Import Export (2007)

Drama | Österreich 2007 | 141 Minuten

Regie: Ulrich Seidl

Eine Krankenschwester aus der Ukraine hofft, in Wien erträglichere Lebensumstände anzutreffen, erlebt jedoch eine endlose Abfolge von Verletzungen und Erniedrigungen. Ihr Schicksal wird mit dem eines jungen Sicherheitsmannes kontrastiert, der in seinem Job scheitert und mit seinem widerlichen Stiefvater eine Geschäftsreise in die Slowakei antritt. Der Film schildert zwei Bewegungen von Ost nach West und umgekehrt und konfrontiert mit dem allumfassenden Schrecken einer Gesellschaft, die Ausbeutung bis in die letzte Verästelung der Verkehrsformen zur Grundlage hat. Trotz der kompromisslosen Härte kein pessimistischer Film, da er seinen Hauptfiguren moralische Integrität zugesteht und im Zuschauer humanistische Impulse auszulösen vermag. - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
IMPORT EXPORT
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Ulrich Seidl Film Prod.
Regie
Ulrich Seidl
Buch
Ulrich Seidl · Veronika Franz
Kamera
Ed Lachman · Wolfgang Thaler
Schnitt
Christof Schertenleib
Darsteller
Ekateryna Rak (Olga) · Paul Hofmann (Pauli) · Georg Friedrich (Pfleger) · Natalia Baranova (Olgas Freundin) · Susanne Lothar (Mutter)
Länge
141 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Alamode (1:1,85/Deutsch DD 5.1)
DVD kaufen

