokko religiöse Folklore aufnahm oder mit Freundin Anita Pallenberg in Deutschland Filme wie Schlöndorffs „Mord und Totschlag“ (fd 14 683) mit Swinging London-Pop-Appeal bereicherte, waren die anderen Stones auf ihre Karriere bedachte Pop-Spießer. Denen ging das Drogen umnebelte Genie gehörig auf die Nerven. Auch die Bauarbeiter, die ihm beim Umbau seines Landsitzes in East Sussex helfen sollten, fanden seine psychedelischen Eskapaden weniger lustig, schätzten eher die Möglichkeit, für wenig Arbeit gutes Geld zu verdienen. Etwas anders lag der Fall bei ihrem Chef, dem Bauunternehmer Frank Thorogood, der sich von Jones’ bohemistischen High Life anstecken ließ, immer wieder aber Opfer von dessen Macht- und Psychospielen wurde. Als sich die Situation menschlich wie ökonomisch zuspitzte und sich das Ende der „Liebesbeziehung“ zwischen dem Bauarbeiter und dem Dandy abzeichnete, ertränkte Thorogood diesen im Pool. Kein Vorsatz, eher eine billigende Inkaufnahme, meint der Film. Soweit die (durch neuere Studien bestätigte) Legende. Am Mordkomplott ist „Stoned“ aber nur am Rande interessiert, vielmehr will Woolley ein Bild der Jahre des Swinging London zeichnen. Dabei fällt Brian Jones die tragische Rolle des Protagonisten zu, der den libertinären Aufbruch und die Bewusstseinserweiterung nicht als Pose, sondern existenziell verstand – und 1969 mit Drogen, Sex, Blues und außereuropäischen Musiken experimentierte. Hier kommt der Song „Ballad of A Thin Man“ von Bob Dylan ins Spiel, der wohl von der Arroganz der Gegenkultur erzählte, den Brian Jones aber unerklärlicherweise immer auf sich bezog: „You know something is happening, but you don’t know what it is, do you, Mister Jones?“ „Stoned“ erzählt die Geschichte semi-dokumentarisch in der Manier jener Jahre, verdoppelt das einem heutigen Publikum kaum zu vermittelnde Flair des psychedelischen Aufbruchs mit seinen modischen Extravaganzen. Der Film beginnt zwar 1962, als Jones noch die Rolling Stones managte, springt dann aber in die Todesnacht, um von dort retrospektiv einige Stationen des Werdegangs des Musikers eher oberflächlich zu rekapitulieren. Wichtige Momente sind die Begegnung mit Anita Pallenberg, ein Aufenthalt in Marrakesch und das Dahindämmern im Landsitz Cotchford Farm, der einmal A.A. Milne, dem Autor von „Winnie The Pooh“, gehörte. Dabei ist „Stoned“ kein Biopic über den Aufstieg der Rolling Stones und auch kein Schlüsselfilm über die Sixties; unübersehbar hat ein anderer Film Pate gestanden, der ein wichtiges Mosaiksteinchen der Stones-Mythologie ist: „Performance“ (1970) von Donald Cammell und Nicholas Roeg, ein visueller Trip, ein mäandernder Film über proletarische Gangster und weltflüchtige Popstars, sexuelle Libertinage und Persönlichkeitsspaltungen, in dem Mick Jagger (vielleicht sogar) Brian Jones spielte. Anders als der unscharf-nostalgische „Stoned“ war „Performance“ ein absolut zeitgenössischer Film, dessen Produktion selbst Stoff für Legenden lieferte; demgegenüber entwickelt „Stoned“ klar und bemerkenswert rational die etwas altbackene Geschichte von der verlorenen Unschuld des Rock’n’Roll. Interessant daran ist ein klassentheoretischer Aspekt, den Woolley aufgreift, und der in einigen britischen Filmen der 1960er-Jahre eine Rolle spielte. Er erzählt davon, dass die an die Pop-Kultur gebundene Liberalisierung weder sozial noch generationell mehrheitsfähig war, sondern erheblich auf Ressentiments stieß. Bereits „Performance“ erzählte davon, dass auch die Londoner Gangster die psychedelische Ära abstoßend und zugleich inspirierend fanden. Auch Thorogood ist vom glamourösen Lebensstil des Popstars fasziniert, nimmt Drogen und lässt seine Haare wachsen, wird allerdings gerade dadurch zum Opfer der Arroganz des trotz allem bürgerlich gebliebenen Pop-Stars. In dieser Zeichnung der Herr-Knecht-Dialektik variiert „Stoned“ einen weiteren britischen Schlüsselfilm der 1960er-Jahre: Joseph Loseys „Der Diener“ (fd 13 042) – wie „Performance“ mit James Fox. Die ambivalente Zeichnung der Swinging Sixties in „Stoned“, die deren popkulturellen Glamour dementiert oder zumindest dekonstruiert, fanden die Rolling Stones Mick Jagger und Keith Richards „not amusing“, weshalb kein einziger Stones-Song im Original zu hören ist. Freilich wäre ein Soundtrack mit Original-Stones-Songs wohl auch zynisch gewesen.
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