Drama | Australien 2006 | 109 Minuten

Regie: Neil Armfield

Die leidenschaftliche Liebe eines jungen Paars wird durch die gemeinsame Drogenabhängigkeit zerstört. Etappenweise erfolgt der Niedergang, der weder durch die Eltern der jungen Frau noch durch eine Fehlgeburt aufgehalten werden kann. Der Film beeindruckt durch seine konsequent durchgehaltene Erzählperspektive, die jede moralisierende Betrachtung ausschließt, mitunter aber das Mitgefühl des Zuschauers auf die Probe stellt. Hervorragende Darsteller und ein intensiver Soundtrack tragen den Film über kleinere dramaturgische Schwächen hinweg.
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Filmdaten

Originaltitel
CANDY
Produktionsland
Australien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Margaret Fink Films/Sherman Pic./Film Finance Corp. Australia/Paradigm Hyde Films/New South Wales Film & TV Office
Regie
Neil Armfield
Buch
Luke Davies · Neil Armfield
Kamera
Garry Phillips
Musik
Paul Charlier
Schnitt
Dany Cooper
Darsteller
Heath Ledger (Dan) · Abbie Cornish (Candy) · Geoffrey Rush (Casper) · Tony Martin (Mr. Wyatt) · Noni Hazlehurst (Mrs. Wyatt)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo/Concorde (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt., dts dt.)
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Diskussion
Wer von „Candy“ nicht gleich zu Beginn in Bann geschlagen ist, der wird es wahrscheinlich auch später nicht. Neil Armfields Film beginnt mit einer wunderschönen, ausdrucksstarken Sequenz, unterlegt mit einer Cover-Version von Tim Buckleys „Song to the Siren“, der bereits in David Lynchs „Lost Highway“ (fd 32 459) und Brad Silberlings „Moonlight Mile“ (fd 35 869) Verwendung fand. Während das Lied von der verführerischen Macht der Sirenen erzählt, sieht man ein junges Paar auf einem Jahrmarkt zusammen mit Kindern in ein Karussell, eine Art riesige Zentrifuge, steigen. Als sich das Gerät in Gang setzt, wird man aus der Perspektive seines älteren Freundes Casper der atemberaubenden Geschwindigkeit und Fliehkraft gewahr, die die Körper der Insassen gegen die Wand presst. Wenn die Kamera mit ins Karussell steigt und ganz nah an die lachenden Gesichter von Candy und Dan herangeht, scheinen mitten in diesem Wirbel Schwerkraft und Geschwindigkeit außer Kraft gesetzt zu sein. Die Kamera rotiert mit – und doch hat man den Eindruck von Ruhe, ja Schwerelosigkeit. Damit stellt der Film gleich zu Anfang klar: Was man als Zuschauer aus sicherer Warte, „von oben herab“ sieht, muss nicht mit der Wahrnehmung übereinstimmen, die sich einstellt, sobald man sich auf Augenhöhe mit Candy und Dan begibt. Erzählt wird die Geschichte aus Dans Perspektive, ohne moralische Wertung, dafür aber mit einem romantisch-poetischen Impetus, der nahtlos an „Song to the Siren“ anknüpft. Grenzenloser Optimismus klingt aus den Sätzen des erfolglosen Schriftstellers. Aber die Vergangenheitsform und eine gewisse Melancholie lassen ahnen, dass dieser Zustand nicht ewig währen wird – nicht währen kann. Als der Film beginnt, sind Candy, die sich als Malerin versucht, und Dan ein Liebespaar, getrieben von unstillbarer Lebensgier und grenzenloser Unbekümmertheit. Durch Dan erfährt Candy, wie man durch Heroin die Wirklichkeit hinter sich lassen und den Rausch der Liebe, das Gefühl der Schwerelosigkeit, beliebig verlängern kann. Dan versucht, sie von der härteren Gangart abzuhalten, doch selbst nach der gerade noch verhinderten