Rossellini Visto da Rossellini

Dokumentarfilm | Italien 1992 | 62 Minuten

Regie: Adriano Aprà

Filmdokumentation über Roberto Rossellini, einen der Hauptvertreter des italienischen Neorealismus. An Hand zahlreicher Filmausschnitte, Fotos und Selbstaussagen wird der Zuschauer nicht nur mit der widersprüchlichen Persönlichkeit Rossellinis vertraut, er erhält zugleich einen Einblick in diese in den 40er und 50er Jahren richtungsweisende Filmschule. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
ROSSELLINI VISTO DA ROSSELLINI
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Istituto Luce Italnoleggio Cinematografico
Regie
Adriano Aprà
Buch
Adriano Aprà
Schnitt
Gabriella Brunamonti
Länge
62 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Kaum ein Werk wurde in der Geschichte des Kinos so sehr diskutiert wie das von Rosseilini: zum einen wurde Rossellini immer primär als Neorealist Zavattinischer Prägung gesehen, doch sein Werk wehrt sich dagegen, sperrig wie es ist, nach allen Seiten hin offen; es war Neorealismus Rossellinischer Prägung, für ihn war selbst "Giovanna d'Arce al Rogo" ein neorealistisches Werk; zum anderen war Rossellini noch eine Speerspitze der Autorentheorie, irgendwie mußten bestimmte Dinge in Einklang gebracht werden; so verteidigte Andre Bazin "Viaggio in Italia" als zentrales Werk des Neorealismus gegen die Angriffe des führenden marxistischen Filmkritikers Italiens Guido Aristarco. Wobei der Neorealismus von Anfang an keine einheitliche Bewegung war. Zum ersten Mal tauchte der Begriff 1930 auf, ab Mitte der 40er, während des Faschismus, beginnen einige Leute, sich Gedanken über diesen Begriff zu machen - zumindest gibt es bald Filme, die man unter dem Begriff Neorealismus versammelt. Das Ganze hat etwas ziemlich Willkürliches; Rossellini und Zavattini wurden zu zentralen Größen, alles drehte sich um "Roma, citta aperta". Über Blasettis "Quatro passi fra nel vuolo" (1948) beispielsweise wird in diesem Zusammenhang selten gesprochen. Wahrscheinlich haben am Ende doch jene Esoteriker unter den Rossellini-Theoretikern recht, die sagen, daß die Essenz Rossellinis und des Kinos überhaupt in den Werken seiner Bergman-Phase liegt: die Transzendierung sowohl des Hollywood-Kinos wie des orthodoxen Neorealismus zu einer Ebene der Wahrheit. die in der Spannung zwischen dem Gesicht Ingrid Bergmans und den Landschaften Italiens liegt.

Adriano Apra, der vermutlich weltweit beste Rossellini-Kenner, läßt dem Anschein nach den Meister durch seine Filme, Dokumentationen über ihn, Filmbilder, private Fotos und Werbung (Plakate etc.) sprechen; aber nicht nur. In zwei Szenen wird Rossellini durch Familienmitglieder kommentiert: in der Mitte durch Ingrid Bergman, über einige Meter eines Home Movie, das sie während der Dreharbeiten an "Stromboli, terra di Dio" realisierte, sowie in der vorletzten Szene des Films durch seine Tochter Isabella; danach fährt er winkend auf einen See hinaus.

Natürlich spricht hier Rossellini über sich, aber es ist doch schon sehr nachdrücklich Apra, der hier seine Vision von Rossellini und seiner Arbeit ausbreitet. Ein Diskurs aus bewegten und stehenden Bildern, Schwarz-Weiß und Farbe, Erklärungen und Vertiefungen -oder Widersprüchen. Die Risse und Kanten in diesem Oeuvre werden nicht geglättet, für vieles gibt es keine Erklärung - zumindest keine gefilmte. Viele irritiert immer wieder Rossellinis scheinbar müheloser Übergang vom Paschismus in den Widerstand. Das wird im Film nicht weiter kommentiert, abgesehen vielleicht von einer sehr interessanten Montagesequenz aus mehreren Filmen Rossellinis, die sich mit dem Faschismus und der Resistenza beschäftigen ("Paisa", "Era notte a Roma", "L'Anno Uno"). Die Sequenz spricht von der Angst der Menschen vor dem Menschen, vor allen Dingen spricht sie von der Idee eines geeinten Italiens. Konsequenterweise endet die Szene dann auch mit dem Jubel aus "L'Anno Uno". Dieser letzte Kinofilm Rossellinis ist auch der letzte Film, den Apra als "Kommentar" verwendet. Im Kern ein Film über die DC (Democrazia Christiana), darüber, daß Italien zu einem christdemokratischen Staat wurde. Vielleicht brauchte sich Rossellini überhaupt nicht anzupassen beim Übergang vom Faschismus zum neuen Italien, weil es gar kein neues Italien gab, und weil der Bürgersohn Rossellini mit seinen humanistischen Idealen immer richtig lag. Rosseilini hat sich anscheinend darüber nie auf Film geäußert, nur in Filmen - und in einem Interview. Wo er auf eben diese Verbindung durch die Aufzeichnung bestimmter Verwandtschaften zwischen seinen Filmen und bestimmten Vorgängern hinweist.

Apra kommt am Ende sehr nah an Rossellini heran, weil am Ende der bürgerliche Humanismus der gemeinsame Nenner, der Mensch und seine Suche das eigentliche Ziel, der Versuch des Großen Plans der Lebensentwurf ist. Rossellinis Oeuvre ist am Ende sein Leben und seine Idee vom Leben, das Leben, daß er sich träumte, und der Versuch, daß Leben zu verstehen. Dies ist Apras Schluß; es wäre falsch gewesen, den Film mit einem Ausschnitt aus "II Messia" zu schließen, das wäre viel zu eindeutig gewesen - vor allem angesichts der Tatsache, daß Rossellini über seinem Marx-Drehbuch "Lavorare per la umanita" starb. Doch, die Wahrheit ist das Gesicht Ingrid Bergmans als das vielleicht einzige Eindeutige in einem Puzzle ohne Sinn, mit Sinn, Verstand.

(Apras Film ist Teil eines Zyklus von Fernsehdokumentationen, Essays über die Geschichte des italienischen Films. Bislang fertiggestellt wurden: "Il Neorealismo fine del..." - drei Teile über drei entscheidende Jahre in der Entwicklung des Neorealismus -, ein Film über Cesare Zavattini und einer über Alessandro Blasetti.)
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