Schwesterherz

- | Deutschland 2006 | 98 Minuten

Regie: Ed Herzog

Eine beruflich erfolgreiche 33-jährige Musikmanagerin schenkt ihrer 18-jährigen Schwester eine gemeinsame Urlaubsreise in den spanischen Touristenort Benidorm. Während sie weder ihre Arbeit noch ihre vielfältigen Beziehungssorgen zurücklassen kann und ihr beides zunehmend entgleitet, konfrontiert sie ihre stille, aber selbstbewusste Schwester mit der Leere und den Verdrängungen ihres Daseins. Dies führt zu einer Katastrophe, mündet aber auch in die Hoffnung auf einen Neubeginn. Ein von der guten Hauptdarstellerin dominiertes Kammerspiel in entsättigten Farben, das die Fallstricke und existenziellen Nöte in einem bestimmten Lebensabschnitt thematisiert. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Egoli Tossell Film/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)/ARTE/Zweite Medienfonds GFP II
Regie
Ed Herzog
Buch
Heike Makatsch · Johanna Adorján
Kamera
Sebastian Edschmid
Musik
Paar Hunde
Schnitt
Uta Schmidt
Darsteller
Heike Makatsch (Anne) · Anna Maria Mühe (Marie) · Sebastian Urzendowsky (Max) · Ludwig Trepte (Matze) · Marc Hosemann (Philipp)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (1:1,78/4:3/Deutsch DD 2.0)
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Diskussion
Zumindest architektonisch ist Annes Sprung aus der Arbeits- in die Urlaubswelt nicht so groß: Die 33-jährige Workaholic-Frau, die ganz in ihrem vermeintlich perfekten Leben als Musikmanagerin aufgeht, verlässt eher widerwillig ihre glitzernde Büroburg, um sie gegen die Bettenburg des spanischen Massentourismus-Ortes Benidorm zu tauschen. Die Reise hat Anne ihrer „kleinen“ Schwester, der 18-jährigen Marie, versprochen: „Bedank’ dich erst nach dem Urlaub“, meint sie ebenso großherzig wie ahnungslos, „wer weiß, was noch kommt....“ Viel Lust hat Anne jedenfalls nicht auf Urlaub, dafür sind die heimischen Brandherde in ihrem Dasein zu deutlich: Sie, die sich im Job unersetzlich wähnt, will auch während des Urlaubs via Handy die Kontrolle behalten, dies am liebsten ebenso über ihren unzuverlässigen, oberflächlich zwischen Selbstgefälligkeit und Zeittotschlagen driftenden Geliebten Philip, der ihr gegenüber allen Verbindlichkeiten ausweicht. Dass Anne ein Kind von ihm erwartet und sie über eine Abtreibung nachdenkt, nimmt sie als ihr Geheimnis mit in den Urlaub. Doch die räumliche Distanz zerrt schnell an ihren Nerven, zumal die stetig abnehmenden Signale von daheim keine Beruhigung schaffen. Ihre Unruhe gleicht auch nicht die Nähe zu ihrer Schwester aus, die sich doch tatsächlich als alles andere als ein kleines, nicht Ernst zu nehmendes Kind erweist: Marie mag still, sanft und ernst sein, aber sie ist durchaus selbstbewusst, hat (berufliche) Ziele ebenso klar vor Augen wie sie schon bald von der oberflächlichen Lebenshektik und den leeren „Weisheiten“ der große Schwester ernüchtert ist. Anne wiederum reagiert in dem Maße mit Eifersucht und Aggressivität, wie sie, zunächst unterbewusst, die Fallstricke ihres eigenen Lebens erkennt – und auch ihr (vergleichsweise) fortgeschrittenes Alter zu spüren bekommt. Ihr sexueller Urlaubsflirt, der Student Max, der schon bald eine weit tiefere Zuneigung zu Marie entwickelt, bringt es gnadenlos ungerecht auf den Punkt: „Sie ist viel langweiliger, da gibt es überhaupt kein Geheimnis mehr.“ So eskalieren die Dinge, Wut, Verrat, Verletzungen und Anfeindungen münden in eine Katastrophe, die Anne indirekt verschuldet und die ihr ihre Perspektivlosigkeit vor Augen führt. Die Geschichte von „Schwesterherz“ sei eine „ehrliche Deskription der Problematik einer neuen Generation“; so hat es Hauptdarstellerin und (Co-)Buchautorin Heike Makatsch in einer Erklärung auf den Punkt gebracht: Männer wie Frauen würden sich ab einem bestimmten Alter von ihren Bedürfnissen (und Werten) entfernen und keine sinnstiftende Identität jenseits der möglichst lange hinausgeschobenen Phase ihrer Jugend bzw. Jugendlichkeit entwickeln. Diese fehlende Identität sei vor allem für Frauen Anfang 30 existenziell und erschwere sich noch dadurch, dass sie durch ihre privaten wie beruflichen Anstrengungen um Erfolg und Akzeptanz, Glück und Harmonie fremdbestimmt würden, ohne selbst erkennen zu können, dass sie vielleicht auf einem „falschen Dampfer“ sind. Heike Makatsch spielt diese Frau, die von ihrer jüngeren Schwester herrisch einklagt, sie solle „endlich mal erwachsen werden“, und dabei selbst mühe- und schmerzvoll die eigene Unreife und Leere begreifen lernt, durchaus reizvoll auf dem schmalen Grat von unsympathischer „Nervensäge“, Mitleid erregendem Opfer und schließlich aus ihrer Schwäche neues Selbstbewusstsein schöpfender Identifikationsfigur. Die Kamera taucht die wenigen Kulissen des Kammerspiels in entsättigte Farben, die Annes gedämpfte Wahrnehmungen paraphrasieren, bis sie am Ende den Grauschleier ihrer Welt beiseite zu schieben beginnt. Davor liegen Phasen der Panik, Hysterie, des Kontrollverlusts und der einsamen Selbstgeständnisse, der Aussetzer und des Filmrisses — eine Tour-de-Force, mit der Heike Makatsch den Film dominiert. Das Ende erscheint als vage Utopie, als Hoffnung darauf, dass noch alles gut werden könnte. Doch die Fragilität, die Unwägbarkeit und die Gefahren des weiteren Weges bleiben spürbar.
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