- | Japan 2005 | 107 Minuten

Regie: Ten Shimoyama

Japan im Jahr 1614: Die Enkel der Stammesfürsten zweier verfeindeter Kriegsvölker verlieben sich ineinander, doch einer gemeinsamen Zukunft ist kein Glück beschieden. Die traditionelle Fehde wird noch durch den Shogun geschürt, der die Stämme aufeinander hetzt, um sich die geschwächten Kombattanten leichter einverleiben zu können. Auf der Grundlage eines populären Videospiels basierende Mischung aus dem "Romeo und Julia"-Stoff und einschlägigen Comic-Verfilmungen mit fragwürdigen politischen Subtexten. Ein zwar gewöhnungsbedürftiger Martial-Arts-Film, reizvoll aber durch die gefühlvolle Liebesgeschichte, komplexe Frauenfiguren und die mitreißende Inszenierung. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SHINOBI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Shochiku
Regie
Ten Shimoyama
Buch
Kenya Hirata
Kamera
Shinji Chikamori
Musik
Tarô Iwashiro
Schnitt
Isao Kawase
Darsteller
Yukie Nakama (Oboro) · Joe Odagiri (Gennosuke) · Kippei Shiina (Tenzen) · Taku Sakaguchi (Yashamaru) · Erika Sawajiri (Hotaru-Bi)
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
I-On New Media (1:2,35/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
„Romeo und Julia“ trifft „X-Men: Der letzte Widerstand“ (fd 37 622) und Martial Arts – so müsste man formulieren, wollte man „Shinobi“ auf eine Kurzformel bringen. Ten Shimoyama vermischt klassische Stoffe der japanischen Filmtradition und die dort seit Kurosawa konstante Wertschätzung für Shakespeare-Motive mit Anregungen durch Video-Games und bringt sie auf den Stand des technisch Möglichen. „Shinobi“ hieß bereits ein berühmtes Arcade-Spiel aus den 1980er-Jahren, das mit zehn Fortsetzungen den Wandel der Computerspiele bis zur Playstation 2 spiegelte und zugleich selbst vollzog. Der Film zehrt vom Ruhm dieser Vorlage und dem Ninja-Boom in der japanischen Popkultur seit den 1960er-Jahren. „Shinobi“ (wörtlich: „geheime Person“) spielt im Jahr 1614: die „Sengoku“, d.h. die „Zeit der streitenden Reiche“, neigt sich mit der Etablierung der absolutistischen Tokugawa-Herrschaft ihrem Ende zu. Der Tokugawa-Shogun will die zwei letzten unabhängigen Shinobi-Kriegervölker unterwerfen. Historisches wird hier märchenhaft überhöht: Die Farben des japanischen Herbstes, in ihrer Schönheit dem amerikanischen „Indian Summer“ verwandt, markieren das Ende der unabhängigen Lebensweise der Shinobi. Die erste Szene schildert poetisch die Begegnung von Gennosuke und Oboro, den zwei Enkeln der jeweiligen Stammesführer. Es ist Liebe auf den ersten Blick – die, wie gleich zu ahnen ist, tragisch enden muss. Anders als bei Romeo und Julia kämpfen beide Stämme nicht nur gegeneinander, ihnen steht mit dem Shogun auch noch ein Fortinbras, eine neue Zeit mit neuen Werten, gegenüber, die die Shinobi aufeinanderhetzt und das, was nach den Kämpfen übrig bleibt, vereinnahmt. Der Shogun lockt beide Stämme in eine Falle: Während deren Repräsentanten zum Duell gezwungen werden, das sie „um der Ehre des Stammes willen“ nicht ablehnen können, führt der Shogun mit moderner Technik einen Vernichtungskrieg gegen deren Dörfer. Nach wie vor verfügen die Shinobi über individuell verschiedene übermenschliche Kampftechniken, oder „geheimnisvolle Fähigkeiten“, darin den US-amerikanischen Comic-Figuren der „X-Men“ verwandt. Auch diese Superhelden leiden bisweilen unter ihrem Potenzial, das sie gewöhnlichen Menschen entfremdet. Es gehört zu den interessanteren Aspekten von „Shinobi“, dass der Film unter der Oberfläche des Martial-Arts-Abenteuers auch solche Fragen des Clashs der Kulturen und der Integration des Ungleichen in einen – jedenfalls auf der Ebene der Unterworfenen – egalitären neuen Staat aufwirft. Zugleich kommt einem auch der Western mit seinem Indianer-Bild in den Sinn: Die Shinobi sind ein kriegerisches Naturvolk, das