Coffee Beans for a life - Mein Überleben in Kolbuszowa

- | Deutschland 2006 | 90 Minuten

Regie: Helga Hirsch

57 Jahre nach seiner Emigration in die USA besucht ein jüdischer Pole in Begleitung seiner Tochter und dreier Enkel seine Heimatstadt, um die Erinnerung aufrecht zu erhalten und seine Familie mit ihren Wurzeln vertraut zu machen. Die Begegnungen mit Polen sind zunächst von Bitterkeit und Groll geprägt, doch gegen Ende des Films stimmt der Besucher versöhnlichere Töne an. Der nachdenkliche Dokumentarfilm beschwört nicht nur das Grauen des Holocaust, sondern ruft zugleich die Vielschichtigkeit der Erinnerung ins Gedächtnis. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Next Film/rbb
Regie
Helga Hirsch
Buch
Helga Hirsch
Kamera
Piotr Lenar · Albert Maysles
Musik
Jossif Gofenberg · Symcha Keller · Astrid Hengst · Theodor Hotze
Schnitt
Katarzyna Maciejko-Kowalczyk · Ludmilla Korb-Mann
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
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Diskussion
In seinem früheren Leben hieß er Naftali Saleschütz und musste zeitig lernen, sich seiner Haut zu wehren. Heute heißt er Norman Salsitz und hat nichts von seiner Wehrhaftigkeit eingebüßt. Nach 57 Jahren besucht der polnische Jude, der in den Vereinigten Staaten lebt und sich als Patriot lieber in der Rolle des jüdischen Polen sieht – ein feiner, aber wichtiger Unterschied –, seine südpolnische Heimatstadt Kolbuszowa. Ein Ort, dessen Bevölkerung bis 1942 zur Hälfte jüdisch war; heute wohnt dort kein einziger Jude mehr. Salsitz’ erste und vermutlich letzte Reise in das „alte Europa“ gilt der Erinnerung. Einer Erinnerung, die nicht von wehmütiger Nostalgie geprägt ist, sondern an die Untaten gemahnen will, die nach der Besetzung Polens durch die Deutschen von Nazis, aber auch von den Polen verübt wurden. Seine Begleiter sind seine Tochter und drei erwachsene Enkel, denen der 85-Jährige seine Geschichte erzählen und auch seinen Groll vermitteln will, der ihm eine vitale Gesundheit und vielleicht auch das beeindruckende Gedächtnis erhalten hat. Zunächst ist man irritiert, wie unsympathisch die Dokumentarfilmerin Helga Hirsch ihren Protagonisten einführt: Als unfreundlichen Mann, der auf der Straße eine in die Jahre gekommene Schreiberin antijüdischer Briefe anpöbelt, als Besucher seines Elternhauses, der von den jetzigen Besitzern ad hoc einen Begehungstermin verlangt, generell als jemanden, der den Polen nicht unbedingt freundlich gesonnen scheint. Doch im Laufe des geschickt entwickelten Films „packt“ Salsitz aus. Erzählt von seiner Zeit im Ghetto und der Flucht in polnische Wohngebiete. Vom Terror der Deutschen und der ständigen Angst, von den Polen verraten zu werden, den Schwierigkeiten, innerhalb der polnischen Heimatfront akzeptiert zu werden, wo seinerseits die Angst herrschte, von Juden an den sowjetischen NKPD verraten zu werden. Salzitz berichtet von der Erschießung seines Vater, der Vernichtung seiner Familie und den letzten zwei Kriegsjahren, die er gemeinsam mit jüdischen Leidensgenossen bei bitterer Kälte in den Wäldern verbrachte und in denen die meisten seiner Gefährten einem polnischen Pogrom zum Opfer fielen. Norman Salsitz erzählt von seinem Groll, dass der Widerstand gegen die Deutschen nicht in der Lage war, Polen und Juden zu einen. Er erzählt auch von seiner eigenhändigen Erschießung eines Schulkameraden, der ihn im Auftrag der Heimatfront töten sollte, und gibt die Geschichte mit den Kaffeebohnen zum besten, die ihm das Leben retteten: Als er getötet werden sollte und sein Grab bereits ausgehoben hatte, fädelte er mit einem SS-Kommandanten einen Deal mit Kaffeebohnen ein – an seiner Stelle wurde ein anderer erschossen. All dies erzählt Salsitz in diesem immer ruhiger werdenden Film, der die emotionale Mitte und die Altersweisheit seines Protagonisten auszuloten versucht – und sie schließlich auch findet: bei Freunden und Lebensrettern. Etwa bei einer freundlichen Postangestellten, die Kontakte zu den Deportierten ermöglichte und mit der Salzitz zum ersten Mal in seinem Leben Händchen hielt, oder bei der Schwester jener Frau, die sein Leben rettete. Für Stefanie Chador hat Norman schon vor Jahren den israelischen Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ erwirkt. Mit deren Schwester stimmt der nachdenkliche Film auch den Abspann an. Der Emigrant und die „gute“ Polin singen ein jiddisches Lied, wodurch die Welt mit einem Mal so aussieht, als ob man sie wirklich in Ordnung bringen könnte, wenn es nur mehr Gerechte gäbe, die den Mut haben, ihre Schuld oder Unterlassungen einzugestehen.
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