Strajk - Die Heldin von Danzig

Drama | Deutschland/Polen 2006 | 108 Minuten

Regie: Volker Schlöndorff

Der Film dramatisiert die Lebensgeschichte einer Mitbegründerin der polnischen unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc, einer Kranführerin in der Leninwerft. Dabei spannt er einen Bogen vom Jahr 1961 bis zur Gegenwart, verliert sich aber in Details der an der authentischen Figur angelehnten Biografie, ohne sie zu einer spannenden Handlung zu fügen oder einen plausiblen Charakter zu formen. Auch deren Darstellerin vermag kaum für die Figur einzunehmen, hinzu kommen eine Erzählhaltung und eine Kamera, die gleichermaßen auf Distanz bleiben. Auch bleibt der Einfluss der Arbeiterin auf die Entstehung der freien Gewerkschaft schemenhaft und erscheint eher zufällig. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
STRAJK - BOHATERKA Z GDANSKA
Produktionsland
Deutschland/Polen
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Provobis Film/BR-ARTE/Paisa Films/Mediopolis
Regie
Volker Schlöndorff
Buch
Andreas Pflüger · Sylke Rene Meyer
Kamera
Andreas Höfer
Musik
Jean-Michel Jarre
Schnitt
Peter Przygodda · Wanda Zeman
Darsteller
Katharina Thalbach (Agnieszka) · Andrzej Chyra (Lech, Elektriker) · Dominique Horwitz (Kazimierz) · Andrzej Grabowski (Sobecki) · Dariusz Kowalski (Bochnak)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Lech Walesa kennt jeder, Solidarnosc auch: Schlagworte des zu Ende gehenden Kommunismus wie Perestroika und Glasnost, nur dass Polens erste freie Gewerkschaft im Gegensatz zum sowjetischen Aufbruch nicht von oben verordnet war. Weitgehend unbekannt ist im Westen dagegen der Name der Mitbegründerin von Solidarnosc, das „Herz“ neben dem „Hirn“ Walesa: Anna Walentynowicz. Diesen Umstand will Volker Schlöndorff mit seinem zeitgeschichtlichen Film ändern. Auf Hilfe der echten Frau Walentynowicz konnte er dabei nicht zählen: Sie verbat sich jede Verfilmung ihrer Geschichte. Also heißt Anna im Film Agnieszka Koslowska, Kranführerin in der Danziger Leninwerft ist sie dennoch wie ihr Vorbild, alleinerziehend auch, und kämpferisch trotz aller Defizite in Bildung und Körpergröße. Zum ersten Mal erhebt Agnieszka 1961 ihre Stimme; da ist sie schon seit Jahren auf ihrer Werft als Schweißerin zugange: Die Kantine sei zu weit weg. Anstatt auf Entscheidungen von oben zu warten, serviert sie die Suppe gleich am Ort der Arbeit, und alle löffeln sie aus. Dass sie kurz zuvor zum wiederholten Male zur Heldin der Arbeit gekürt worden ist und sich damit den Unmut der Kollegen zugezogen hat, ist die erste Irritation des an Irritationen, die sich nicht auflösen, reichen Films. Da betreut sie hingebungsvoll ihren kleinen Sohn, mit dem sie sich später überwirft, beschimpft den Trompete spielenden Nachbarn, in den sie sich kurz darauf verliebt, hält sich aus allem heraus, mischt sich dann wieder überall ein – die Dinge geschehen, ohne dass die dramaturgische Entwicklung sie plausibel macht, abgespult wie auf einer Zeitleiste. Das gilt für die Mikrostruktur jeder einzelnen Szene wie für das Ganze: Gefühlsregungen werden nur behauptet, aber eben auch die Mechanismen, die zu den Streiks in der Werft und schließlich zur Gründung der Gewerkschaft führten. Am Anfang stand, so viel wird klar, ein Protest gegen Überbelastung und mangelnden Werkschutz. Aber selbst bei der bloßen Illustration der Ereignisse vertraut Schlöndorff seinen Bildern nicht. Daher blendet er immer wieder Dokumentaraufnahmen derselben Vorgänge