Il Palio - Das Rennen von Siena

Dokumentarfilm | Niederlande 2004 | 88 Minuten

Regie: John Appel

Beobachtungen bei den Vorbereitungen zum berühmten Pferderennen von Siena, dem Palio, an dem jährlich zehn der 16 Stadtteile teilnehmen. Der Film konzentriert sich auf das Civitta-Viertel und beobachtet die Erwartungen und Gefühle, mit denen dem Ereignis entgegengefiebert wird. Der unterhaltsame Dokumentarfilm vermittelt kommentarlos italienische Mentalität und Lebensfreude und präsentiert eine gewachsene Symbiose aus Tradition, Geschäft und Religion. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DE LAATSTE OVERWINNING | THE LAST VICTORY
Produktionsland
Niederlande
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Cobos Films/IKON
Regie
John Appel
Buch
John Appel
Kamera
Erik van Empel
Musik
Wouter van Bemmel
Schnitt
Mario Steenbergen
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (1.85:1, DD2.0 ital.)
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Diskussion
Seit in der Nachfolge des Dichterfürsten Goethe (Bildungs-)Touristen Italien auf den Spuren der Antike und der Suche nach Arkadien auf- und heimsuchten, gilt die Piazza del Campo, der Marktplatz der toskanischen Stadt Siena, als einer der schönsten Plätze der Welt. Diesem Urteil kann man sich schnell anschließen, wenn man in Muße über das Oval blickt, das im August zum Austragungsort des ältesten und wohl auch härtesten Pferderennen der Welt wird – des Palio. John Appels kenntnisreicher und liebevoller Dokumentarfilm führt in die Hintergründe dieser traditionsreichen Veranstaltung ein, die weit mehr ist als ein Sportereignis und für die meisten Beteiligten eine Frage der Ehre darstellt. Jedes Jahr dürfen zehn der 16 Stadtteile Sienas, die Contraden, am Rennen teilnehmen; Appel konzentriert sich auf den Kleinsten, Civitta, dessen letzter Sieg nunmehr 24 Jahre zurück liegt und dessen Bewohner sich nichts sehnlicher wünschen, als dass ihr Pferd gewinnen möge. Nicht auf den gemieteten Berufsjockey kommt es an, der das ebenfalls ausgeliehene Pferd, das vier Tage vor dem Rennen der Contrade zugelost wird, lenken soll und den Konkurrenten auch durch Gebrauch des Ochsenziemers um seine Erfolgschancen bringen darf, sondern allein auf das Pferd, das selbst ohne Reiter siegen kann und kurz nach seiner Zulosung im Stall der entsprechenden Contrade, der wie ein Wohnzimmer hergerichtet ist, Einzug hält. Das hört sich ein wenig verrückt und übertrieben an und ist es wohl auch, spiegelt aber auch eine typisch italienische Lebensart, in der sich die tiefe Verwurzelung mit den eigenen Ursprüngen, Leidenschaften und Hoffungen ein Ventil schafft. Der Film beginnt sechs Wochen vor dem Ereignis und konzentriert sich auf zwei Protagonisten: den 92-jährigen Egidio, der noch einen Sieg seines Viertels erleben möchte, bevor er stirbt, und den 21-jährigen Paolo, der als Stallbursche das Pferd pflegen darf und dies als hohe Ehre empfindet. In diesem emotionalen Umfeld spielt sich der Palio ab, und es würde Wunder nehmen, wenn im katholischen Italien nicht die Kirche zur Stelle wäre. Pferde und Reiter werden gesegnet, die Glocken läuten, der Erzbischof zelebriert eine Messe, die Jungfrau Maria, der die eigentlich zwei Rennen geweiht sind, rückt als Mittlerin menschlicher Wünsche ins Zentrum des Interesses. Je näher das Rennen rückt, um so heftiger bestimmen Feste das öffentliche Leben, und selbst junge Frauen, die den letzten Sieg Civittas nur vom Hörensagen kennen und sich immer wieder auf ihre Taufkirche berufen, brechen in Erwartung eines möglichen Sieges in Tränen aus. Dann naht der Palio: drei Runden auf der Piazza del Campo, Hunderttausende von Zuschauern, eine mehrstündige Fernsehübertragung – und in gut 70 Sekunden ist alles vorbei. Auch der Traum der Civittesen. Egilio und Paolo sind am Boden zerstört. „Il Palio“ ist ein sinnlicher, stets unterhaltsamer Dokumentarfilm, dazu ein äußerst kluger, weil er es versteht, italienische Mentalität transparent zu machen: Lebensfreude pur, das Prinzip Hoffnung, der Sturz ins Bodenlose. Ohne Kommentar vermittelt er ein Bild der italienischen Gesellschaft, in der Traditionen, Geschäft, Religion, der Sinn für die kleinen Dinge des Lebens und die Lust auf das große Erleben zu einer Symbiose finden, von der sich viele Nordlichter magisch angezogen fühlen. Dabei verklärt Appel nichts, sondern zeigt den Lauf der Ereignisse, auch wenn er dies mit der Konzentration auf seine Protagonisten emotional unterfüttert. Am Ende steht der Katzenjammer nach den Rennen: Civitta wacht ernüchtert auf; die Bewohner schleichen durch die nun stillen Gassen. Aber auch der Zuschauer weiß, dass in 46 Wochen ein neuer Palio zu bestreiten ist und dass die Verlierer die nächste Herausforderung wieder mit vollem Herzen und unbändiger Hoffnung annehmen werden. Schöner kann das Leben – trotz vieler Tiefschläge – eigentlich nicht sein.
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