Beijing Bubbles

Musikfilm | Deutschland 2005 | 83 Minuten

Regie: George Lindt

Ein dokumentarischer Blick hinter die Kulissen der Rock- und Punk-Musikszene Pekings, der an ausgewählten Beispielen verschiedene Facetten der Subkultur aufzeigt und deren Protest-Potenzial gegen die sozialistische Diktatur auslotet, wobei die Rhythmik des Films Musik und Haltung, um die es geht, reflektiert. Eine ungewohnte Betrachtung der chinesischen Volksrepublik, die das Besondere der dargestellten Szene feinfühlig herausarbeitet und mit ihren vielen Alltagsdetails weit mehr ist als nur eine Musikdokumentation für eine "Special Interest"-Zielgruppe. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Lieblingslied Rec.
Regie
George Lindt · Susanne Messmer
Buch
George Lindt · Susanne Messmer
Kamera
Lucian Busse · George Lindt
Schnitt
Lucian Busse
Länge
83 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
„Es macht keinen Sinn, ein hart arbeitender Mann zu sein.“ Diesen erfrischenden Satz hört man mehrfach in diesem filmischen Streifzug durch eine ganz spezielle Pekinger Musikszene. Einer, der ihn sagt, ist Bian Yuan, der Frontmann der Punk-Band Joyside, der ein rosa Hemd mit schwarzen Herzchen trägt. Von der Frauenband Hang on the Box, die schon ihr viertes Album aufgenommen haben, hört man deutlichere Töne: Das Ausklinken aus der Gesellschaft, eben kein Rädchen im Getriebe sein, das ist die Quelle der eigenen Kreativität. Joyside und Hang on the Box sind zwei der Bands, die für wenig Geld durch kleine Pekinger Clubs tingeln. So sehr exotisch sind die Prinzipien „Rock’n‘ Roll“ und „Punk“ im Reich der Mitte also nicht. Es geht um Rebellion und Verweigerung, das ganze Programm, das hier im Westen gerade mit Retro-Chic und Nostalgiewert wiederaufgelebt ist. Die Zeitverschiebung ist kein Wunder. China wurde überwiegend von staatstragender Schlagermusik oder Mainstream-West-Pop überflutet, so konnte sich in der chinesisch-sozialistischen Diktatur kaum eine alternative Szene entwickeln. Erst seit ein paar Jahren gibt es Bands wie Joyside. Es besteht also viel Nachholbedarf – nicht nur musikalisch: „Singen, trinken und Sex haben“ will Bian Yuan – oder es einfach mal in die Kamera sagen, wofür er lautes Kichern von seiner Freundin erntet. Als faul bezeichnet er sich auch gerne. Doch die beiden Filmemacher George Lindt und Susanne Messmer, die vom Musikjournalismus kommen, haben noch viel mehr zu erzählen. In ihrer unterhaltsamen Dokumentation führen die Musiker von fünf Bands mitten hinein in ihre Musik und in ihr Alltagsleben zwischen heruntergekommenen Apartments, kleinen traditionellen Vierteln und Shopping-Malls in Peking. Das musikalische Spektrum ist enorm. Neben Joyside und Hang on the Box stehen der eher blueslastige Liu Donghong mit seiner Band Sha Zi. T9 verwenden traditionelle mongolische Instrumente und Obertongesänge; New Pants wiederum ähneln stilistisch den Ramones. Ähnlich unterschiedlich sind die Befindlichkeiten: Der eine räsoniert eben nur über das Biertrinken, der andere praktiziert eine durchdachte Konsumverweigerung, der Dritte hat spießige Träume. Wut, Resignation, aber auch Verantwortung werden thematisiert, auch zwischen den Zeilen. Es wird auch klar, dass man sich gut einrichten kann in seinen „Beijing Bubbles“, den kleinen Blasen, die das Abschirmen vom Alltag in einem Staat erleichtern, der Individuelles immer noch ablehnt. So manches Statement in den Interviews wird vom nächsten ironisch aufgehoben und kratzt dann doch an der Romantik eines Subkultur-Lebens, dessen Finanzierung ein Abenteuer sein mag. Die Konzerte werfen nämlich kaum mehr als die Kosten für Taxi und Verpflegung ab, sodass oft die Eltern den Lebensunterhalt sichern. Eine stolze Mutter präsentiert sich überraschend liberal und großzügig: Offenheit oder Vorsicht, wer mag es sagen. Ein heimlicher Dreh mit Liu Donghong am Platz des himmlischen Friedens, die Architektur der Einschüchterung und massive Polizeipräsenz machen die Erstarrung deutlich, deren Auswirkung man auch bei den Musikern ahnt. Repressalien werden nicht erwähnt, doch kann man im Internet lesen, dass für Touren ins Ausland Unsummen an Geld als Sicherheit hinterlegt werden müssen. „Keiner kommt lebend aus China raus“, sagt Liu Donghong mit einem Lächeln. Mehr muss man auch über das Besondere von Punk in Peking nicht sagen. Es ist ein Verdienst dieses unaufgeregten Dokumentarfilms, dass er in seiner Rhythmik Musik und Haltung erfahrbar macht; dass man die Menschen mag, um die es geht. Dass er auch das erzählt, was nicht zu hören und zu sehen ist, und dass er das Besondere der Szene präsentiert und die kleinen Alltagsmomente dennoch nicht zu kurz kommen: eine „Rock-Doku“ auch für Zuschauer ohne Special Interest.
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