Drama | Deutschland 2007 | 94 Minuten

Regie: Angelina Maccarone

Drei Frauen unterschiedlichen Alters prallen im Lauf einer turbulenten Weihnachtsnacht aufeinander. Aus ihren jeweiligen Perspektiven erzählt der Film dreimal von den Erlebnissen und Entwicklungen, Auseinandersetzungen und Annäherungen, die sich während einer Fahrt nach Rotterdam ergeben und bei allen Dreien zu neuem Lebensmut führen. Nach dem "Rashomon"-Prinzip verfahrende Charakterstudie, deren Protagonistinnen über Generationen-Grenzen hinweg zum Halt füreinander werden. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
elsani film/Screenart/Revolver Film
Regie
Angelina Maccarone
Buch
Angelina Maccarone
Kamera
Judith Kaufmann
Musik
Jakob Hansonis · Hartmut Ewert
Schnitt
Bettina Böhler
Darsteller
Hannelore Elsner (Gerlinde von Habermann) · Esther Zimmerling (Francesca Conchiglia) · Kim Schnitzer (Antonietta Conchiglia) · Egbert Jan Weeber (Snickers) · Aykut Kayacik (Enrico Conchiglia)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Road Movie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Stardust (16:9/Deutsch DD 5.1)
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Diskussion
Drei Frauen unterschiedlichen Alters – die eine etwa 60, die andere Ende 20, die dritte noch ein Teenager – liegen in ihren Kleidern auf einem schmalen Bett und lassen die Blicke nach oben schweifen. Gleichsam durch die Zimmerdecke hindurch schauen sie Richtung Himmel. Dabei philosophieren sie über das Leben, den Tod, über Gott und die Welt. Die Kamera zeigt ihre Gesichter aus der Vogelperspektive, saugt ihre Sehnsüchte auf und bannt die Situation, in der sich die drei befinden, in ein emblematisches Bild: Drei verwundete Seelen haben zusammengefunden. Gemeinsam suchen sie ein wenig Halt und Hoffnung. Anschaulich projiziert die Kamera das Innere nach außen – ein wenig zu anschaulich allerdings: Was poetisch sein möchte, gerät plakativ. Ähnliches lässt sich auch über den Rest des Films sagen, der die Frage beantwortet, wie diese drei Frauen auf demselben Bett landeten. Dafür greift die Regisseurin auf einen Kunstkniff des achronologischen Erzählens zurück: Angelina Maccarone erzählt den Film dreimal, jeweils aus der Perspektive einer anderen Frau. Den Anfang macht Francesca. Sie lebt bei ihrem Vater in Köln-Pulheim, ist die wesentlich ältere von zwei Schwestern und diejenige, die in die Rolle der Ersatzmutter schlüpfte, nachdem die richtige Mutter die Familie vor Jahren verließ. Aufopferungsvoll führt sie den Haushalt, verdient Geld als Taxifahrerin, kümmert sich um den wehleidigen Vater und die pubertierende Schwester Antonietta. Die treibt sich lieber in der Stadt herum, als Francesca bei den Vorbereitungen für das nahende Weihnachtsfest zu helfen. Anerkennung erfährt Francesca keine. Antonietta zeigt sich wahlweise genervt oder gelangweilt und möchte eigentlich nur ungestört telefonieren. Vater Enrico vergöttert Antonietta und behandelt Francesca schroff und lieblos. Mit wenigen, aber umso dickeren Strichen skizziert Maccarone in den ersten Minuten Francescas Aschenputteldasein. Sie verkörpert den Typus „graue Maus“, dem sich Maccarone schon in „Kommt Mausi raus?“ (1994) und „Ein Engel schlägt zurück“ (1998) widmete. Wer die Filme kennt, ahnt, dass Francesca offenbar unmittelbar vor einem lesbischen Coming-Out steht. Trotz dieser holzschnittartigen Milieu- und Figurenzeichnung gelingt es Esther Zimmerling als Francesca, ihren zwischen Pflichtbewusstsein und Lebensdurst hin und her gerissenen Charakter glaubhaft umzusetzen. Als Antonietta kurz vor Heiligabend mit ihrem Freund, einem holländischen Rock-Musiker, nach Rotterdam durchbrennt, macht sich Francesca auf väterliches Geheiß mitten in der Nacht auf die Suche nach ihr. Unterwegs hält sie bei einem verunglückten Wagen an. Die Fahrerin ist äußerlich unverletzt, steht aber unter Schock. Francesca will sie im Krankenhaus abliefern. Die ältere Frau kehrt jedoch schweigend wieder auf den Rücksitz des Taxis zurück. Da sie sich weigert, auszusteigen, fährt Francesca mit ihr weiter, und es kommt, wie es im Kino kommen muss, wenn das Leben überboten werden soll: Francesca verliebt sich in die geheimnisvolle Gerlinde. In einem Hotel küssen sie sich kurz und heftig, ehe die junge Taxifahrerin einmal mehr weggeschickt wird. Die wenig tröstlichen Worte, es liege nicht an ihr, nimmt sie noch mit in die Dämmerung, in der sie weiter nach ihrer Schwester sucht. Erst etliche Stunden später entdeckt sie Antonietta im Hinterzimmer eines Tanzclubs auf einem Bett. Neben ihr: Gerlinde. Wie es dazu kam, erhellen die beiden anderen Episoden, zunächst aus Gerlindes Perspektive, anschließend aus Antoniettas. Gerlindes Geschichte, in der sich die Handlungsstränge der beiden anderen überkreuzen, ist die zentrale Episode und doch die schwächste. Hannelore Elsner spielt ein wenig affektiert eine Frau, die unkonventionell ihrem Alter trotzt. Vieles, was aus Gerlindes Sichtweise geschildert wird, war zuvor schon durch Francescas Augen zu sehen. Momente, in denen sich die subjektiven Wahrheiten zu widersprechen scheinen – wie in der Kussszene zwischen Gerlinde und Francesca, in der einmal Gerlinde, das andere Mal Francesca die Initiative ergreift, bleiben selten. Die dritte Episode mit Antonietta gestaltet sich wieder abwechslungsreicher; auch überzeugt die junge Darstellerin mit natürlichem Spiel. Dennoch bleiben die Charaktere und die Welten, in denen sie leben, stets klar strukturiert. Francescas ungerechter Vater; die lesbische Freundin Gerlindes, die sich nicht von ihrer Familie trennen kann; Antioniettas Freund, der ihr reflexartig zur Abtreibung rät, als er erfährt, dass sie schwanger ist – fast immer lässt sich schnell zwischen richtigem und falschem Verhalten unterscheiden. Die Frauen beweisen Mut, die anderen agieren feige. Die Unwägbarkeiten des Lebens stutzt die Regisseurin auf ein überschaubares Format zurecht. Jede der drei Frauen hat ihr Päckchen zu tragen, jede von ihnen wird von irgendwem schlecht behandelt. Am Ende führt das Schicksal sie zusammen: Schwester, mütterliche Freundin, Geliebte. Als Zuschauer fragt man sich mit ihnen: Wozu das Ganze? Bloß richtet sich der fragende Blick nicht gen Himmel, sondern auf die drei Hauptdarstellerinnen und durch sie hindurch auf die Regisseurin, die mit dem intensiven Beziehungsdrama „Verfolgt“ (fd 37 966) bewiesen hat, dass sie es besser kann. „Habt Mut zum Leben!“ lautet die unmissverständliche Botschaft von „Vivere“. Ein gutgemeinter, aber auch banaler Rat.
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