Das wahre Leben

Drama | Deutschland 2006 | 108 Minuten

Regie: Alain Gsponer

Als ein Top-Manager durch Firmenfusionen seinen hochdotierten Job verliert, geht sein nur scheinbar harmonisches Familienleben in die Brüche. Die rebellische, selbstmordgefährdete Tochter der neuen Nachbarn sorgt für zusätzlichen Konfliktstoff, während sein heftig pubertierender Sohn mit Vorliebe für Sprengsätze von der noblen Vorort-Villa keinen Stein auf dem anderen lässt. Überzeugend gespielte, phasenweise aber zu unentschlossen und vorhersehbar entwickelte Burleske, die erst spät die Balance zwischen Tragödie und Satire findet, dann aber durchaus stimmig das Bild einer auf hohem Niveau kriselnden Republik zeichnet. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
BurkertBareiss Development/TV60 Film/C-Films/GFP Medienfonds/SWR/BR/SF
Regie
Alain Gsponer
Buch
Matthias Pacht · Alexander Buresch
Kamera
Matthias Fleischer
Musik
Marius Felix Lange
Schnitt
Melanie Werwie
Darsteller
Ulrich Noethen (Roland Spatz) · Katja Riemann (Sybille Spatz) · Hannah Herzsprung (Florina) · Josef Mattes (Linus Spatz) · Volker Bruch (Charles Spatz)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Komödie | Satire
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Wenn es im Kinderzimmer übermütig zugeht, schreiten die Eltern ein, damit die Späße in Tränen enden. Geweint wird reichlich in Alain Gsponers Familienburleske, gelitten, gestritten und geliebt. Mitunter explodieren auch Michelangelo-Statuen in Nachbars Garten, denn das Kinderzimmer des heftig pubertierenden Sohnemanns beherbergt eine ansehnliche Sprengstoff-Sammlung. Und zum Schluss bleibt auch das Design-Haus – arrangiert wie in einem Schöner-Wohnen-Prospekt für gehobene Einkommensklassen – von seiner Wut nicht verschont. Nach dem „wilden Leben“ von Uschi (fd 38 012) nun das wahre Leben in einer wohlhabenden Vorstadtsiedlung mit Katja Riemann, die in diesem deutschen Verschnitt aus „American Beauty“ (fd 34 066) und „Eissturm“ (fd 32 888) eine sensationelle Metamorphose schafft: Schon die Stimme ist so tief, die Haare so schwarz und der Ton so sarkastisch, dass man sie kaum wiedererkennt. Der sich langsam einschleichende Ausnahmezustand im Leben der gepflegten Galeristin, deren erfolgsverwöhnter Ehemann plötzlich dem Risikomanagement eines Großkonzerns zum Opfer fällt, funktioniert zunächst erstaunlich gut als bitterböse Abrechnung mit dem klassischen Kleinfamilienmodell und der schönen neuen Arbeitswelt. Der überflüssig gewordene Geschäftsmann, der zuvor 14 Stunden am Tag schuftete, nimmt seine Familie zum ersten Mal seit langem wahr und setzt sich nun neue Ziele im Privaten: Um die Minderwertigkeitsgefühle im Zaum zu halten, reißt der ausgebremste Top-Manager wie wild Wände ein und verwandelt den Bungalow in eine Baustelle. Nebenbei widmet er sich auffällig übermotiviert seinen zwei durch die ständige Anwesenheit des Vaters verunsicherten Söhnen, von denen der ältere beim Bund gerade seine Homosexualität entdeckt, während der jüngere in Liebe zur chronisch rebellierenden Tochter der neuen Nachbarn entbrennt. Die muss sich zu allem Überfluss mit dem Unfalltod ihres Bruders auseinandersetzen, der sie allein mit ihren überforderten Eltern zurückließ. Der neue Shooting-Star Hannah Herzsprung beweist in der Rolle der sensiblen 18-Jährigen nach „Vier Minuten“ (fd 38 013) erneut eine große Wandlungsfähigkeit, und die beschränkt sich nicht nur auf den Mut, sich im Verlauf des Films den Kopf kahl scheren zu lassen. Ihrer Präsenz und allen anderen hervorragend besetzten Mitspielern – darunter der junge Volker Bruch, eine weitere Neuentdeckung – verdankt sich, dass der allzu lange die Balance zwischen Tragödie und Satire suchende und auf die Bildästhetik besserer Fernsehspiele setzende Film nicht aus der Kurve getragen wird. Bevor der jüngere Filius das Eigenheim in die Luft sprengt und unter freiem Himmel das wahre Leben lauert, vergaloppiert sich die ihrer eigenen Courage nicht trauende Deutschland-Clownerie jedoch leider in überflüssige Peinlichkeiten, die allzu vorhersehbar auf den finalen Showdown hinauslaufen. Zuvor muss Ulrich Noethen noch nackt und alkoholisiert zwischen Ölfarbtuben wühlen, während die nicht korrumpierbare Hannah Herzsprung in Katja Riemanns Galerie ihrer vielversprechenden Karriere als Nachwuchsmalerin mit konsequenter Provokation widersteht und sich am heimischen Swimmingpool schreiend und weinend eine Überdosis aus Wodka und Beruhigungstabletten verpasst. Bei all den Knalleffekten bleiben die feinen Details und subtil entlarvenden Beobachtungen von ganzen Branchen wie des Kunstmarkts oder der privaten Jobvermittler auf der Strecke. Regisseur Gsponer gelingt es vor lauter Sympathie nicht, seinen häufig menschelnden Figuren mit Abstand zu begegnen. Äußere Leere und inneres Drama der Einsamkeit kommen so nicht ins Gleichgewicht, und auch wenn „Das wahre Leben“ es schafft, ein Stimmungsbild der auf hohem Niveau kriselnden Republik zu zeichnen, verlässt sich der Schweizer Gsponer zu sehr auf gängige Erzähltechniken und modische Musikuntermalung, um der Fallhöhe seines Themas wirklich gerecht zu werden. Im Schlussbild entfaltet er nach all dem die Emotionen reinigenden Spektakel einen von Hoffnung schillernden Traum, der an den der Hippie-Zeit erinnert: Haben oder Sein? Die Zeit scheint angehalten und die dysfunktionale Familie ist schlafend im Vorgarten vereint auf dem rauchenden Trümmerhaufen bürgerlicher Statussymbole und verselbstständigter Ambitionen. Wie lange die Einsicht in die Dinge bleibt, möchte man in diesem friedvollen Moment gar nicht wissen, zufrieden, dass der Atem endlich stockt. Das muss reichen.
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