Drama | USA 2006 | 138 Minuten

Regie: Mel Gibson

Filmdaten

Originaltitel
APOCALYPTO
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Touchstone Pic./Icon Prod./Icon Ent. Int.
Regie
Mel Gibson
Buch
Mel Gibson · Farhad Safinia
Kamera
Dean Semler
Musik
James Horner
Schnitt
Kevin Stitt · John Wright
Darsteller
Rudy Youngblood (Jaguar Paw) · Gerardo Taracena (Middle Eye) · Dalia Hernandez (Seven) · Raoul Trujillo (Zero Wolf)
Länge
138 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18; f
Genre
Drama | Abenteuer
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Heimkino

Verleih DVD
Paramount (1:2,35/16:9/Mayathan DD 5.1/dts)
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Diskussion
Abenteuer in unbekannten Galaxien oder der Kampf gegen Aliens und Geister sind nichts gegen die Wirklichkeit. Mel Gibson ist mit futuristischen Endzeit-Actionern groß geworden, die ihre Kraft aus dem Reich der Fantasie schöpfen und auf martialische Weise Unterhaltung mit einem Schuss Botschaft verquicken. Die Zeiten von „Mad Max“ (fd 22 329) sind jedoch lange vorbei. Spätestens seit dem historischen Highland-Schlachten-Spektakel „Braveheart“ (fd 31 552) hat der inzwischen zum Regisseur und Produzent avancierte Schauspieler die Geschichte der Menschheit als Fundus für Filmstoffe entdeckt. So entwarf Gibson in „Passion Christi“ (fd 36 417) die Leidensgeschichte Christi als naturalistisch anmutendes Drama, das die Evangelien-Texte wie „Tatsachenberichte“ umsetzte; nun ist er in den zentralamerikanischen Dschungel Yukatáns eingetaucht, um von den einst dort lebenden Mayas zu berichten, von ihrer Kultur- und Leidensgeschichte und ihrem Familiensinn. „Apocalypto“ ist ein ebenso radikales Werk wie „Passion Christi“, bei dem Gibson weder Kosten noch Mühen gescheut und auch nicht auf Warnungen aus der Branche gehört hat. Warum auch, haben doch ähnliche auf Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit abzielende „Bedenken“ u.a. dazu geführt, dass ihn sein christliches Leidensepos mehr als zehn Jahre Herzblut kostete. Nun ist in „nur“ zwei Jahren Vorbereitungszeit ein ähnlich ehrgeiziges Epos entstanden, und Gibson spekuliert wohl einmal mehr darauf, dass das Publikum die Unkenrufe der Experten Lügen strafen wird und das waghalsige Unterfangen mit ähnlich guten Einspielzahlen belohnt. Wieder erzählt Gibson eine Geschichte, deren gesicherte historische Daten von Sagen, Mythen und Legenden überwuchert sind, und wieder schickt er sich als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor an, ein Märchen so zu gestalten, dass es möglichst „echt“ wirkt; in einer Detailversessenheit, die vor dem Gebrauch archaischer Sprachen nicht Halt macht. Von den längst verschwundenen Hochkulturen Mittelamerikas zeugen heute nur noch wenige Überreste, denn die meisten Kulturzeugnisse haben die Flammen der Conquistadores getilgt. Nur das Gold, einige Gebrauchsgegenstände und die im Dschungel verborgenen Steinmonumente sind in Ansätzen erhalten. Die bislang entschlüsselten Schriftzeichen eignen sich indes bestens als Stoff für eine Fiktionalisierung durch Hollywood, denn sie erzählen von einer höchst ambivalenten, ebenso gewaltigen wie gewalttätigen Hochkultur: Die Errungenschaften im Ackerbau, in der Astronomie und in der Architektur werden konterkariert von „barbarischen“ Gesellschaftsstrukturen mit von Gottkönigen zelebrierten Schreckensherrschaften und bestialischen Ritualen. Zu sehen ist in „Apocalypto“ zunächst eine archaische Idylle; Jäger und Sammler im grünen Dickicht einer heilen, unberührt scheinenden Welt. Das versteckt gelegene Dorf wird einmal von Pranke des Jaguars geleitet werden. Der Sohn des Oberhaupts ist ein