Winterreise (2006)

Drama | Deutschland 2006 | 99 Minuten

Regie: Hans Steinbichler

Ein Kleinunternehmer aus der bayerischen Provinz hat dem Untergang seines Geschäfts nicht mehr als seinen Zynismus und seine Verachtung entgegen zu setzen, die sich in erster Linie gegen seine Familie richten. Nach einer gescheiterten Geschäftsreise findet er in Kenia wieder zu sich selbst. Der von Franz Schuberts gleichnamigem düster-melancholischen Liederzyklus strukturierte Film lebt in erster Linie von der brachialen Präsenz seines Hauptdarstellers, während sich die im einzelnen durchaus überzeugenden Elemente der Geschichte sowie die unterschiedlichen Erzählstile zu keiner Einheit verbinden. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
d.i.e. film/Wega/Dresbach-Schaefer-Quabeck/BR
Regie
Hans Steinbichler
Buch
Martin Rauhaus
Kamera
Bella Halben
Musik
Antoni Lazakiewicz
Schnitt
Anne Loewer
Darsteller
Josef Bierbichler (Franz Brenninger) · Sibel Kekilli (Leyla) · Hanna Schygulla (Martha Brenninger) · Philipp Hochmair (Xaver Brenninger) · Anna Schudt (Paula Brenninger)
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
X Verleih/Warner (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
„Ach meine Sonnen seid ihr nicht…“, heißt es in Franz Schuberts Lied von den Nebensonnen aus dem melodienreichen, düster-melancholischen Liederzyklus „Winterreise“, und auch in Hans Steinbichlers Film leuchten die drei Sonnen über dem (Irr-)Weg eines vielschichtigen, letztlich aber gebrochenen Kraftmenschen. „Eine Straße muß ich gehen, die noch keiner ging zurück“, heißt es bei Schubert sowie bei Steinbichler, dessen Film die Reise eines bayerischen Kleinunternehmers von der grauen Winterdämmerung in Wasserburg am Inn hin ins gleissende Sonnenlicht Kenias erzählt. Franz Brenninger hat seine beste Zeit hinter sich; nun tobt er sich höhnisch, aggressiv und politisch unkorrekt auf Kosten seiner kleinstädtischen Umgebung aus und produziert sich als „enfant terrible“ der geordneten Winterwelt von Wasserburg; als selbstzerstörerischer Rebell, launenhaft, egomanisch und bajuwarisch-brachial. Außer in seinem Wohnzimmer, mit bis zum Anschlag aufgedrehter Rock-Musik, fühlt er sich fast nur noch im Provinzbordell zuhause, obwohl er zu keinem sexuellen Akt mehr fähig ist. Sein Familienleben hat er ähnlich verwüstet wie seine körperliche Konstitution: Seine fast blinde Frau Martha leidet und versucht, ihn über ihr Leiden zurückzugewinnen, Brenninger aber hat lediglich Spott für sie übrig. Den gemeinsamen Kindern hat er nur noch wenig zu sagen, sie haben ihn durch ihre Mittelmäßigkeit enttäuscht. Auch geschäftlich steht es schlecht um Brenninger. Sein Metall-Unternehmen ist pleite, jeder Kreditspielraum ausgeschöpft, selbst seine Bankkarte bleibt im Geldautomaten stecken. Das Glück scheint ihm noch einmal zuzulächeln, als er aus Kenia ein scheinbar todsicheres Anlageangebot erhält. Er leiht sich von seinem ältesten Sohn eine größere Summe unter dem Vorwand, der Mutter die Augenoperation zu bezahlen, und investiert ins Geschäft. Aber schon bald ist klar: Er steht vor dem Nichts. Wild entschlossen, sich auf eigene Faust sein Geld „von den Negern“ zurückzuholen, tritt er mit der jungen türkischen Dolmetscherin Leyla die Reise nach Kenia an – ins Nichts, zu den „drei Sonnen“, vor allem aber in eine völlig andere Kultur, in der Brenningers Ausbrüche keine Wirkung haben, und in der er langsam wieder zu sich selbst zurückfindet. Die filmische „Reise in ein erkaltetes Herz“ (Hans Steinbichler) konzentriert sich ganz auf die Protagonisten, was über weite Strecken fasziniert, und doch wird der Film vom Ungleichgewicht der Darsteller auch beeinträchtigt. Das skurrile, destruktiv-vitale Schwergewicht Brenninger dominiert alle Szenen, und Josef Bierbichler spielt alle an die Wand. Es hat etwas Ergreifendes, wenn er die bekannten Schubert-Lieder im rauen Brenninger-Duktus singt, und ist gegen Ende wie eine Läuterung, aber auch ein Abgesang auf gescheiterte Illusionen. Dagegen bleiben die Protagonistinnen fast blass: Während Sibel Kekilli („Gegen die Wand“, fd 36 389) kaum Profil zeigen kann, überzeugt Hanna Schygulla zwar als Ehefrau Martha durch eine doppelbödige Leidensfähigkeit; man hätte sich an vielen Stellen jedoch einen aktiveren Part für sie gewünscht. Mit dem Ortswechsel von Wasserburg nach Afrika zerfällt der Film in zwei Teile, wobei die erste, von dunklen Grautönen beherrschte Hälfte die überzeugendere ist: Die winterliche Provinz, die graue Öde der Kleinstadt und die immer wiederkehrenden sozialen Gemeinplätze, gegen die Brenninger als bayerischer Baal ziellos rebelliert, wirken im Gegensatz zur Reise von Nairobi in die menschenleere Savanne schlüssig und geschlossen. Anders als für seinen Erstling „Hierankl“ (fd 36 218) schrieb Hans Steinbichler das Drehbuch nicht selbst, sondern es war, so Steinbichler, eine auf einer wahren Familiengeschichte beruhende Genregeschichte. Dem Film ist das vor allem in der zweiten Häfte noch anzumerken; stellenweise wirkt er wie aus unterschiedlichen Erzählstilen und Genreelementen zusammengesetzt, ohne eine Einheit zu erzielen. Die unfertig, stellenweise schablonenhaft wirkenden Sequenzen kontrastieren seltsam mit der rauen Poesie sowie den durchaus bewegenden, stilistisch und vor allem schauspielerisch faszinierenden Passagen des Films.
Kommentar verfassen

Kommentieren