Katastrophe in der Badewanne ist klar, dass Candy nicht mehr zu stoppen ist. Von da an bestimmt die Droge das Leben der beiden und beginnt ihre Liebe zu unterwandern. Bald schon fehlt das Geld, und Dan nimmt es in seiner Naivität relativ gelassen hin, als Candy sich prostituiert. Er selbst versucht sich als Gelegenheitsgauner, was der Film zu einer Parodie auf „Catch Me If You Can“ (fd 35 815) nutzt, die aber wie ein Fremdkörper wirkt. Ansonsten ist auf ihren hedonistischen Freund Casper Verlass, einen Chemieprofessor, der ihnen schon mal den einen oder anderen Schein oder gleich das (selbst hergestellte) Heroin zukommen lässt. Casper ist selbst den Drogen verfallen, aber ohne jede Romantik. Er weiß nur zu gut, auf welchen Teufelskreis er sich eingelassen hat. In manch einem Film würde er sich zum Retter des Paares aufschwingen, nicht in „Candy“. Die einzigen Menschen, die sonst noch ein gewisses Gewicht erhalten, sind Candys Eltern als Berührungspunkt zur Welt jenseits der Drogen. Noni Hazlehurst als superperfekte Hausfrau, die ihrer Tochter keinen Fehler verzeiht, und Tony Martin als Vater, der neben seiner Frau äußerlich eher schwach wirkt, für seine Tochter jedoch töten könnte, bringen in ihren wenigen, aber pointierten Auftritten wichtige dramaturgische Entlastung. Diese Szenen deuten an, welchen Einfluss das mitunter unerbittliche rationale Verhalten der Mutter auf ihre Tochter hatte, und was Candy in ihrer Beziehung zu Dan so sehnsüchtig sucht – ohne dass der Film versuchen würde, das Irrationale wegzuanalysieren. Auch Candys zunächst ahnungslose Eltern können nicht verhindern, dass nach der Hochzeit mit Dan eine Schwangerschaft die Talfahrt von Tochter und Schwiegersohn nur noch beschleunigt. Nach wenigen Tagen des verzweifelten Entzugs erleidet Candy eine Fehlgeburt, deren Konsequenz ungewöhnlich drastisch ins Bild gesetzt wird. Für den Zuschauer ist es nicht leicht, diesen unweigerlichen Abstieg zu verfolgen, ohne bei soviel selbstverschuldetem Leid nicht irgendwann sein Mitgefühl auf die Probe gestellt zu sehen. Die episodische Struktur des Films, die von Luke Davies’ zugrunde liegendem autobiografischen Roman herrührt, führt an machen Stellen zusätzlich dazu, dass sich Distanz zur sehr intensiven Handlung einstellt. Ob dies von Armfield, einem renommierten australischen Theaterregisseur, in seinem ersten großen Spielfilm intendiert wird oder eine Schwäche des Drehbuchs darstellt, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall hinterlässt er ein Gefühl der Reserviert- und Unsicherheit, die auch darauf aufmerksam werden lässt, dass sowohl Heath Ledger als auch Abbie Cornish als Drogenabhängige ein reichlich attraktives Bild abgeben – was keineswegs ihre schauspielerischen Qualitäten schmälern soll. Aber „Candy“ ist kein didaktischer Beitrag zum Thema Drogen, sondern ein Film über die Liebe – auch wenn diese peu à peu von Drogen aufgefressen wird. Was aus dieser „amour fou“ und aus dem Leben der beiden wird, als sie ein Methadon-Programm auf dem Land mitmachen, Candy einen Nervenzusammenbruch erleidet und sie danach offenbar eine Weile getrennt sind, lässt der Film offen – auch wenn Dan ahnt, dass es, wenn er Candy wirklich liebt, nur eine Entscheidung geben kann. Mit dem Ende erklingt wieder „Song to the Siren“, diesmal mit Betonung auf der zweiten Strophe, die davon erzählt, wie der Zauber gebrochen wurde.
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