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Dokumentarfilm | Israel/Belgien/Frankreich 2006 | 97 Minuten

Regie: Amos Gitai

Dritter Teil von Amos Gitais Trilogie über ein Haus in Jerusalem, das die israelische Regierung 1948 von den ehemaligen palästinensischen Eignern an jüdische Einwanderer übergeben hat. Gitai spricht mit mehreren Generationen beider Seiten, auch mit Nachbarn und Bauarbeitern, zum Teil zum dritten Mal. Trotz seiner sehr persönlichen Herangehensweise, die sich auch in den Off-Kommentaren niederschlägt, enthält er sich jeden Urteils und zeigt damit auf subtile Weise nicht nur die Ansprüche beider Seiten, sondern auch deren Unvereinbarkeit. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
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Produktionsland
Israel/Belgien/Frankreich
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Agav Films
Regie
Amos Gitai
Buch
Amos Gitai
Kamera
Haim Asias · Nurith Aviv
Schnitt
Isabelle Ingold
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Amos Gitai ist ein Langzeitdokumentarist. Immer wieder kehrt er an Plätze zurück, die er bereits einmal oder öfter für Filmaufnahmen besucht hat, um nachzusehen, was aus den Orten und ihren Bewohnern geworden ist, aber auch, um seine eigene Haltung zu überprüfen. Bereits seinen Filmaufnahmen eines Unglücks, die er als Rettungsflieger gedreht hat, ließ er 20 Jahre später Bilder der Überlebenden folgen. Gitai, ein gelernter Architekt, bezeichnet sich selbst, auch zu Beginn seines jüngsten Films, als Archäologen, der versucht, Menschen und deren Leben Schicht für Schicht frei zu legen. An seiner Filmografie lässt sich aber auch die Chronologie der wesentlichen Ereignisse im Nahen Osten ablesen. Die kleinen, subjektiven Ausschnitte werfen immer ein Licht auf die Zeitgeschichte. Das gilt für seine Filme über ein Tal bei Haifa, das Wadi Rushmia, eine Trilogie, die 1981 begann und 2001 endete, ebenso wie die nunmehr ebenfalls dreiteilige Dokumentation über ein Haus in Jerusalem. Gitai bringt sich und seinen Prozess der Recherche immer wieder in die Erzählungen ein, liefert Begründung und Interpretation für seine Filme gleich mit, was manchmal redundant wirkt, den persönlichen Charakter seines Anliegens aber unterstreicht. Hier wird nicht Politik erklärt, sondern schlicht Leben gezeigt, das ganz konkret gezeichnet ist vom großen Ganzen. Zum zweiten Mal also kehrt Gitai zurück zu einem Haus in West-Jerusalem, das ursprünglich einem palästinensischen Arzt gehörte, dann von Israel als verlassen deklariert und an jüdische Einwanderer übergeben wurde. Gitai spricht mit allen: Der Sohn des verstorbenen Arztes, selbst Mediziner, wohnt inzwischen in Amman und zeigt dem Filmemacher gerührt Familienfotos, die allesamt vor jenem Haus gemacht worden sind. Als sie das Haus gemeinsam besuchen, fehlen dem alten Mann die Worte. Auch den Onkel, auf dessen Schultern er auf einem der Fotos als Kind sitzt, besucht das Filmteam: inzwischen auch ein alter Mann, der nach wie vor wütend von Enteignung spricht und von der Ohnmacht des Einzelnen. Mit ihnen hat Gitai 1980 und 1998 gesprochen – an ihrer Situation hat sich scheinbar nichts geändert, anders als bei den Bewohnern der Westbank, die er noch besuchen wird. Dann, in der Mitte des Films, kommen auch die jetzigen Bewohner des Hauses zu Wort. Die in die jüdische Gemeinde von Istanbul hinein geborene ältere Dame kann im Grunde auch nur schulterzuckend vom Lauf der Geschichte reden, den man nicht beeinflussen könne, weshalb nun sie hier sitze und nicht die palästinensischen Eigner von einst. Auch sie musste viele Stationen im Leben passieren, bis sie sich hier niederließ. Auch ihre Familie ist direkt betroffen vom Holocaust – ebenso wie die des Nachbarn, den Gitai ebenfalls aufsucht. Auch er zeigt Bilder von nahen Verwandten, die im KZ umgebracht wurden. Weder mit den Palästinensern noch mit den Israelis lässt sich Gitai auf eine politische Diskussion ein. Beide betrachten den Filmemacher daher als Verbündeten, dem sie ihre Sicht der Dinge berichten können. So macht Gitai spürbar, dass keine Seite mehr Recht auf Leben, einen Wohnort und Kontakt mit ihren Familien hat als die andere – was im Grunde die Unvereinbarkeit beider Sichtweisen suggeriert. Schon dieses subtil mitschwingende Statement war 1980 fürs israelische Fernsehen Grund genug, den ersten Teil der Haus-Trilogie nicht zu zeigen. Dabei lässt Gitai es sogar zu, dass seine Arbeit in Frage gestellt wird. Den Beginn des Films markieren großartige Aufnahmen von 1980, irgendwo zwischen Körperpoesie und Arbeiterrealismus: palästinensische Steinmetze, die für den Ausbau des Hauses, das nun Israelis beanspruchen und bewohnen, Brechstangen in Felsen hauen und dabei immer höhere metallische Töne erzeugen. Auch einen dieser Steinmetze besucht er nun wieder, samt Familie. Dessen Sohn ist wenig begeistert von Gitais Idee, alten Geschichten nachzuspüren. Er berichtet ihm lieber von den Demütigungen der Gegenwart: Jetzt und hier, auf dem Land seiner Familie, dürfe er kein Haus bauen, und was davon schon stehe, werde demnächst durch israelische Bagger zerstört. Darüber solle Gitai berichten und nicht von der Vergangenheit. Tatsächlich bestätigt diese Aussage natürlich Gitais Vorgehen. Sie zeigt, dass sich die Geschichte fortsetzt, ja wiederholt, und die Verbitterung über heutiges Unrecht dieselbe ist wie vor 25 Jahren.
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