ebenso starker wie findiger Jäger, aber auch ein kluger, vorrausschauender Kopf. Doch das nahende Ende hat selbst er zu spät realisiert. Die fremden Krieger, die durch das dichte Unterholz schleichen, jagen keine Tapire, sie suchen nach Menschenopfern für eine reiche Ernte, Fruchtbarkeit und immerwährende Macht ihres Gottkönigs. Das Niederbrennen der Siedlung und das Vernichten der Gemeinschaft mit ihrem Führer an der Spitze ist nur der Anfang eines unbeschreiblichen Martyriums, denn Pranke des Jaguars und seine Gefolgsleute werden in eines der Zentren der Maya-Macht deportiert. Leitwolf, mächtiger Holcane-Krieger und Anführer der Sklavenfänger, wird die Überlebenden der Reise zur Schlachtbank führen, auf der sie den Göttern geopfert werden. Doch wie durch ein Wunder gelingt Pranke des Jaguars im letzten Augenblick die Flucht. Er muss zurück zu den Ruinen seines Dorfs, in denen seine schwangere Frau und sein kleiner Sohn in einem Versteck ums Überleben kämpfen. Doch der Weg zurück gerät zur schmerzhaften Odyssee, denn Leitwolf und seine erbarmungslosen Krieger sind dem Flüchtling auf der Spur. Nicht nur wer großes Hollywood-Erzählkino liebt, wird von „Apocalypto“ enttäuscht werden, auch der im weitesten Sinne anthropologisch Interessierte dürfte kaum Befriedigung finden. Denn so anspruchsvoll sich Gibson seit „Passion Christi“ gibt, so banal ist sein neues Werk. „Apocalypto“ ist eine bildgewaltige, blutrünstige, atemlose Achterbahnfahrt, nicht mehr. Das Ausloten von historischen oder gar gegenwärtigen Bezügen spielt keine Rolle. Man erlebt fremde Völker, fremde Sprachen und eine befremdliche Handlung; ein Verständnis für die Kultur der Mayas zu entwickeln – etwa dafür, was hinter den Bräuchen und Riten steckt –, ist dem Regisseur nicht wichtig, eine zeitliche Kontextualisierung mit der beginnenden Conquista im 16. Jahrhundert geschieht lediglich durch die letzten Bilder. Erklärungen oder Interpretationen der historischen Hintergründe bleiben aus. Dafür ergeht sich Gibson in einem Action-Trommelfeuer sondergleichen, in dem jegliche ethischen Werte (natürlich mit Ausnahme der Erotikabstinenz) verbrennen. In einem außerhalb des Splatter-Genres bislang nicht für möglich gehaltenen Gewaltrausch spritzen hier die Eingeweide gegen die Leinwand. In ebenso prächtigen wie schrecklichen Bildern, deren visueller Kraft sich der Zuschauer kaum entziehen kann (Kameramann ist „Oscar“-Preisträger Dean Semler), wird eine als barbarisch abgestempelte Gesellschaft am Abgrund vorgeführt. „Apocalypto“ ist laut Werbung ein „mystisches Action-Abenteuer“; jeglicher Versuch einer inhaltlichen Aufwertung ist indes fruchtlos. Politische Analogien jenseits des historischen Einzelfalls, die etwa die Präambel des Films suggeriert („Eine große Zivilisation lässt sich nur von außen erobern, wenn sie sich von innen schon selbst zerstört hat“), sind ebenso sinnfrei und ärgerlich wie der Versuch, „Authentizität“ und „Geschichte“ zu verbinden. Angesichts der hier präsentierten Oberflächlichkeiten und des naiven Gut-Böse-Schemas, in das die Maya-Kultur gepresst wird, wirken Details wie der auf der gesamten Filmlänge durchgehaltene Maya-Dialekt wie ein Hohn. So exotisch das Sujet anmutet, so konservativ ist Gibson in seinen zentralen Botschaften; denn auch in den alten Maya-Strukturen ist es offensichtlich der Bund der Familie, der alle Aktionen seines Helden motiviert. Nur sie gibt der mentalen Kraft von Pranke des Jaguars eine Richtung und seinem Überlebenswillen einen Sinn. Spätestens da ist der Regisseur aus dem archaischen Dschungel wieder vollends im heimischen Hollywood angekommen.

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