Kriegsfilm | Frankreich 1927/28 | 151 Minuten

Regie: Léon Poirier

Realitätsnahe Beschreibung des Stellungskriegs bei Verdun vom 21. Februar bis 15. Dezember 1916. Der anlässlich der Zehn-Jahres-Feier des Waffenstillstands von 1918 entstandene Film zeigt die zermürbende und sinnlose Schlacht aus der Sicht der Franzosen, dämonisiert die deutschen Angreifer jedoch nicht, sondern ist ein Aufruf zur Humanität und Völkerverständigung. Neben dem unerbittlichen Frontrealismus beinhaltet der frühe Antikriegsfilm auch poetische Momente, durch die das Grauen der "verbrannten Erde" noch nachhaltiger wirkt. Der in drei Akte gegliederte Film beeindruckt nach der aufwändigen Restaurierung durch Schwarz-Weiß-Kontraste und Tiefenschärfe und die Neueinspielung der originalen Musik. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
VERDUN - VISIONS D'HISTOIRE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1927/28
Produktionsfirma
Compagnie Universelle Cinématographique
Regie
Léon Poirier
Buch
Léon Poirier
Kamera
Robert Batton · Georges Million
Musik
André Petiot
Schnitt
Jacques Grassi
Darsteller
Antonin Artaud (Intellektueller) · Suzanne Bianchetti (Frau) · Thomy Bourdelle (Deutscher Offizier) · Hans Brausewetter (Deutscher Soldat) · José Davert (Alter Bauer)
Länge
151 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Kriegsfilm
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Heimkino

Die aufwendige Edition enthält u.a. ein filmisches Dokument des französischen Gegenangriffs vom Oktober 1916: "La revanche des Français devant Verdun, octobre-décembre 1916" (Die französische Revanche vor Verdun, Oktober-Dezember 1916; 29 Min.).

