Vom Schaukeln der Dinge

Dokumentarfilm | Deutschland 2005 | 80 Minuten

Regie: Beatrix Schwehm

Porträt des 58-jährigen Schauspielers Rudolf Höhn, der vor zehn Jahren an Morbus Parkinson erkrankte und seinen Beruf in erlernter Form an den Nagel hängen musste. Höhn machte aus der Not eine Tugend: Heute ist er Pressesprecher seines geliebten Rugby-Clubs und leitet ein erfolgreiches Theaterensemble aus behinderten Darstellern. Der faszinierende Dokumentarfilm zeigt einen durchaus widersprüchlichen Menschen, der seinem Schicksal die Stirn bietet, und kann damit auch anderen Betroffenen Lebensmut vermitteln. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
trifilm
Regie
Beatrix Schwehm
Buch
Beatrix Schwehm
Kamera
Bernd D. Meiners
Musik
Willi Daum · Hartmut Schmidt
Schnitt
Wiebke Abraham
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Heimkino

Verleih DVD
Ventura (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Ein alter Mann schlurft über einen Aschenplatz, zittert an allen Gliedern, hat die Beine kaum unter Kontrolle, muss immer wieder stehen bleiben – alles ist Mühsal, scheint sinn- und ziellos. Doch der 58-jährige Rudolf Höhn kennt durchaus Sinn und Ziel: Diesmal ist es zwar nur der Standort für ein Gruppenfoto, das ihn im Kreise seiner Bremer Rugby-Mannschaft und der Theatergruppe Pschyrembel zeigen wird, aber das Ziel ist durchaus weiter gesteckt, und Höhn verfolgt es mit allen Sinnen. Zunächst mag man sich durchaus fragen, warum man die Filmemacherin Beatrix Schwehm bei ihren Begegnungen mit dem gebürtigen Schweizer begleiten soll. Höhn, der gegen den Willen seines höchst autoritären Vaters den Beruf des Schauspielers erlernte, Mitglied der Bremer „shakespeare company“ war und 1996 in die Münchner Lach- und Schließgesellschaft berufen wurde, wurde 1996 mit der Diagnose Morbus Parkinson konfrontiert. Für einen Schauspieler auf dem Höhepunkt seiner Karriere eine Katastrophe, weil mit dieser schleichenden Krankheit nicht nur ein Kontrollverlust der Muskulatur einsetzt, sondern auch ein schleichender Verlust der Sprache, beides Fähigkeiten, über die sich ein Schauspieler definiert. Ein Film also als weinerliche Betroffenheitsstory? Mitnichten! Beatrix Schwehm zeigt, eingebunden in gut dosierten Erinnerungen, das zweite Leben des Rudolf Höhn, der seine Krankheit ins Positive ummünzte und Träume verwirklichte, die er früher nicht zu träumen wagte. Mittlerweile ist er der Pressesprecher und (Mit-)Organisator einer Bremer Rugby-Mannschaft und leitet seit dem Jahr 2000 im Rahmen der Bremer „shakespeare company“ das erfolgreiche Theaterprojekt Pschyrembel, in dem sich Menschen mit unterschiedlichen körperlichen und geistigen Behinderungen ihre Träume verwirklichen und auf der Bühne durch überaus witzige Stücke die Anerkennung eines nicht behinderten Publikums finden. Durch eine geschickte Befragung, die kluge Auswahl der Szenen und eine vollendete Montage, die vier Ebenen verbindet – Interview, Sport, Theater und Besuch im Elternhaus – stellt der Film einen faszinierenden Menschen vor, der sich nicht seiner Krankheit untergeordnet hat, sondern sie seinen Bedürfnissen anpasst. Höhn ist der etwas langsame Hans-Dampf-in-allen-Gassen, der aus seinen neuen Berufungen die Kraft schöpft, sein Schicksal ertragen zu können. Wobei er, der stets auch an den Makel der Behinderung geglaubt hat, seine höchst präsente Theatertruppe als kaum zu überbietende geistige Energiequelle für sich und seine Mitspieler empfindet; das eigene körperliche Manko gleichen die Jungs der Rugby-Mannschaft aus, die stellvertretend die Muskeln spielen lassen, ihre athletischen Körper zum Einsatz bringen und durch ihre freundschaftlich-kumpelhafte Nähe zu Höhn Defizite ausgleichen. Der von einem feinsinnigen Humor durchzogene Dokumentarfilm bringt auch den schwierigen Charakter seines Protagonisten zum Ausdruck, der bestens dazu angetan ist, Mut zu schöpfen und das Beste aus seinem Schicksal zu machen. Inzwischen ist der Pilgerzug beim Fototermin angekommen und hat sich zum Gruppenfoto formiert, und wenn man den entspannten Rudolf Höhn im Kreise seiner vielen Lieben sieht, dann ahnt man, dass sich jede Mühe lohnt – dass die Dinge zwar schaukeln mögen (um das dem Titel zugrunde liegende De-Montaigne-Zitat zu paraphrasieren), dass man die Dinge aber auch schaukeln kann. Dies hat einem der Volksmund ja schon immer vorgeplappert, Beatrix Schwehm zeigt auf einfühlsame Weise jemanden, der dies auch beherzigt, sich auf vorbildhafte Weise im „Schaukeln der Dinge“ übt und sich trotz (oder auch wegen) seiner Krankheit, die Angst erzeugt, aber auch sehr viel Mut mobilisiert, auf der sicheren Seite weiß.
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