Musikfilm | Deutschland 2006 | 109 Minuten

Regie: Sven Halfar

Dokumentarfilm über HipHop und drei farbige Rapper in Deutschland, die ohne ihre nichtdeutschen farbigen Väter aufwuchsen. Ihre Identitätssuche mündet in eine kraftvolle Musik mit vorwiegend deutschen Texten, in denen sie von einem schönen, aber auch von einem aggressiven Deutschland, von Fremdenhass, Rechtsradikalen und Vorurteilen singen. Noch beklemmender als die Aussagen der Musiker sind die ihrer deutschen Mütter, die sich wünschen, dass ihre Kinder endlich ihre Identität und ihren Frieden finden. Eine Sozialstudie mit der Musik als rotem Faden, die den HipHop und das dahinter stehende Anliegen des Rap nahebringt. (Teils O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Filmtank Hamburg/ Wüste Film
Regie
Sven Halfar
Buch
Sven Halfar · Aurel Bantzer
Kamera
Dirk Heuer
Musik
Nils Kacirek
Schnitt
Götz Schuberth
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. die Kurzfilme "Afrodeutsch" (10 Min.) und "Kameraden" (1:30 Min.).

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Rapper auf der Bühne, rennende Jugendliche in der U-Bahn, eine wandernde Collage mit lächelnden Kinderfotos vor dem Reichstag. So beginnt „Yes I Am!“, ein Musikfilm, eine Dokumentation. Es geht um afro-deutsche Rapper und ihr nicht immer schönes Leben in Deutschland, das sie besingen. Auf Deutsch und auf Englisch, denn im Grunde ihres Herzens werden sie immer zwischen zwei Kulturen leben, selbst wenn sie hier geboren und aufgewachsen sind. Das macht Regisseur Sven Halfar am Beispiel von drei nicht mehr ganz so jugendlichen Rappern deutlich. „It’s a long way home“, singt Adé Odukoya, Jahrgang 1971. Er wuchs in Lagos auf, der größten Stadt Nigerias: Als er 15 war und sein Vater ermordet wurde, brachte die aus Deutschland stammende Mutter ihn und seine Geschwister in ihre Heimat, in ein fremdes Land. Adé hat einen starken Akzent, wenn er Deutsch spricht, vielleicht singt er deshalb lieber auf Englisch. Zusammen mit seinem fünfjährigen Sohn reist der Mann mit den langen Rasta-Zöpfen oft nach Nigeria, wo er Freunde hat, sich sofort zurechtfindet und glücklich scheint. „Wir könnten es auch hier schaffen“, sagt er und meint damit, in Nigeria zu leben. „Ich bin traurig, weil ich merke, er ist noch nicht angekommen“, sagt Adés Mutter, sie meint Deutschland und weint. Adé macht keine depressiven Songs, ganz im Gegenteil: Wenn er rappt und auf der Bühne oder im Proberaum im Takt hüpft und ausgelassen springt, sieht er glücklich aus. Er ist der Motor des Films, seine Worte und Taten sind ansteckend, seine Gefühle echt. Auch Daniel Kretschmer alias D-Flame weiß, wovon er singt. Er ist ebenfalls Jahrgang 1971, Sohn eines GIs, der kurz nach der Geburt des Kindes ausgewiesen wurde, und einer deutschen Mutter. „Er ist ein gewolltes Kind“, sagt die Mutter. „Wenn sie besoffen ist, sagt sie schon mal Nigger und ich wollte, du wärst nie geboren“, sagt D-Flame. Die Mutter wusste nicht, dass D-Flame schon im Gefängnis war, sie lebt in einer anderen Welt, wurde früher als „Hure, Schlampe, Sau“ beschimpft. D-Flame vermisste seinen Vater, heute hat er eine schwarze Frau und selbst vier Kinder, um die er sich so liebevoll kümmert wie Adé um seinen ebenfalls farbigen Sohn. D-Flame hat nicht die Sehnsucht nach dem Land