keine Abstriche von seiner Lebensweise machen möchte, der Shogun steht für eine Zivilisation, die die Unterordnung aller Bürger unter ihren frühneuzeitlichen Leviathan fordert, aber immerhin im Gegenzug den Bürgerkrieg beendet und den Menschen Frieden und Sicherheit garantiert. Gut und Böse sind also nur oberflächlich eindeutig verteilt, wenn auch die Pro-Shinobi-Sympathien immer klar sind. Etwa die Hälfte des Films besteht aus virtuos, oft poetisch inszenierten Kämpfen mit fintenreichen Kampftechniken. Man kennt inzwischen jene Bilder, in denen sich Personen mit Leichtigkeit über Berge und auf Bäume schwingen, in denen das Tempo der Bewegungen während der Kämpfe mal mit Zeitlupe verlangsamt wird, bis zu einem Punkt, in dem die Kämpfer in der Luft zu stehen scheinen, mal rasant beschleunigt, bis das Auge nicht mehr zu folgen vermag. Japanische Martial-Arts unterscheiden sich von chinesischen vor allem darin, dass die Kämpfe selbst nicht elegisch inszeniert werden, sondern schnell und kurz sind. Oft genügt ein Schwertstreich. Die Elegie gilt hingegen der Vorbereitung zum Kampf. Alle Charaktere verfügen über eine Individualität, die sich in erster Linie in ihren unterschiedlichen „besonderen Fähigkeiten“ ausdrückt: Es gibt einen Wolfsmenschen mit Zottelfell und Krallen, wie man ihn von „X-Men“ kennt, und junge Mädchen, die mit Blicken oder Umarmungen töten können. Besonders berührend ist die Figur der tragischen, unglücklichen Kegero, die zwar fast unbesiegbar ist, aber derart „mit Gift gefüllt“, dass sie auch jene, die sie liebt, ins Verderben reißt. So wechseln coole Posen, opernhaft überhöhte Tableaus – rot und blau gewandete Kämpfer treffen vor gelben Dünen aufeinander; schwarz maskierte Ninja erscheinen wie Schattenrisse vor einem riesigen Vollmond – und tiefe Gefühle einander ab. Wenn mit dem Liebespaar die letzten ihrer Art zum Endkampf aufeinander treffen, wird das Töten wie ein Liebesakt inszeniert. Für hiesige Zuschauer ist zweifellos manches gewöhnungsbedürftig. Die deutsche Synchronisation macht es einem dabei zusätzlich schwer: Kindliche Teenager-Stimmen sorgen für unfreiwillige Komik, und ein Satz wie „Ich spüre einen unglückverheißenden Wind“ klingt auf Japanisch einfach anders – gute Synchronisation ist eben weit mehr als nur eine korrekte Übersetzung. Auch möchte man schon gerne wissen, was einem das alles eigentlich sagen soll, etwa wenn ein alter Krieger, der um die Sinnlosigkeit der bevorstehenden Kämpfe weiß, ihnen trotzdem eine Bedeutung verleiht: „Weil wir nun mal Waffen sind. Wenn es niemanden gibt, der uns benutzt, sind wir wertlos, und wenn kein Feind da ist, ergibt das Leben für uns keinen Sinn. Das ist der Weg der Shinobi.“ So feiert der Film Verhaltenslehren der Kälte und Ausblendung von Gefühlen („Habe ein Herz aus Stahl, dann schaffst Du es. Du darfst keine Skrupel haben.“), eine soldatische Ethik, die den Kampf und das Selbstopfer als inneres Erlebnis begreift, als intensivere Daseinsform. Damit einher gehen ein apokalyptisches Bewusstsein und die elitäre Haltung von Charakteren, die lieber untergehen als sich anzupassen. Das ist keineswegs „typisch japanisch“. Ernst Jünger hat Ähnliches recht präzise und in analoger Metaphorik für Deutschland in seinem antimodernen Archetyp des „Waldgängers“ beschrieben, der sich der großen Herrschaft, dem „Empire“, das die Welt neu kartografiert, anarchisch entgegenstellt. Aufgewogen wird das Angreifbare solcher politischen Subtexte in „Shinobi“ zumindest teilweise durch eine gefühlvolle Liebesgeschichte, starke und komplexe Frauenfiguren und eine mitreißende Inszenierung. Weniger konsequent und elegant als Meisterwerke des Genres wie „Hero“ (fd 35 972) und „Tiger & Dragon“ (fd 34 652), ist „Shinobi“ dennoch ein außergewöhnlicher Martial-Arts-Film.
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