- | Großbritannien 2006 | 88 Minuten

Regie: Menhaj Huda

Zwei "normale" Tage einer ethnisch gemischten Londoner Jugendclique, die sich die Zeit mit Herumhängen, Diebstählen, Sex und Prügeleien vertreibt und auch durch den Selbstmord einer Mitschülerin nicht zur Besinnung kommt. Ein von authentischen Laiendarstellern getragener sozialer Horrortrip in eine jugendliche Parallelgesellschaft, der zwar bedrängende Einblicke gewährt, bisweilen aber zu exemplarisch geraten ist und eher Typen als individuelle Menschen beschreibt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KIDULTHOOD
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Stealth Films/Cipher/TMC
Regie
Menhaj Huda
Buch
Noel Clarke · Davey Fairbanks
Kamera
Brian Tufano
Musik
The Angel
Schnitt
Victoria Boydell
Darsteller
Aml Ameen (Trife) · Red Madrell (Alisa) · Noel Clarke (Sam) · Jaime Winstone (Becky) · Adam Deacon (Jay)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Während die Standardausgabe hat keine erwähnenswerten Extras beinhaltet, umfassen die Extras der Special Edition (2 DVDs) neben dem üblichen "Making Of" (29 Min.) u.a. ein Feature mit neun im Film nicht verwendeten Szenen (11 Min.) sowie zwei längere Interviews mit dem Regisseur (17 Min.) und den Komponisten der Filmmusik (21 Min.). Die BD enthält als Doublefeature die Filme "Streets of London - Kidulthood" und "Streets of London - Tag der Vergeltung".

Verleih DVD
Capelight (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt., dts dt.)
Verleih Blu-ray
Capelight (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Der Titel ist eine Wortschöpfung, mit der sich Begriffe wie „kids“, „adulthood“, „childhood“, „hoodies“ (Kapuzen) oder „(neighbour-) hood“ assoziieren lassen. Ein Titel, der einiges über den Film des aus Bangladesch stammenden britischen Filmemachers Menhaj Huda aussagt. Inhaltlich, weil der Film jene sensible Lebensphase thematisiert, in der kindliche Unreife und erwachsene Attitüde aufeinander prallen, was Drehbuchautor und Darsteller Noel Clarke zeitkritisch so beschreibt: „Die Kinder wachsen zu schnell auf heutzutage“. Formal, weil der im Handkamera-Streetstyle fotografierte Film collageartig mit unterschiedlichen Montageformen experimentiert. „Kidulthood“ schildert an zwei aufeinander folgenden Tagen den rauen Alltag von Jugendlichen in West-London: Mitschüler werden drangsaliert und dabei mit Handykameras gefilmt, Drogen und Waffen werden vercheckt, sexuelle Gelüste ziemlich wahllos befriedigt. Als die 15-jährige Katie die ständigen Schikanen durch den Schulhof-Gangster Sam nicht mehr erträgt und sich das Leben nimmt, erhalten ihre Mitschüler für einen Tag schulfrei. Eine Zeit, die sie nutzen sollen, um über sich und ihre Verantwortung an Katies Tod nachzudenken. Tatsächlich aber verbringen die Freunde Trife, Jay und Moony den Tag mit Videospielen, Ladendiebstählen und einem Überfall auf Sam, bei dem Jay sich auch noch an dessen Freundin Claire ranmacht. Trife nutzt den freien Tag außerdem dazu, sich von seinem kriminellen Onkel ins Dealer-Geschäft einführen zu lassen, bis er zu dem Punkt kommt, an dem er spürt, dass die Weichen für die Zukunft gestellt werden und er sich entscheiden muss, was für ein Leben er führen möchte. Jetzt kehrt auch die Erinnerung an Katies Schicksal zurück und die Sehnsucht nach seiner Freundin Alisa, von der er glaubt, dass sie ihn mit Sam betrogen hat. Alisa zieht derweil mit ihrer besten Freundin Becky um die Häuser. Ohne groß darüber nachzudenken, prostituieren sich die beiden Teenager für eine Ladung Koks und ein paar teure Klamotten. Auf diese Weise „feiern“ sie Alisas Schwangerschaft. Während Becky den oberflächlichen Spaß zu genießen scheint, ist er für Alisa eher eine verzweifelte Flucht. An Katies Selbstmord fühlt sie sich mitschuldig und insgeheim wünscht sie sich, ihr Baby auf die Welt zu bringen. Sam sinnt derweil auf Rache an Trife und seinen Freunden, während Katies Bruder sich wiederum an Sam rächen möchte. Auf einer Party laufen die verschiedenen Erzählstränge schließlich zu einem dramatischen Finale zusammen. Auch wenn der Rassenkonflikt bei Menhaj Huda kaum eine Rolle spielt und die Kids meist in ethnisch gemischten Cliquen unterwegs sind, erinnert „Kidulthood“ in seiner Botschaft doch an Spike Leighs „Do the Right Thing“ (fd 27710). Denn hier wie dort geht es darum, das Richtige zu tun, um einen Teufelskreis aus Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen. Stilistisch knüpft Hudas Film mit seinem Reality-Straßenlook an aktuelle Jugendsozialdramen wie „City of God“ (fd 35938), „Thirteen“ (fd 35333) oder „Status Yo“ (fd 36757) an. Unterlegt mit den treibenden Beats von HipHop, Rap und Elektromusik, sorgen eine rastlose Kameraführung und die expressive Montage mit Jump Cuts, auffälligen Überblendungen und Splitscreens für einen stimmigen Stil. Authentisch wirken auch die überwiegend „auf der Straße“ gecasteten Darsteller, in deren Ensemble sich der mittlerweile 32-jährige Noel Clarke in der Rolle des jugendlichen Sam erstaunlich reibungslos einreiht. Gegen Vorwürfe, ihr Film spekuliere auf Provokation und Skandal, verweisen Huda und Clarke zu Recht auf die zahlreichen Meldungen von Gewalt, Drogen und Sex an britischen Schulen. „Es sollte eigentlich niemanden mehr schockieren, da so was täglich in den Zeitungen steht“, unterstreicht Clarke, der mit der Fortsetzung „Adulthood“ in England derzeit sein Regiedebüt feiert. Bewusst haben Huda und Clarke den Film nicht in einem Problemstadtteil Londons angesiedelt, sondern in einem gutbürgerlichen Bezirk, der sonst den Schauplatz für Filme wie „Notting Hill“ (fd 33730) oder „Bridget Jones“ (fd 36788) liefert. Dennoch verlieren Drehbuchautor und Regisseur in ihrem Drang nach unverfälschter Echtheit, Straßencharme und HipHop-Style vielleicht nicht das wahre Leben, aber doch ihre Protagonisten mitunter etwas aus den Augen. So anschaulich der Film sein will, so exemplarisch gerät er bisweilen auch. Die individuellen Menschen und Schicksale verschwinden dann hinter Typen und Typischem. Kalt kann einen das durchs sozialkritische Brennglas aufgenommene Szenario von schulischer Gewalt, sexueller Verwahrlosung und Perspektivlosigkeit dennoch nicht lassen; es erschüttert als sozialer Horrortrip in eine jugendliche Parallelgesellschaft, zu der die Erwachsenen im Film keinen Zutritt haben, aber durch den Film einen erschreckenden, vielleicht auch lehrreichen Einblick gewinnen. „Kidulthood“ erschien unter dem Titel „Streets of London“ bereits auf DVD, ist in Deutschland jetzt aber auch in ausgewählten Kinos zu sehen.
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