des Vaters, er ist hier aufgewachsen, sieht aus wie ein typischer US-Rapper: groß, korpulent, friedvoll, dunkle Stimme, ein Goldzahn. Er rappt akzentfrei auf Deutsch, er unterhält sich viel mit Kindern, er scheint sich mit seinem Leben arrangiert zu haben. Seine Songs sind ruhiger als die von Adé. Mamadee Wappler, 27, aufgewachsenen in der DDR – ihr Vater war Gaststudent aus Sierra Leone, wurde aber schnell wieder nach Afrika zurückgeschickt – ist eigentlich keine Rapperin. Sie macht Soul, jazzig angehaucht. Sie singt auf Deutsch, sie kennt nichts anderes, sie war eine begeisterte Jung-Pionierin, als Teenager wurde sie wegen ihrer Hautfarbe drangsaliert, auch von Skinheads. Nach der Wende ging sie nach Köln, arbeitete in Bars und fing als Backgroundsängerin an, ging mehrfach mit dem Reggae-Star Gentleman auf Tour und macht nun auch eigene Songs. Nach Afrika will sie nicht, sie singt: „Ich fühle mich wohl in dem Land, in dem ich geboren bin“, aber auch: „Ich sehe eine Landschaft ohne Bäume, ohne Leben“. Die dre ineinander geschnittenen Leben und Musikstile, die Aussagen der Mütter und Dokumentaraufnahmen von aggressiven Skinheads, von Toten in Deutschland und Afrika, die Konzertbilder und die Rap-Songs, die den Bildern unterlegt sind, ergeben ein sorgsam konstruiertes Puzzle. Sven Halfar, Absolvent der Filmhochschule Hamburg, nähert sich seinen Protagonisten nicht wie ein Insider, sondern wie ein neugieriges Kind. Sein Film lässt deutsche Rapper in einem ganz anderen Licht erscheinen: als Musiker, die nicht irgendeine Mode imitieren, sondern wirklich in dieser Musik und in ihren Texten das zum Ausdruck bringen, was sie fühlen: Sie suchen und beschreiben ihre Identität in einem Land, in dem vieles nicht ideal ist. Weil Halfar seine Musiker so eindrücklich porträtiert, wirkt es auch nicht aufgesetzt, wenn er in der letzten halben Stunde das gemeinsame Projekt dieser und weiterer farbiger Musiker beschreibt: „Brothers Keepers“, ein Verein, der gegen Rassismus und rechtsradikale Gewalt kämpft – mit ihrer Musik auf der Bühne, vor allem aber mit einer Tour durch kleine ostdeutsche Städte, wo Adé, D-Flame, Mamadee und auch Xavier Naidoo mit Schülern diskutieren. „Die einzigen, die sich hier um die Schüler kümmern, sind halt die Rechten“, sagt Naidoo, der farbige Star aus Mannheim, der hier bewusst nur ein Nebendarsteller ist und klarstellt, dass die Schulkinder das Anliegen der Rechten nicht durchschauen und deshalb wohl selbst gewaltanfällig werden können. „Die Freunde gehen als Feinde, denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“, singen die farbigen Rapper, die Adé im ganzen Land zusammengetrommelt hat, als im Jahr 2000 in Dessau ein Afrikaner an den Verletzungen starb, die ihm Neonazis zufügten. „Brothers Keepers“ hatte mehrere Hits, Adé, D-Flame und Mamadee singen weiterhin erfolgreich. Sven Halfars Dokumentarfilm, der kommentarlos diese ganz besondere deutsche HipHop-Szene beschreibt, schafft es, auch diejenigen für Rap aus Deutschland zu begeistern, die dem Genre eher ablehnend gegenüberstehen, weil er daraus einen Film über Deutschland gemacht hat, eine Sozialstudie, die ganz von ihren uneitlen Musikern, dem Rhythmus und einer Identitätssuche ausgeht, die alle betrifft.
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