Drama | Niederlande/Deutschland/Belgien/Großbritannien 2006 | 154 Minuten

Regie: Paul Verhoeven

Der Leidensweg einer niederländischen Jüdin während der Besatzung des Landes durch die deutschen Truppen setzt sich auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fort. Der handwerklich perfekte Ausstattungsfilm um Krieg und Überleben, sexuelle Begierde und Gewalt gibt keine moralischen Standpunkte vor, sondern zeigt Größe und Niedertracht auf beiden Seiten der verfeindeten Lager. Dabei führt er Kriegsgewinnler ebenso vor wie antisemitische Haltungen innerhalb des niederländischen Widerstands. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ZWARTBOEK
Produktionsland
Niederlande/Deutschland/Belgien/Großbritannien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Fu Works/Hector BV/Motel Films/AVRO/Clockwork Pic./Egoli Tossell Film/Studio Babelsberg/Motion Investment Group/VIP 4 Medienfonds
Regie
Paul Verhoeven
Buch
Gerard Soeteman · Paul Verhoeven
Kamera
Karl Walter Lindenlaub
Musik
Anne Dudley
Schnitt
Job ter Burg · James Herbert
Darsteller
Carice van Houten (Rachel /Ellis) · Sebastian Koch (Ludwig Müntze) · Thom Hoffman (Hans Akkermans) · Halina Reijn (Ronnie) · Waldemar Kobus (Günther Franken)
Länge
154 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm | Kriegsfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Der Leidensweg einer niederländischen Jüdin während der Besatzung des Landes durch die deutschen Truppen setzt sich auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fort.

Diskussion
Ganz unverkennbar hat Paul Verhoeven seine eigene Vorstellung von himmlischer Gerechtigkeit. Zum Auftakt seines Films sitzt die jüdische Sängerin Rachel Stein am Tisch einer niederländischen Bauernfamilie, die ihr vor den deutschen Besatzern Unterschlupf gewährt. Bevor Rachel das Brot mit ihren Beschützern brechen darf, muss sie aus dem Neuen Testament zitieren. „Wenn die Juden doch nur auf den Heiland gehört hätten“, knurrt sie der christliche Hausherr von der Seite an. Wenige Minuten später fällt eine deutsche Bombe auf den Bauernhof, und Rachel ist wieder auf sich allein gestellt. Allerdings nicht für lange. Es spricht für die tückische Natur des Filmemachers Paul Verhoeven, dass dem attraktiven Flüchtling nach jedem Schicksalsschlag sogleich ein neuer Galan zur Seite steht, um sie zu retten. Noch perfider ist allerdings die Einsicht, dass sie dadurch nur immer wieder vom Regen in die Traufe kommt. Im Grunde drehen sich alle Filme Verhoevens um die „Basic Instincts“ seines berühmtesten gleichnamigen Films (fd 29576): den Urtrieben sexueller Begierde und Gewalt. Doch hat Renoir in „Die Bestie Mensch“ (fd 414) etwas anderes gemacht? Wie der große französische Humanist erzählt Verhoeven mit Vorliebe Geschichten, in denen jede moralische Gewissheit ins Zwielicht menschlicher Leidenschaften gerät. Natürlich zieht Verhoeven seine jüdische Heldin auch deswegen aus, weil er deren Darstellerin Carice van Houten für eine Augenweide hält und seinem Publikum eine leicht perverse Sicht auf die Historie bieten will. Wirklich nackt ist Rachel aber nur im Glauben an die Menschlichkeit. Ihre gesamte Familie wird vor ihren Augen ermordet, als sie in eine Falle niederländischer Kollaborateure tappt; dennoch schließt sie sich einer Widerstandsgruppe an und dient ihr als blondierte Mata Hari; nach der Befreiung wird sie dafür verhaftet, verspottet und beinahe in ihren eigenen Ausscheidungen ertränkt. Selbst die in einem israelischen Kibbuz spielende Rahmenhandlung lässt Rachel keinen Frieden: Vor die letzte Abblende setzt Verhoeven die ersten Schüsse des Sechs-Tage-Kriegs. Der Frontverlauf zwischen Gut und Böse mag so unübersichtlich sein wie in allen Verhoeven-Filmen, der Weg zu dieser Erkenntnis ist jedoch auch für deren Verhältnisse ungewöhnlich wendungsreich und schillernd inszeniert. Im geschlossenen Sarg wird Rachel durch die gegnerischen Reihen geschmuggelt und macht sich, kaum von den Toten auferstanden, an den lokalen Chef des deutschen Sicherheitsdiensts heran. Als der sein Liebchen als Jüdin enttarnt, stellt Rachel mit Erstaunen fest, dass es auch anständige Schweinehunde gibt. Jedenfalls ist dem von Sebastian Koch gespielten Müntze seine Hose (oder sein Herz) näher als der Kopf. Er verschafft Rachel eine Stelle im deutschen Hauptquartier, und schon bald unterhält die jüdische Sängerin eine feiste Festgesellschaft – damit der Spaß dabei nicht die Überhand gewinnt, lässt Verhoeven den Mörder von Rachels Eltern zu ihrer Begleitung in die Tasten hauen. Es folgen Scharmützel auf dem Feld der Spionage, und wie sich herausstellt, liegt nicht nur Rachel mit dem Feind im Bett. Kriegsgewinnler gibt es auf der niederländischen Seite nicht weniger als auf der deutschen; zudem schwelt der Antisemitismus allgegenwärtig unter der Oberfläche. Als ein Überfall auf das deutsche Hauptquartier im Fiasko endet, sind die niederländischen Widerstandskämpfer nur allzu gern bereit, der „jüdischen Schlampe“ die Schuld daran zu geben. In ihrem letzten Versteck (das sie sich mit Müntze teilt) schwant Rachel deswegen bereits das nächste Unheil: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal vor der Befreiung fürchten würde.“ Nach zwei Jahrzehnten in Hollywood ist Verhoeven in seine niederländische Heimat zurückgekehrt. Mitgebracht hat er nicht nur das nötige Gewusst-Wie für einen großen Ausstattungsfilm, sondern auch ein distanziertes Verhältnis zu den nationalen Widerstandslegenden. Obwohl er sich in seiner Ent-Mythologisierung der niederländischen Resistance nicht auf exakte Quellen berufen kann, gewinnt seine Fiktion durch die Tatsache Brisanz, dass der Prozentsatz überlebender Juden in seiner Heimat vergleichsweise gering war. Man muss daraus nicht unbedingt ein stillschweigendes Einverständnis in der „Judenfrage“ ableiten. Doch Verhoeven ist offensichtlich nicht bereit, Zugeständnisse beim eigenen Menschenbild zu machen, um seinen Landsleuten zu gefallen.

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