Die Quereinsteigerinnen

Komödie | Deutschland 2005 | 81 Minuten

Regie: Rainer Knepperges

Zwei Freundinnen entführen den Chef der Telekom, um zu erzwingen, dass die gelben Telefonhäuschen der 1970er-Jahre wieder aufgestellt werden. Der Coup gelingt, und bald macht der zunächst latent beleidigte Manager sogar gemeinsame Sache mit seinen Entführerinnen. Karg ausgestattete, überwiegend improvisierte Low-Budget-Satire, deren Nonsens-Dialoge durchaus Charme besitzen, ohne den finessenarmen Film aber wirklich tragen zu können. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Rif Film Prod.
Regie
Rainer Knepperges · Christian Mrasek
Buch
Rainer Knepperges
Kamera
Matthias Rajmann
Musik
Thomas Hermel · Die heiligen Söhne des Ackers
Schnitt
Kawe Vakil
Darsteller
Nina Proll (Barbara) · Claudia Basrawi (Katja) · Mario Mentrup (Stefan) · Rainer Knepperges (Harald Winter) · Klaus Lemke (Korn)
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie
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Heimkino

Verleih DVD
Sunfilm (1:1,85/16:9/Deutsch dts/ DD 5.1)
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Diskussion
Nein, von kreativen Krisenlösungen auf einem angespannten Arbeitsmarkt handelt dieser Film nicht, vielmehr von dem Unbehagen, das die Vertreibung aus dem Paradies der alten Bundesrepublik Deutschland in den Köpfen der heutigen 30– bis 40-Jährigen hinterlassen hat. In der zunehmend deregulierten Gesellschaft des vereinigten Deutschland verschwinden die Koordinaten der West-Kindheit unwiederbringlich aus dem Alltag und hinterlassen eine Lücke, die sich scheinbar nur noch mit Nostalgie und der Verweigerung, erwachsen zu werden, schließen lässt. Die Low-Budget-Satire „Die Quereinsteigerinnen“ ist für diesen Phantomschmerz symptomatisch, stellt sie doch den Verlust der sonnengelben Telefonzellen der späten 1970er-Jahre in den Mittelpunkt einer unbekümmert anarchischen Komödienhandlung. Um die gemütlichen alten Telefonhäuschen zurück zu erpressen, beschließt Chaufferin Barbara mit ihrer besten Freundin Katja spontan, den Chef der Telekom auf seinem Weg zum Flughafen zu entführen. Die RAF-Attitüde reicht gerade bis zur Tat, denn als die Frauen den latent beleidigten Manager in einem Ferienhaus im seltsam gebirgigen Schleswig-Holstein deponieren, ist ihr revolutionärer Elan bereits erschöpft. Er reicht gerade noch, um Harald Winter (Nachfolger von Ronald Sommer?) sein Handy und die Wagenschlüssel wegzunehmen, ihn mit einer Bratpfanne zu bedrohen und mit Schlaftabletten gefügig zu machen. Da das Duo – aus dem ein Trio wird, als Katjas Ex dazu stößt – jede Gewaltanwendung meidet, um juristische Konsequenzen des ostentativ dilettantischen Kidnappings zu minimieren, gestalten sich die Versuche, die Geisel an der Flucht zu hindern, entsprechend unbeholfen und mitunter tatsächlich komisch. Frei nach dem Motto, früher war alles besser, fantasiert sich Katja zwischendurch gerne nach Utopia alias Uruguay, wo „die Menschen heute noch freiwillig so wie in den 1970er-Jahren leben. Die haben alle Arbeit und sitzen den ganzen Tag über entspannt im Café“. Bei dieser verklärenden Sicht auf südamerikanische Verhältnisse wird man den Eindruck nicht los, der Spaßgeneration beim Absturz in die Hartz-IV-Depression zuzuschauen. Im Gegensatz zu Hans Weingartners zeitgleich entstandenem und frappierend ähnlich angelegtem Entführungsplot aus „Die fetten Jahre sind vorbei“ (fd 36 796) ist der selbstironische Ton der telephonilen Hobby-Entführer stets präsent, so wie überhaupt der ganze Film in seiner inszenatorischen und darstellerischen Unbeholfenheit wie das Produkt einer heiteren Oberstufen-Projektwoche wirkt – nur dass sich die Mehrheit seiner Verursacher längst in der Altersklasse der 40-Jährigen befindet. Die harmlosen Jungmädchenwitze und Albernheiten der beiden Damen, die sich mit Vorliebe im Doppelbett ins Leere laufende Einschlafgeschichten über die Vorzüge von Duzen und Siezen erzählen, kommen zwar sympathisch unangestrengt daher und versprühen den Charme des Unfertigen, tragen aber mit dem konsequent durchgehaltenen Nonsens der Dialoge nicht den ganzen Film – auch wenn den Mitwirkenden dieses sorglosen Freilichttheaters ihre kindliche Freude an der Irritation deutlich anzusehen ist. Zudem sind die karikaturhaft verzerrten Figuren kaum festzumachen, da sie ohnehin nur als Katalysator einer diffusen Verweigerungshaltung fungieren. Als wider Erwarten im nahe gelegenen Dorf die gelben Zellen eine Renaissance erleben, glaubt sich das Trio am Ziel; wären da nicht der finstere Sonderermittler der Telekom im Supermarkt, der sich berufsspezifisch in Szene setzt, und das seltsame Schweigen der Presse. Alles kein Grund zur Panik, da der Unterschlupf mit seinem authentischen 1970er-Jahre-Design wohlige Nestwärme verströmt und der entführte Workaholic mit professionellen Tipps für Siegerstimmung sorgt. Da lässt es sich beruhigt in Kunstpelzjacken eierlikörselige Seventies-Parties feiern, morgendliche Fitnessübungen im Kollektiv absolvieren und die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen lassen. Zum Schluss sieht man das freundschaftlich verbundene Quartett inmitten einer wild wuchernden Wiese durch einen Märchenwald dem offenen Ende entgegen flüchten. Vor wem, möchte man zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr wissen, denn ohnehin hat sich der vermeintliche Thriller in seiner eskapistischen Harmlosigkeit längst selbst dekonstruiert. Die der „Kölner Gruppe“, einem losen Zusammenschluss von Filmemachern aus dem Umfeld des Kölner Filmhauses und des Filmclub 813, angehörenden Regisseure Rainer Knepperges und Christian Mrasek liefern mit dieser Ode an die Kraft der Improvisation und die Sehnsucht nach der alten Übersichtlichkeit fern der Zwänge des Globalkapitalismus ihren ersten Langfilm und bewegen sich dabei humortechnisch irgendwo zwischen Helge Schneider und Wes Anderson. Gedreht auf Videomaterial, erreicht die optische Gestaltung, die karg ausgeleuchtet auf jegliche Finessen verzichtet, mühelos den Look von Low-Budget-Erfolgen wie „Muxmäuschenstill“ (fd 36 573). Für mehr als eine Fußnote im Jungen Deutschen Film reicht der zeitgeistig leicht verspätete Beitrag der sich dem „Übel“ der neuen Ernsthaftigkeit hartnäckig entziehenden Infantilisten-Fraktion jedoch nicht.
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