ein, die er inszeniert, sei es mit Hilfe eines zufällig herumstehenden Fernsehers, sei es ohne. So verdoppeln sich viele Bilder, und nur Schlöndorffs Dramatisierung kann dabei verlieren. Bei all dem bleibt unklar, welchen Anteil die Hauptfigur an den Ereignissen hat. Alle wesentlichen Stationen im Leben der Anna/Agnieszka von 1961 bis heute will der Film zeigen, ungebrochen, ihr wohlgesonnen, wie eine Hand, die Schlöndorff der authentischen Person reicht. Nur wird die Notwendigkeit dessen weder für die Geschichte noch für den Charakter der Hauptfigur klar. Zumal die entscheidenden Momente ausgeblendet werden. Da sieht man sie über ausbleibende Witwenrenten jammern, im nächsten Moment hat sie die Renten durchgesetzt. Wie hat sie das gemacht? Obwohl sie fast die ganze Zeit im Bild ist, bleibt ihre Motivation schleierhaft. Das liegt zum einen an der Erzählperspektive, die konsequent allwissend ist und kaum je die Sichtweise der Agnieszka einnimmt, zum zweiten an der Kameraführung, die diese Haltung aufnimmt und das Geschehen aus sicherer Distanz abbildet, ohne den Zuschauer dafür zu gewinnen, und zum dritten an der Darstellerin Katharina Thalbach. Die kleine resolute Frau spielt, wie immer, eine kleine resolute Frau, von Anfang bis Ende, ohne dass sie eine sichtbare Entwicklung durchmacht: die Mutter Courage, den Fels in der Brandung, und gleichzeitig die Gelsomina, die reine Unschuld im Clownsgewand. Unberührt von Mitspielern oder dramaturgischem Kontext nutzt sie das Set als Theaterbühne für eine One-Woman-Show. Schlöndorff liebt wohl an ihr, seit „Die Blechtrommel“ (fd 22 008), was er auch sonst betreibt: das Eindeutige. Dialoge, die keinen Subtext enthalten, Bilder, die keine Ambivalenz zulassen, Symbole, wenn überhaupt, die 100-prozentig im gesellschaftlich-historischen Kontext abgefedert sind. Diese Eindimensionalität aber unterfordert den Zuschauer, und sie wird keiner Biografie, keiner realistischen Darstellungsform und schon gar keiner Historie gerecht. Ein Kino der Eindeutigkeit ist eher das Melodram, das Schlöndorff immer wieder auch einbaut, dabei aber stets in den Dienst eines zeitgeschichtlichen Themas stellt, wie NS-Deutschland oder RAF-Terrorismus. Auch im Dokumentarfilm, wenigstens in den reportageartigen Formaten, wird Eindeutigkeit wenn schon nicht unbedingt gefordert, aber mitunter für sinnvoll erachtet – ein Genre, das Schlöndorff bisher weitgehend vermieden hat, außer in den Omnibus-Filmen („Der Kandidat“, fd 22 423; „Deutschland im Herbst“, fd 20 705) oder in den Fernseh-Porträts (Valeska Gert, Horst Wendtlandt). Seine Art, Filme zu machen, hat sich gewandelt. Angetreten war er, der Malle, Resnais und Melville auf die Finger schaute, mit allegorischen Filmen, die mit bildlicher Kraft und inszenatorischen Akzenten historische, literarische oder Genrestoffe aufgriffen, um mit deren Hilfe Zeitphänomene anzusprechen. Das war in den 1960er- und 1970er-Jahren, damit ist er berühmt geworden. Die Literaturverfilmung hat ihn seither nicht mehr losgelassen, bis zum künstlerischen Debakel mit „Der Unhold“ (fd 32 093), und die Zeitgeschichte auch nicht, ganz wie sein im Zusammenhang mit „Strajk“ benanntes Vorbild Andrzej Wajda. Womöglich ist Schlöndorff mit der endlosen Planungsphase, in deren Verlauf er bereits weitere Filme drehte, auch ein wenig der Zugang zum Thema verloren gegangen. Ob sein Vorbild es besser hinbekommen hätte, ist ja auch nicht gesagt.
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