Verleih DVD
absolut (FF, Mono)
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Diskussion
Frankreich im Ersten Weltkrieg. Ein junger französischer Soldat teil Anfang Februar 1916 seiner Familie den Wunsch mit, an die Front bei Verdun zu gehen. Die Mutter ist besorgt, der intellektuell wirkende, pazifistisch eingestellte Bruder bleibt skeptisch. Am 21. Februar beginnt die deutsche Großoffensive auf die Festungsanlage von Verdun. Die ersten Kanoneneinschläge verdunkeln den Himmel über der Maas. Bis zum 15. Dezember 1916 nehmen die Kämpfe an Brutalität zu: Der Wald von Caures, die Festungen von Vaux, Souville und Douaumont werden zu Kriegsschauplätzen, auf denen die Soldaten auf beiden Seiten zu hunderten fallen. Der junge Franzose wird zum Zeugen dieser erschütternden Ereignisse, die durch den Sieg von General Pétain ihr vorläufiges Ende finden. Zur Zehn-Jahresfeier des Waffenstillstands vom 11. November 1918 inszenierte Léon Poirier – selbst Kriegsteilnehmer – die zermürbende, sinnlose Schlacht um Verdun als aufwändige Superproduktion. Geschickt in die Spielfilmhandlung eingepasste Archivaufnahmen (sichtbar an der Unschärfe und ruckenden Bewegungen) verbinden die „große Geschichte“ mit den kleinen, individuellen Geschichten der Soldaten und ihrer Angehörigen. Der außergewöhnliche Stummfilm ist ein früher Meilenstein des Kriegsfilms. Die realistische Erzählweise nimmt Einflüsse von David W. Griffith und dem russischen Revolutionskino auf. Im Zentrum des Films steht die historisch genaue Rekonstruktion der Schlacht von Verdun – weniger eine rein fiktive Erzählung. Sein Plädoyer für die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, die eindeutige humanistische Ausrichtung weisen ihn als Vorläufer von Lewis Milestones „Im Westen nichts Neues“ und Georg W. Pabsts „Westfront 1918“ (beide 1930) aus. Poiriers Intention nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs lautete: „Im Gedächtnis der jungen Generationen ersetzt die Legende die Erinnerung. Das Kino ist aufgrund seiner direkten Dramaturgie ohne Zweifel die geeignetste Kunstform, gegen das Vergessen zu kämpfen.“ Léon Poirier (1884- 1968) kam als Chef der Comédie des Champs-Elysées über familiäre Kontakte mit dem Produzenten Léon Gaumont zum Film und betreute zunächst Drehbücher, Zwischentitel und Schnittarbeiten. Gefühl für Naturaufnahmen und die Gesichter der Schauspieler machten ihn zum künstlerischen Direktor bei Gaumont. Seine zwischen 1918 und 1929 entstandenen Filme zeichneten sich durch dokumentarische Stärke und einen Hang zum Romantizismus aus. „Verdun – Visions d’Histoire“ ist in drei Akte unterteilt: „La force“ („Die Stärke“) beschreibt die einander gegenüber stehenden Truppen, „L’enfer“ („Die Hölle“) den Ansturm der Deutschen und „Le destin“ („Das Schicksal“) den heldenhaften Widerstand der Franzosen. Dokumentiert werden die wichtigen Etappen der verheerenden Schlachten vom 21. Februar bis zum 15. Dezember 1916: im Wald von Caures, der Angriff auf die Festungen von Vaux und Souville sowie die französische Gegenoffensive bei Douaumont. Um die authentische Atmosphäre auf die Leinwand zu bringen, drehte man an den Originalschauplätzen. Die einzelnen Soldaten und Darsteller verschmelzen zur personifizierten Humanität, dem Reflex aus Tod, Leben und Frieden. Da gibt es neben dem unerbittlichen Frontrealismus auch lyrisch-poetische Momente – der französische Soldat flirtet mit einer jungen Frau auf der Wiese –, um die Schrecken der „verbrannten Erde“ dem Zuschauer nahezubringen. Nach dem Sieg der Franzosen ist ein leicht patriotischer Zug – Pétains Appell von Souilly („Sie werden nicht durchkommen“) – aus der Zeit heraus verständlich, da die strenge Militärzensur die Einhaltung expliziter Vorschriften für die filmische Darstellung des Weltkriegs forderte. Léon Poirier konzentriert sich weitgehend auf die Erlebnisse und Einsätze der französischen Truppen, weiß aber auch die Einschätzungen des „deutschen Kronprinzen“ Wilhelm und die Situation hinter den feindlichen Linien einzubinden. Der einfache deutsche Soldat wird natürlich, ohne Verteufelung charakterisiert. Berühmt ist jene Szene, in der ein deutscher und ein französischer Soldat gefallen sind. In einer symbolhaften, surrrealistischen Vision legen ihre via Überblendung eingesetzten Mütter die Leichname auf Bahren und bringen die Seelen der Toten in den Himmel. Ein einzigartiger Aufruf zur Humanität nach der Sprache der Kanonen und Maschinengewehrsalven. Die Wiederaufführung des bedeutenden Stummfilms, der in vielen Filmgeschichten nur als Fußnote Erwähnung findet, ist der Cinémathèque von Toulouse zu verdanken. Sie verfolgte die Spur einer von Deutschland ins Moskauer Filmarchiv Gosfilmofond gelangten integralen Fassung und ließ eine neue Kopie herstellen. Diese 3.500 Meter lange Version wurde in zehnmonatiger digitaler Restaurierungsarbeit vom Kopierwerk der Cineteca in Bologna zu neuem Glanz befördert. Die Schwarz-weiß-Kontraste, die unglaubliche Tiefenschärfe lassen die wenigen sichtbaren Gebrauchsspuren des Ausgangsmaterials an Szenenübergängen nahezu vergessen. Die von der ursprünglichen Orchestermusik (André Petiot) gezogene Klavierpartitur des am 8.11.1928 in der Pariser Oper in Anwesenheit des deutschen Botschafters uraufgeführten Films wurde nach dem Fund in der Französischen Nationalbibliothek von Hakim Bentchouaia-Golobitch eingespielt. Hervorzuheben ist das informative, optisch ansprechende Extramaterial der DVD: Recherchen, Restaurierungsarbeiten, historische Einordnungen und Originalaufnahmen des französischen Gegenangriffs vom Oktober 1916 werden fachkundig vorgestellt. Einziger Wermutstropfen: Wer der französischen Sprachfassung nicht folgen kann, muss das sorgfältige Booklet aufmerksam lesen.
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