Drama | Chile/Argentinien/Frankreich 2005 | 105 Minuten

Regie: Alicia Scherson

Eine junge Frau aus dem Süden Chiles hält sich in der Hauptstadt Santiago durch die Pflege eines alten Mannes über Wasser. Sie findet eine elegante Aktentasche und heftet sich an die Spuren ihres Besitzers, eines jungen Architekten, der von seiner Verlobten verlassen wurde. Dabei lernt die Frau eine ihr gänzlich neue Lebenswelt kennen und fasst den Mut, selbstbestimmt ihren Weg zu gehen. Der ebenso lakonisch wie poetisch erzählte Film verweist über das individuelle (Frauen-)Schicksal hinaus auf viele soziale Facetten der chilenischen Hauptstadt und offenbart mit skurrilem Humor eine optimistische Sicht, das Leben zu gestalten.
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Filmdaten

Originaltitel
PLAY
Produktionsland
Chile/Argentinien/Frankreich
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Parox/Morocha Films/Providencia/Paraïso Prod.
Regie
Alicia Scherson
Buch
Alicia Scherson
Kamera
Ricardo DeAngelis
Musik
Joseph Costa · Marc Hellner
Schnitt
Soledad Salfate
Darsteller
Viviana Herrera (Cristina Llancaqueo) · Andres Ulloa (Tristán Greenberg) · Aline Küppenheim (Irene) · Coca Guazzini (Laura) · Jorge Alis (Ricardo)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f (DVD CH: ab 0)
Genre
Drama

Heimkino

Verleih DVD
Trigon (16:9, 1.78:1, DD2.0 span.)
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Diskussion
In einem Spielsalon in Santiago steht eine junge, dunkelhaarige Frau konzentriert am Automaten, dann verlässt sie das Lokal. Es ist Hochsommer in Chile; Cristina schlendert langsam durch die Straßen der Hauptstadt. Wenn sie sich eine Zigarette anzündet, tut sie es unbeholfen, aber fast mit religiöser Inbrunst, als würde sie neues Leben in sich aufsaugen. Cristinas Zuhause liegt in einem ärmeren Viertel der Stadt. Hier kann sie wohnen, denn sie pflegt den bettlägerigen Milos, einen alten Mann ungarischer Herkunft. Sie versorgt seinen Haushalt und liest ihm Artikel aus dem „National Geographic“ vor; die Berichte aus fernen Ländern lassen ihn die Stille und die Starre seines Lebensabends leichter ertragen. Cristina kommt aus einer Familie, die zu den Mapuche gehört, den chilenischen Ureinwohnern aus dem entfernten Süden des Landes. Sie kann die Sehnsucht der Hauptstädter nach den Wäldern ihrer Heimat, wie sie etwa der junge Gärtner Manuel äußert, nicht verstehen und auch nicht die Aufforderungen ihrer Mutter, in die Heimat zurück zu kommen. Eines Morgens, als sie den Müll ausleert, findet Cristina eine elegante Aktentasche und beginnt sich für das Leben ihres Besitzers zu interessieren: Tristán Greenberg, ein schüchtern wirkender junger Architekt, kommt aus „Las condes“, einem der wohlhabenden Viertel der Stadt. Seine Verlobte Irene hat ihn wegen eines Russen verlassen; nun läuft er verzweifelt durch die Straßen, verirrt sich in ihm völlig unbekannten Gegenden. Als er beraubt wird, landet seine Tasche auf dem Müll, und es scheint, als wäre ihm nicht nur die Verlobte, sondern mit der Aktentasche auch die Identität abhanden gekommen. Cristina jedoch eröffnet ihre Suche auf den Spuren dieses Mannes einen neuen Blick auf die Stadt und auf ihre Möglichkeiten. Sie strebt fortan ein Leben an, das über die üblichen Perspektiven eines Hausmädchens aus der Provinz hinausgeht, und findet ihren Weg in einer Männerwelt voller gebrochener Charaktere. „Play“ ist die Starttaste am Spielautomaten: sie reproduziert das Spiel, setzt den Film und damit die Geschichte in Bewegung. Der erste Spielfilm der chilenischen Regisseurin Alicia Scherson ist ein Sommerfilm, der von einfachen Personen handelt. Dabei ist sein Erzählton leicht und lakonisch, gewürzt mit subtilem Humor. Keine Sinfonie einer Großstadt, eher eine Suite, ein lebendiges Kammermusikstück aus sich überschneidenden und berührenden Geschichten, ein Spiel mit der eigenen Identität. Der Film erzählt über die Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten, über die Chance, jemand anderes sein zu können. Außerdem ist „Play“ ein ungewöhnliches Porträt verschiedener sozialer Facetten der chilenischen Hauptstadt, das viele herkömmliche Stereotypen vermeidet: Für die Regisseurin ist Santiago eine gesichtslose Metropole, die ihre Identität irgendwo zwischen Buenos Aires, Shanghai oder New York sucht. Allein die unterschiedliche Herkunft der einzelnen Protagonisten weist auf die multiethnischen und multikulturellen Wurzeln der Stadt hin. Als Cristinas Aufenthalt in Santiago vor dem Ende steht und Manuel ihr ein gemeinsames Leben in Aussicht stellt, will sie nicht mehr zurück: „Ich will keine armen Kinder haben, ich will nicht in den Süden“, sagt sie und wird auch nicht bei dem Gärtner bleiben. Am Ende trifft Cristina mit der Präzision der routinierten Spielerin die Entscheidung, die sie vor dem konventionellen Happy End bewahrt. Jetzt sieht sie das Panorama der Stadt von oben, vielleicht die Belohnung dafür, frei geblieben zu sein. Ein lakonischer und dennoch auch ein sehr poetischer Film, spröde und heiter zugleich, mit skurrilem Humor und mit großer Empathie für seine Figuren. Ein optimistisches Werk ohne jegliche Moral, weit entfernt vom populären chilenischen Kino, aber auch humorvoller und magischer als der realistische Existenzialismus des jungen argentinischen Films.
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