Eleni - Die Erde weint

- | Griechenland/Deutschland/Frankreich/Italien 2004 | 163 Minuten

Regie: Theo Angelopoulos

Die Geschichte eines griechischen Waisenkindes, dessen Familie im Jahr 1919 aus Odessa vertrieben wird, das nach der Ermordung der Eltern in einer Pflegefamilie aufwächst und die Wechselfälle der griechischen Geschichte leidvoll erleben muss. Eine bildgewaltige epische Erzählung als politische Bilanz des 20. Jahrhunderts, deren artifizielle Bildästhetik immer wieder auf frühere Filme des griechischen Meisterregisseurs Theo Angelopoulos zurückgreift, der hier erstmals eine Frau in den (Leidens-)Mittelpunkt stellt. Erster Teil einer als Trilogie konzipierten Verdichtung von individuell erlebter und erlittener Geschichte. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TRILOGIA I: TO LIVADI POU DAKRIZI
Produktionsland
Griechenland/Deutschland/Frankreich/Italien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
ERT/Attica Art/Bac/Intermédias/arte/Classic/Istituto Luce/RAI/Networ/Movie Reinhold Elschot/ZDF/Eurimages/Greek Film Centre
Regie
Theo Angelopoulos
Buch
Theo Angelopoulos · Tonino Guerra · Petros Markaris · Giorgio Silvagni
Kamera
Andreas Sinanos
Musik
Eleni Karaindrou
Schnitt
Giorgos Triantafillou
Darsteller
Alexandra Aidini (Eleni) · Nikos Poursadinis (junger Mann) · Giorgos Armenis (Nikos, der Geiger) · Vassilis Kolovos (Spyros) · Eva Kotamanidou (Cassandra)
Länge
163 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Nach der Vertreibung durch die Bolschewiken aus Odessa trifft im Jahr 1919 eine Gruppe griechischer Flüchtlinge in der Gegend von Thessaloniki ein. Einige wollen sich als Musiker durchschlagen, doch sie haben in den Tavernen kein Glück. Wie Wanderschauspieler begeben sie sich auf eine Reise durch Zeit und Raum. Unter den Flüchtlingen befindet sich das Waisenkind Eleni, das nach der Ermordung seiner Eltern von der Familie des jungen Alexis adoptiert wird. Die beiden Jugendlichen verlieben sich ineinander. Eleni wird von Spyros, dem Familienoberhaupt, geschwängert und bringt zwei Jungen zur Welt, die bei Pflegeeltern aufwachsen. Als der Patriarch nach dem Tod seiner Frau Eleni heiratet, flieht jene mit Alexis aus dem Dorf. Das junge Paar reist mit einer Gruppe von Musikern nach Thessaloniki und kommt in einem Theater unter. Um den Lebensunterhalt zu verdienen, geht Alexis, ein hervorragender Akkordeonspieler, mit den Kollegen auf Tournee. Eleni sucht Kontakt zu ihren Söhnen, doch Spyros’ Schatten verfolgt sie selbst über dessen Tod hinaus. Jahre später lehnt die traditionsbewusste Dorfgemeinschaft eine Heimkehr ins Haus der Stiefeltern ab: Vor Spyros’ Haus hängen weithin sichtbar Schafskadaver im Baum. Eine große Überschwemmung lässt das Vorhaben schließlich unmöglich werden. Auch die Bedrohung durch die Militärdiktatur, die Zeit der deutschen Besatzung und des Bürgerkriegs stellen Eleni vor schwere Prüfungen. Während Alexis in die USA emigriert und als Soldat der amerikanischen Armee auf Okinawa stirbt, landet sie wegen vermeintlicher politischer Subversivität im Gefängnis. Die Söhne kämpfen auf verschiedenen Seiten im Bürgerkrieg und verlieren ihr Leben auf dem Schlachtfeld. Im Jahr 2004 wurde „Die Erde weint“, der erste Teil einer neuen Trilogie von Theo Angelopoulos, im Wettbewerbsprogramm der „Berlinale“ uraufgeführt; Fachpublikum und Kritik reagierten verhalten respektvoll, aber ohne Euphorie. Im Gegensatz zur Schweiz fand sich kein deutscher Verleih, der das knapp dreistündige Werk ins Kino brachte. Nun ermöglicht der Kultursender arte immerhin die Bekanntschaft mit dem Film, der in seiner ziselierten Ästhetik auf einer großen Leinwand natürlich ungleich eindringlicher wirkt. „Die Erde weint“ ist ein Fest für die Augen, ein Plädoyer für die Langsamkeit, das die berühmten Plansequenzen des Griechen, die langen, ruhigen Kamerafahrten und die elegische Musik von Eleni Karaindrou salbungsvoll überhöhen. Dem Soundtrack kommt dabei eine kommentierende Funktion zu, der den vertriebenen, auf Wanderschaft befindlichen Menschen den Verlust ihrer Identität, ihrer Heimat vor Augen hält. „Es ist die Geschichte zweier Menschen und ihrer Bindung aneinander. Sie beginnt 1919 in Odessa und endet im New York der Gegenwart. Sie erzählt von Exil, Trennungen und Wanderschaften, vom Zusammenbruch der Ideologien und den Prüfungen der Geschichte“, umreißt Angelopoulos das historische Panorama seiner Trilogie. Es ist eine Bilanz des 20. Jahrhunderts, die Geschichte der „menschlichen Tragödie“, dargestellt am Schicksal des griechischen Volkes; ein Leidensweg aus Verbannung, Flucht und Entwurzelung. Nach der „griechischen Trilogie“ („Die Tage von ’36“, 1972, „Die Wanderschauspieler“, 1975, „Die Jäger“, 1977), der politisch-historischen Landvermessung seiner Heimat, stellt der melancholische Rhetoriker der Einsamkeit erneut den Kanon der ur-griechischen Mythologie ins Zentrum eines Epos und zementiert damit sein kinematografisches Vermächtnis. Zum ersten Mal in seinem schmalen Œuvre macht Angelopoulos eine Frau zur dominanten Hauptfigur. Elenis Schicksal ist unverkennbar das einer modernen Antigone, deren individuelle Erfahrung kollektive Vertreibung und einen möglichen Neubeginn reflektiert. Ein geschundenes, gebrochenes Volk – gesehen aus der Perspektive einer starken, leidgeprüften Frau zwischen Schuld und Sühne. Denn in den Ruinen eines dem Untergang geweihten Dorfes keimt die Hoffnung auf eine Neuinterpretation und Überwindung des griechischen Mythos und Fatalismus. Wie alle großen Epen des Abendlandes schwelgt auch dieser Film in Pathos und Schönheit zum Tode. Es ist eine hermetisch abgeriegelte Welt, geronnene Verdichtung, schwer zu enträtseln. Das tiefe Tal der Tränen, ein Griechenland ohne Fata Morgana einer politischen Morgenröte, gezeichnet von der reinigenden Kraft des Wassers: Der Fluss trägt den auf dem Floß aufgebahrten Leichnam des Patriarchen, begleitet von Dutzenden von Booten mit schwarzen Segeln; der Fluss erträgt die Trennung von Alexis und Eleni, wenn sich das Abschiedsgeschenk, ein roter Pullover, mit wachsender Entfernung der beiden auftrennt. „Die Erde weint“ ist ein Feuerwerk an existenzialistischer Symbolik und Poesie, decouvriert in seiner artifiziellen Bildästhetik die Menschen als Spielball der Geschichte. Das griechische Trauma vom verlorenen Krieg gegen die Türken, die Flucht aus Kleinasien, bestimmt den kollektiven Überlebenskampf und den Weg in die innere Emigration. In einem stets verregneten, nebelverhangenen Griechenland dämmert die Hoffnung im melancholischen Wartesaal der Geschichte vor sich hin.
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