Hippie Masala - Für immer in Indien

Dokumentarfilm | Schweiz 2006 | 97 Minuten

Regie: Ulrich Grossenbacher

Zwei Schweizer Filmemacher begeben sich auf die Spuren einiger Althippies, die zur Blütezeit der Bewegung ihren westlichen Heimaten den Rücken kehrten, um in Indien zu sich und neuen Lebensformen zu finden. Der kommentarlose Dokumentarfilm macht mit einigen Aussteigern im Hinterland bekannt und vermittelt ihre persönlichen Beweggründe ebenso wie die praktischen Umsetzungen der alternativen Lebensform. Dabei forscht er nicht nach einem kultur-philosophischen Überbau, sondern zeigt gewöhnliche Menschen, die ein ungewöhnliches Leben führen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HIPPIE MASALA
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Fair & Ugly
Regie
Ulrich Grossenbacher · Damaris Lüthi
Buch
Damaris Lüthi
Kamera
Ulrich Grossenbacher
Musik
Matthias Gmünder · Sahlil Shankar
Schnitt
Maya Schmid
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kool (16:9, 1.78:1, DD2.0 engl., schweizerdt. Hindi & Kannada)
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Diskussion
Seit Mitte der 1960er-Jahre pilgerten sie scharenweise ins „gelobte Land“ Indien, um auszusteigen, zu sich selbst zu finden oder einfach nur in Ruhe zu kiffen: Menschen aus fast aller Welt, mit den unterschiedlichsten Biografien und Beweggründen, die vor allem eines gemeinsam hatten – sie wollten weg. Man nannte sie „Hippies“. Viele von ihnen sind zurückgekehrt, haben längst ihre Batikkleider gegen Kostüme oder Anzüge eingetauscht. Was aber ist aus denen geworden, die sich nicht in ihre alte Heimat re-integriert haben, die in Indien geblieben sind? Dieser Frage spüren die Berner Filmemacher Ueli Grossenbacher und Damaris Lüthi, Sozialanthropologin an der Uni Bern, in ihrem Dokumentarfilm nach. Das Backpacker-Eldorado Goa, wo zwei südafrikanische Zwillingsschwestern Touristenmode verkaufen, streifen sie nur am Rande; ihre Althippies suchen sie vielmehr auf dem Land, im Dschungel, am Himalaja. Üppig grün leuchtende, braun verschlammte, schneebedeckte Landschaften bilden den schönen Hintergrund, hinter dem die Initiatoren der dokumentarischen Forschungsreise nahezu vollständig verschwinden. Nie rücken sie sich selbst ins Bild oder melden sie sich zu Wort, auf stimmungsvolle Impressionen verzichten sie weitgehend. Selbstverständlich ist die Montage selektiv, charakterisiert die Protagonisten, doch suggestiv erscheint sie dabei nicht. Die Menschen, die Grossenbacher und Lüthi in Indien antreffen, sind so verschieden wie die Gewürze der Masalas, aus denen Curry hergestellt wird. Der Film zeigt sie in dieser Vielfalt, ohne Stellung zu beziehen. Die Kommentare überlassen die Regisseure dem Publikum, und diese dürften, je nach persönlichem Hintergrund, ganz unterschiedlich ausfallen. Der holländische Kunstmaler Robert lebt seit über 25 Jahren im zentralindischen Hampi. Seine Aussteigerfreunde sind nach und nach gestorben; Spätfolgen einer drogenexzessiven Jugend. Robert geht mittlerweile auf die 60 zu und scheint glücklich mit einer Inderin verheiratet, mit der er drei Töchter hat. Ab und zu besucht er die Witwe eines Freundes, die bei der Hochzeit 14 Jahre alt war. Witwen haben es nicht so gut in Indien, stellt Robert traurig fest. Auch die belgische Asketin Meera lebt in Hampi. Allein betet die Mittvierzigerin in einer abgelegenen Hütte ihre Mantras und lebt von Spenden durchreisender Ausländer. Bei den Einheimischen eckt sie an, weil sie sich weigert, einen Guru zu nehmen. Geduldet wird sie dennoch. Immerhin hat sie mehrere Jahre bei einem indischen Asketen gewohnt. Seit seinem Tod blieb sie allein. Asket ist auch der über 60-jährige Italiener Cesare. Seine Haare zum Turban aus Dreadlocks gewickelt, strahlt er mit gütig braunen Augen in die Kamera. Ebenfalls im Hampi-Gebiet hat er als Guru einen kleinen Ashram gegründet. Als er von seinem alten Guru erzählt, zeigt er auf einen Baum: „Unter diesem Baum dort habe ich zwei Jahre gelebt, dann unter einem anderen Baum, dann ein Jahr lang in der Mitte der Felsen dort drüben.“ Ob Cesare nun die innere Mitte gefunden hat, oder auf einem Drogentrip hängen geblieben ist, versucht der Film nicht zu entscheiden. Er zeigt aber, dass die einzige verbliebene Gemeinsamkeit der Althippies das Dauerkiffen ist; und dass das allein kein idyllisches Leben garantiert. In einem Bergdorf am Himalaja treffen die Filmemacher auf den gebürtigen Truber Hanspeter. Nach einem Hippie sieht der Emmentaler mit Schnauzer und kurzen Haaren nicht aus. Vom Geld seines Vaters baut er sich seit sechs Jahren ein riesiges Haus mit Unmengen von Marmor. Fertig ist es noch immer nicht. Von den Einheimischen wird der merkwürdige Fremde geschnitten. Er selbst scheint sich für ihre Kultur auch nicht besonders zu interessieren. Nach Indien ist er vor allem gekommen, weil er in der Schweiz seines Drogenkonsums wegen kriminalisiert wurde. Jetzt flüstert er mit seinen Kühen auf Bernerdeutsch und kommandiert seine einheimische Frau Babali auf Englisch. Babali träumt davon, irgendwann ohne Mann leben zu können. Am liebsten möchte sie sich dann ein Auto kaufen und nach Europa fahren. Das alles verbindet der Film zu einem Dokument eingelöster und nicht eingelöster Sehnsüchte. Keine Reise in die Vergangenheit, sondern aus der Vergangenheit in eine schillernde und mitunter melancholische Gegenwart. Die Filmemacher treffen in Indien auf keine Relikte der Zeitgeschichte, sondern auf gewöhnliche Menschen, die ein ungewöhnliches Leben führen. Mit „Hippie Masala“ ist ihnen ein unaufgeregter und gerade deshalb sehenswerter Dokumentarfilm gelungen.
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