Franz + Polina

Drama | Russland 2006 | 124 Minuten

Regie: Michail Segal

Ein deutscher SS-Angehöriger verliebt sich in eine Weißrussin und flieht mit ihr, als ihr Dorf von seiner Einheit ausgelöscht wird. Für das Paar beginnt eine gefahrvolle Odyssee. "Romeo-und-Julia"-Variante vor dem Hintergrund einer lieblosen Zeit, die eindrucksvolle Bilder für den Terror des Krieges findet und an Freundschaft und Völkerverständigung appelliert. Durch die engelhafte Zeichnung des jungen Deutschen gerät der historische Diskurs eher eindimensional; weder der Charakter des Protagonisten noch der ideologische Kontext werden ausreichend ausgelotet. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FRANZ I POLINA
Produktionsland
Russland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Ugra-Film
Regie
Michail Segal
Buch
Wladimir Stepanenko · Michail Segal · Maxim Trapo
Kamera
Maxim Trapo
Musik
Andjei Petras
Schnitt
Rinat Khalilullin · Michail Segal
Darsteller
Adrian Topol (Franz) · Swetlana Iwanowa (Polina)
Länge
124 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Sunfilm (1:1,85/16:9/Deutsch DD 2.0/Russ.)
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Diskussion
Abgründig, von Ambivalenzen geprägt sind schon die sommerlichen Bilder, über denen der Vorspann abläuft: Ein Haufen strohblonder Jungs vergnügt sich in einem See. Dann mischen sich mehrere junge Athleten in die unschuldige Szene. Wirkt die Leni-Riefenstahl-Manier, in der ein eleganter Kopfsprung ins Wasser gefilmt ist, immerhin befremdlich, so kommt der Moment, in dem sich die Männer ankleiden, einem Wurf ins eiskalte Wasser gleich: Wehrmachtshemden werden übergestreift, mit SS-Runen verzierte Gürtelschnallen geschlossen. Der Schrecken kündigt sich in diesen Bildern schon an: Diejenigen, die sich neben den Dorfkindern im Wasser getummelt haben, werden kurze Zeit später ihre Waffen auf Unschuldige richten. Nach einigen doppelbödigen Szenen der „Normalität“ zwischen selbst ernannten Beschützern aus Deutschland und Bauern in einem weißrussischen Dorf brennen Männer der Waffen-SS und Wehrmachtssoldaten eben dieses Dorf nieder. Man schreibt den Spätsommer 1943. Mag die Kamera auch Abstand zum Mordgeschehen halten – das in eine idyllische Seen- und Waldlandschaft eingebettete Inferno bleibt grausig genug. Dazu erklingt ein melancholisches Glockenspielmotiv. Wie ein Trauergesang, der die Ermordung von zweieinhalb Millionen Einwohnern Weißrusslands durch die nationalsozialistischen Besatzer beklagt, wirkt die Szene. Der Massenmord war rassistisch motiviert und stand im Kontext einer geplanten „Reduktion der slawischen Massen um 31 Millionen“ (Heinrich Himmler) innerhalb der besetzten Gebiete der damaligen Sowjetunion. Trotz der „gefilterten“ Mordszene lässt sich dem Film insgesamt nicht vorwerfen, dass er das Gesicht dieses Krieges durch einen Weichzeichner filmen würde. Die Fratze des Grauens blickt im Filmverlauf immer wieder durch. Bei aller Distanz zur direkten Gewalt werden die verheerenden Auswirkungen der Barbarei auf die Überlebenden in eindringlichen Bildern geschildert. So irrt eine alte Bäuerin zwischen verkohlten Fundamenten umher und vernimmt die vorwurfsvollen Stimmen der Toten. Nicht an ihren Verletzungen, an innerer Erstarrung scheint sie schließlich zu Grunde zu gehen. Oder: Ein Rudel herrenloser Dorfhunde flieht angesichts des Dorfbrandes in einen angrenzenden Wald. Als zähnefletschende Bestien tauchen sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf. Im Mittelpunkt des Films steht eine heikle „Romeo und Julia“-Geschichte, und das Liebesdrama wird zum Gegenstand einer filmischen Gratwanderung, die nicht durchweg gelingt. Ein junges Liebespaar gerät zwischen die Kriegsfronten. In den ersten Szenen einer pseudo-friedlichen „Koexistenz“ der späteren Schlächter mit der Dorfbevölkerung wird die harmlose Tändelei zwischen einer jungen Frau aus dem Dorf und einem gleichaltrigen SS-Soldaten eingeflochten. Polina setzt Franz’ Liebeswerben eine deutliche Grenze, als sie seinen Kussversuch mit einer Ohrfeige erwidert. Als von Franz die Erfüllung seiner „Pflicht“ verlangt wird – die darin läge, zum Vergewaltiger und Mordbrenner zu werden –, entscheidet sich der junge Soldat für Polina, desertiert, begibt sich mit ihr auf die Flucht über sumpfiges Land und verbirgt sich mit ihr in einer Erdhöhle im Wald. Unaufdringlich, unsentimental wird die gegenseitige Abhängigkeit dieser Menschen geschildert, deren Zuneigung keineswegs von Anfang an auf festem Fundament steht. Vor allem Polina schwankt in ihren Gefühlen. Sie beschimpft Franz als „Faschist“, beschützt ihn aber doch vor den belarussischen Partisanen (auf deren Seite ihr Bruder kämpft), indem sie ihn als stummen Mitbewohner ihres ausgelöschten Dorfes ausgibt. Dem Film liegt die Novelle „Der Stumme“ zugrunde, mit der der weißrussische Schriftsteller Ales Adamowitsch seine Kriegserfahrungen verarbeitete. Von Adamowitsch stammt auch das Drehbuch, das offenbar über ein Jahrzehnt lang in der russischen Filmindustrie herumgereicht wurde – der Autor starb 1994. Die unbestreitbare Intensität des Films lässt auch im letzten Drittel nicht nach – hier schließen sich Franz und Polina einer Gruppe belarussischer Flüchtlinge an, während die hereinbrechende Winterkälte die Not der Heimatlosen zu verschärfen beginnt. Noch einmal gelingt es Franz, die Fronten zu wechseln und aus einer von Nazi-Truppen besetzten Kleinstadt Medikamente für die an Typhus erkrankte Polina zu holen. Nach der Rückkehr zu den Flüchtlingen wird der junge Mann argwöhnisch von einem zehnjährigen Jungen beobachtet, der durch die deutschen Mörder zur Waise wurde und auf Rache sinnt. Der kleine Kassik hält eine geladene Pistole versteckt. Der Junge wird bis in Details hinein (ein Kratzer im Gesicht) mit dem älteren Franz verglichen. Auch Kassik muss sich, ähnlich wie Franz während der Liquidation der Dorfbevölkerung, zwischen Menschlichkeit und Gewalt entscheiden (der Frage, ob diese Unterscheidung im Krieg klar zu treffen ist, weicht die filmische Rhetorik allerdings eher aus). Kassik könnte eines dieser Kinder sein, die anfangs im Wasser planschten. Der Krieg verschlingt seine Kinder. Zu leicht macht es sich Michail Segal in seinem Spielfilmdebüt aber ausgerechnet mit seiner Hauptfigur Franz, dessen eindimensional-selbstlose Erscheinung zu engelhaft daherkommt, um plausibel zu sein – trotz des starken Eindrucks, den der Darsteller Adrian Topol hinterlässt. Kann es wirklich sein, dass ein etwa 25-jähriger NS-Soldat ganz unbefleckt von der Nazi-Ideologie geblieben ist und sich zudem ohne Umschweife auf die Seite der Opfer schlägt? Oder verbirgt Segal etwaige Schattenseiten der Figur in den Erzählsprüngen seiner Geschichte, die im Filmverlauf einige Rätsel aufgibt? Wie Franz Polina durch ein versehrtes Land führt, scheint auch der Film sein Liebespaar ohne moralische Blessuren durch die von Fallstricken möglicher Täterschaft gesäumte Geschichte mogeln zu wollen. Dabei kommt es zu Auslassungen, die dem Zuschauer entscheidende Diskussionsgrundlagen entziehen. Allerdings ist das Problem, das man mit der russischen Produktion haben kann, zuallererst ein spezifisch deutsches: Die Diskussion um jugendliche Hitler-Soldaten und ihre Schuldfähigkeit ist durch die Enthüllung von Günther Grass im August 2006 neu entflammt. Der Schriftsteller hatte sein Bekenntnis, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, mit der politischen Naivität eines Jugendlichen zu entschärfen gesucht. Grass’ Kritikern stieß vor allem der Kontrast zu seinem sonstigen moralischen Rigorismus auf. Vor diesem Hintergrund fällt ein Dilemma in „Franz + Polina“ besonders ins Gewicht: Dem Zuschauer wird mangels biografischer Informationen über den „unbeschriebenen“ Franz und aufgrund der Löcher in der Erzählung die Freiheit genommen, die Hauptfigur überhaupt zu bewerten. Insofern, in der Beschränkung auf Flucht und Liebesdrama, weicht der Film einem historischen Diskurs aus. Ähnlich wie Polina hat das Publikum keine Wahl: Diesen Jungen müssen, sollen wir lieben. Liebe macht zwar blind, aber wenn ein Liebesfilm vor derartigem Hintergrund geschichtsblind macht, bleibt ein mulmiges Gefühl zurück.
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