Diskussion
Ein Menschenfreund ist der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl sicher nicht. Wenn er seinen präzisen, gnadenlosen Blick auf die Verhältnisse wirft, zeigt sich schnell, dass die Menschen sich untereinander nicht freundlich gesonnen sind. Da geht es häufig um Ausbeutung und Gewalt, die Vergletscherung von Gefühlen, Rohheit und Gemeinheit. Seidl hat als kontrovers diskutierter Dokumentarist begonnen, der seinen Objekten mit Mitteln der bewussten Inszenierung Abgründe entlockte („Tierische Liebe“, fd 32 066), und dreht seit „Hundstage“ (fd 35 499) auch Spielfilme mit stark dokumentarischen Anteilen. Merkwürdigerweise ähneln sich beide Genres sehr, was darauf hinweist, dass Seidl sich die Welt nach seiner Façon zurechtbastelt; vielleicht bedeutet es aber auch, dass er die Condition humaine besser als andere Filmemacher in den Blick bekommt. Davon, dass er zumindest mutiger ist als die meisten seiner Kollegen, zeugt der mitunter grimmige Humor seiner Filme: Man lacht über das, was man sieht, und schämt sich zugleich dafür. „Import Export“ erzählt von zwei Reisebewegungen, von Ost nach West, von der Ukraine nach Wien, und umgekehrt. Es ist Winter. Man wird Zeuge der latent sadistischen Ausbildung von Security-Angestellten, besucht kurz die Kinderstation eines Krankenhauses, etwas länger eine Agentur für Internet-Sex, ein Trainingsseminar für Langzeitarbeitslose, die Todesstation einer geriatrischen Anstalt, eine Roma-Wohnsiedlung in der Slowakei und ein Intourist-Hotel in der Ukraine. Man erlebt eine endlose Folge von Erniedrigungen und Verletzungen. Der Tod, auf den die Alten im Pflegeheim warten, scheint tatsächlich eine Erlösung zu sein. Da ist die junge Krankenschwester Olga aus der Ukraine, die vor den erbärmliche Lebensumständen in ihrer Heimat nach Wien „flieht“ und dort einen Job als Kindermädchen bekommt. Sie ist eine billige Arbeitskraft, die in der Waschküche einen Schlafplatz zugewiesen bekommt, von den Kindern drangsaliert und von der Mutter argwöhnisch kontrolliert wird. Als sie beginnt, zu ihren Schützlingen ansatzweise eine emotionale Beziehung aufzubauen, wird sie entlassen. Wer Menschen einstellt, darf sie auch feuern – ganz einfache Regeln, erklärt die Mutter. Olga findet einen neuen Job in der geriatrischen Klinik, jetzt als Putzfrau. Wenn sie sich den Patienten zuwendet, wird sie gemaßregelt, weil Mitgefühl nicht in ihr Arbeitsfeld gehört. Da ist Pauli, ein Junge, der für seinen Job als Security-Mann ausgebildet wird, seinen Körper stählt und mit seinem Kampfhund seine Freundin erschrickt, der aber trotzdem bei der ersten Gelegenheit in seinem Job von einer Jugend-Gang erniedrigt und gedemütigt wird. Als er daraufhin seine Arbeit in einem Parkhaus verliert und keine neue findet, muss er an sinnlosen Bewerbungsseminaren teilnehmen, in denen man vor allem lernt, sich gefügig zu zeigen. Der Slogan lautet: „LMAA: Lächle mehr als andere!“ Pauli hat keine Perspektive, selbst sein schmieriger Stiefvater Michael kündigt ihm die Solidarität auf, will geliehenes Geld zurück. Schließlich muss er Michael bei einem neuen Job begleiten. Gemeinsam liefert man Automaten in der Slowakei und in der Ukraine aus. Eigentlich ein Kinderspiel, aber Michael denkt nur an das „Pudern“ junger Mädchen, die in Motels auf zahlungskräftige Kunden warten. Ein Road-Trip in eine unglaubliche soziale und psychische Verelendung beginnt. Seidl hat dieses bittere Stationendrama mit insistierender Konsequenz fixiert. Er erspart dem Zuschauer nichts und wählt bewusst „schöne“ Einstellungen für das Elend, das manchmal ins Groteske umschlägt, wenn die erniedrigten und beleidigten Figuren ihrerseits Hierarchien einklagen. Dann erlebt man Augenblicke endgültiger Wahrheit, wenn die Kamera beispielsweise registriert, wie Olga um ihre Würde zu kämpfen beginnt, wie Pauli die furchtbaren und furchtbar armseligen Machtspielchen des Stiefvaters nicht mehr erträgt. Hier arbeitet der Film mit subtilen Kontrapunkten, mit Figuren, die – vielleicht nur instinktiv, aber mit großer Wirkung – Lernprozesse durchlaufen. Widerstand fängt manchmal dort an, wo Menschen Verhaltensmuster durchbrechen, sich verweigern und sich einen risikoreichen, weil eigensinnigen Weg in eine (mögliche) Zukunft bahnen. So sitzt man im Kino – fassungslos und fasziniert – und sieht sich mit dem allumfassenden Schrecken konfrontiert, der noch die Erlösungssehnsucht der Alten in der geriatrischen Verwahranstalt zu einem obszönen, aber mitleidenden Konzert von Stimmen musikalisch arrangiert. Dann geschieht das Erstaunliche: Je länger man „Import Export“ sieht, desto klarer wird, dass Seidl von der Würde des Menschen erzählt und sein Film große Momente von Menschlichkeit in sich trägt, die sich in subtilen Nebensächlichkeiten, in Momenten der Entscheidungsfreiheit zeigen. Mit Pauli, dem man zunächst als borniertem, machohaftem Skinhead begegnet, hat Seidl sogar erstmals eine Figur, die eine positive Entwicklung durchmacht. Das ist die große Kunst des Ulrich Seidl: dass er zeigt, was man lieber nicht sehen möchte, eine Gesellschaft, die Ausbeutung bis in die letzte Verästelung der Verkehrsformen zur Grundlage hat – und dass er genau dadurch im Idealfall beim Zuschauer einen humanistischen Impuls erzeugt, der vielleicht nur darin liegt, dass man hofft, dass niemand derart abgestumpft sei, sich hier seinen voyeuristischen Kick holen zu wollen. Insofern ist „Import Export“ der bislang optimistischste Film Seidls. Er zeigt, dass nichts bleiben muss, wie es ist. Aber er zeigt auch, wie es ist.

Kommentieren