- | USA 2006 | 102 Minuten

Regie: John Cameron Mitchell

Episoden aus dem heutigen New York: Ein homosexuelles Paar sucht eine Sextherapeutin auf, die selbst Orgasmusprobleme hat, eine Domina versucht ihr zu helfen - und alle treffen in einem Club aufeinander, in dem geistige und körperliche Freizügigkeit praktiziert wird. Dank einer sensiblen Figurendarstellung, entwickelt mit Laiendarstellern, zeigt der visuell drastische, mit expliziten Sexszenen operierende Film auf glaubhafte Weise sexuelle Blockaden als Symptom für generelle psychische Verwirrungen und liefert damit Einblicke in eine noch immer offene, aber auch verwundete Stadt.
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Filmdaten

Originaltitel
SHORTBUS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Process Prod./Q Television
Regie
John Cameron Mitchell
Buch
John Cameron Mitchell
Kamera
Frank G. DeMarco
Musik
Yo La Tengo
Schnitt
Brian A. Kates
Darsteller
Sook-Yin Lee (Sofia) · Paul Dawson (James) · Lindsay Beamish (Severin) · PJ DeBoy (Jamie) · Raphael Barker (Rob)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18; f
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Autobahn (1:1,85/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
Bereits im Vorfeld hat der Film Aufsehen erregt: nicht nur wegen seiner expliziten Sexszenen, die ihm in seiner Heimat, den puritanischen USA, auf vorhersehbare Weise den Vorwurf der Pornografie eingehandelt haben, sondern auch aufgrund seiner sensiblen und hautnahen Darstellung junger Menschen im heutigen New York. Da gibt es das schwule Paar und die im eigenen Apartment praktizierende Domina, die Sextherapeutin und das Model, den Transvestiten und den Voyeur – lauter Menschen, die nicht einer bestimmten Szene zuzurechnen sind. Regisseur John Cameron Mitchell beschreibt sie gerade nicht als Exempel für Lebensweisen und Ansichten, für Trends und Gegentrends. Jede einzelne Figur hat vielmehr ihre ganz eigenen Probleme, und die drücken sich vorrangig in ihrer Einstellung zum Sex aus. Nicht zu Erotik und Liebe – darüber, sagt Mitchell, gebe es schon zu viele Filme. Die Beziehung von Jamie und Jamie steckt in der Krise, weil Jamie sich immer mehr zurückzieht. Die beiden jungen Männer suchen die Sextherapeutin Sofia auf, die ihnen aber auch nicht wirklich helfen kann – zumal sich herausstellt, dass sie selbst noch nie einen Orgasmus erlebt hat. Während sich die Jamies daraufhin das junge Model Ceth ins Beziehungsboot holen, trifft sich Sofia mit einer jungen Domina, die das Reden zu einem Teil ihres Angebots gemacht hat und die selbstverständlich ihre eigenen Probleme hat. Alle Fäden der Handlung verweben sich in einem Club in Manhattan, der mit seiner antizyklischen Freizügigkeit an die Salons etwa einer Gertrude Stein angelehnt ist: ein unübersehbares Labyrinth aus Begegnungs- und Rückzugsräumen einschließlich eines großen Raums für zwanglosen Sex. Im „Shortbus“ treffen sich sehr junge wie sehr alte Hedonisten, Verzweifelte und Suchende jeder (sexuellen) Ausrichtung – und finden tatsächlich, was sie suchen, wenn schon keine Lösungen, so doch Menschen, die sich für sie interessieren. Dies ist eine neue Erfahrung für alle Protagonisten, und es ist diese verbale Offenheit, die konträr zum amerikanischen Zeitgeist steht. In seinem ersten Film „Hedwig and the Angry Inch“ (2001) hatte Mitchell von einer ostdeutschen Babysitterin erzählt, die als Prostituierte arbeitet, eine Geschlechtsumwandlung durchmacht und Rock-Sängerin wird. Für „Shortbus“ probte und improvisierte er mehr als zwei Jahre lang mit Laiendarstellern aus New York, die sich im Film überwiegend selbst spielen. Das Ergebnis ist von einer seltenen Unmittelbarkeit, zumal viele Darsteller nicht beziehungsweise ganz unbefangen agieren und die Selbstdarstellung zu genießen scheinen. Nach eigenen Worten verwendet Mitchell den Sex wie das Musical die Musik: als Ausdrucksform für die Gefühle der Figuren. Tatsächlich dienen selbst die explizitesten Sexszenen ausschließlich der Illustration von Haltungen und Lebensweisen, die es wahlweise zu überdenken oder anzustreben gilt. Mitchell geht bei diesen Szenen noch ein wenig weiter als etwa „Romance“ (fd 34299), „Baise-moi – Fick mich“ (fd 34542) oder „Intimacy“ (fd 34894) und erfüllt rein rechtlich wahrscheinlich den Tatbestand der Pornografie. Anders aber als die genannten Filme wie auch Pornos vermeidet Mitchell jeden Versuch, Erregung oder auch nur Erotik zu erzeugen. Es geht ihm allein darum, Blockaden auf sexuellem Gebiet aufzuzeigen, die wiederum auf psychische Verwirrungen hinweisen sollen. Mitchells Geschichten lassen sogar vermuten, dass man, indem man erstere löst, letztere in den Griff bekommt. Sex als Methode der Befreiung ist nicht nur ein Ideal der 1960er-Jahre, sondern auch eines der Schwulenbewegung. Dass Manhattan nach wie vor ein Traumland ist, ein buntes Miteinander, in dem alles möglich ist, zeigt Mitchell anhand einer aufwändigen, schillernden Pappkulisse, über die die Kamera immer wieder hinweg fliegt. Dass New York, jene liberale Insel, gezeichnet ist, bedarf indes kaum noch eines Hinweises. Daher beschränkt sich Mitchell auf kleine Andeutungen. Ein Kondom steht für AIDS, ein kleiner böser Satz für „9/11“: „Wenn Du Dich vor Ground Zero fotografieren lässt, lächelst Du dann?“
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