Dol - Tal der Trommeln

- | Irak/Frankreich/Deutschland 2007 | 88 Minuten

Regie: Hiner Saleem

Nachdem seine Hochzeit zum bewaffneten Gefecht mit türkischen Soldaten eskaliert, flieht ein Kurde ins benachbarte kurdische Autonomie-Gebiet im Norden des Irak. Bei seiner Odyssee stößt er auf Landsleute, die das zeitgenössische Schicksal der Kurden auf unterschiedliche Weise symbolisieren. Ein Epos, dessen immanentes Pathos mit minimalistischer Lyrik und groteskem Humor gebrochen wird, das gleichwohl von einem eindeutigen politischen Mitteilungswillen geprägt ist. Die Landschaften und Menschen, die sich durch das Bild bewegen, eröffnen das bildgewaltige metaphorische Panorama eines Staates, der keiner ist. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DOL | DOL OU LA VALLÉE DES TAMBOURS
Produktionsland
Irak/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
HS Prod./mitosfilm/Novociné
Regie
Hiner Saleem
Buch
Hiner Saleem
Kamera
Andreas Sinanos
Musik
Özgür Akgül · Mehmet Erdem · Vedat Yildirim
Schnitt
Dora Mantzoros · Bonita Papastathi
Darsteller
Nazmi Kirik (Azad) · Belçim Bilgin (Taman) · Omer Çiaw Sin (Ahmed) · Rojin Ulker (Jekaf) · Abdullah Keskin (Ceto)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Das 8200-Seelen-Dorf Balliova im Südosten der Türkei befindet sich unter strenger Kontrolle der Armee. Nachdem seine Hochzeit zum bewaffneten Gefecht mit den Soldaten eskaliert, flieht der Kurde Azad ins benachbarte kurdische Autonomiegebiet im Norden des Irak. Bei seiner Odyssee stößt er auf Landsleute, die das zeitgenössische Schicksal der Kurden auf unterschiedliche Weise symbolisieren: Ceto, der aus der Pariser Diaspora zurückkehrt, um den Leichnam seiner seit einem von irakischen Soldaten verübten Pogrom vermissten Schwester zu identifizieren; Jekaf, die in Bagdad von Getreuen Saddam Husseins missbraucht wurde und mit amerikanischer Hilfe in den Nordirak floh; Taman, die zu einer Gruppe bewaffneter Unabhängigkeitskämpfer im Iran gehört. Im geografischen und zwischenmenschlichen „Bermuda-Dreieck“ (Hiner Saleem) zwischen der Türkei, dem Irak und dem Iran vollziehen sich die Kämpfe für und gegen die Gründung eines kurdischen Staates. „Dol“ zeigt die Narben, die dieser Prozess zurückgelassen hat. Parabelhaft beschreibt Hiner Saleem den Status Quo einer Staatsgründung, die keine ist – auch, weil sich deren Protagonisten in der Unfähigkeit verfangen, die eigene Geschichte jenseits tradierter Rollenspiele zu akzeptieren: Jekaf wird als „Hure“ verstoßen, und der bewaffnete Kampf im Iran erscheint als unhinterfragte Routine mit selbstzerstörerischer Eigendynamik. Diese hat auch Azad verinnerlicht, der auf der Suche nach einem normalen Leben angesichts der Wucht geschichtlicher Ereignisse rat- und rastlos geworden ist. Wie seine Mitstreiter wird Azad zur metaphorischen Figur im nahöstlichen Nationalitätenkabinett; getrieben von äußeren Mächten und inneren Konventionen, bleibt weder das physische noch das seelische Territorium, um zu einer Identität zu finden. Die vielfältigen Versuche, es trotzdem zu tun, enden in Hilflosigkeit. Die bilaterale Uneindeutigkeit der nationalen Zugehörigkeit von Cetos Freundin in Paris, einer „Französin spanischer Abstammung“, gibt dem Lastwagenfahrer im Norden Iraks Rätsel auf. Azad schlägt immer dann Respekt entgegen, wenn er sich als „Kurde aus der Türkei“ vorstellt. So geoutet, strecken ihm auf die Frage nach einem Mobiltelefon gleich fünf Männer ihre Handys entgegen. In derartigen Grenzsituationen zur Groteske folgt Saleem dem Humor, der mittlerweile typisch fürs kurdische Kino ist; zwischen der theatralischen Strenge der Choreografie und dem immanenten Pathos bleibt genug Platz, um die kollektive nationale Seelenlage gegen den Strich zu bürsten. Mit distanzierter Choreografie erschließt „Dol“ ein Kaleidoskop gesellschaftlicher Befindlichkeiten im gegenwärtigen Kurdistan. Landschaften und Menschen, die sich durchs Bild bewegen, eröffnen ein bildgewaltiges Panorama, auf dem Geisteshaltungen und individuelle Schicksale als Teile einer Geografie kartografiert sind, die zwischen den kargen Weiten des Horizonts und der Enge der steinigen Täler changiert. Stoff für ein Epos, das, mit minimalistischer Lyrik konterkariert, mitunter von einem deutlichen politischen Mitteilungswillen gekennzeichnet ist. Mit seinem fünften Spielfilm beleuchtet Hiner Saleem, der Anfang der 1980er-Jahre als 17-Jähriger vor der Politik Saddam Husseins über Italien nach Frankreich floh, erneut die wechselhafte Geschichte der Kurden. Nach „Vodka Lemon“ (fd 36 947) und „Kilomètre Zero“ (fd 37 621) ist „Dol“ sein wohl autobiografischster Film. Saleem, selbst Sohn eines kurdischen Widerstandskämpfers, rekurriert auf Motive aus seinem Roman „Das Gewehr meines Vaters – eine Kindheit in Kurdistan“ (2004), in dem er von der politischen und ethnischen Diktatur der Baath-Partei im Irak, vom Leben in Flüchtlings- und Guerillalagern im irakisch-iranischen Niemandsland und vom Gang ins westeuropäische Exil berichtet.
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