Drama | Frankreich/Schweiz 2007 | 85 Minuten

Regie: Jeanne Waltz

Eine verhärmte junge Krankenschwester mit Selbstmordabsichten verletzt mit einer Sportpistole einen aggressiven 14-jährigen Jungen und übernimmt widerwillig seine Pflege. Während des Heilungsprozesses kommen sich die beiden wesensverwandten einsamen Menschen näher. Die überzeugende Geschichte einer Selbstfindung und eines Neuanfangs in Form eines Kammerspiels, das von der außergewöhnlichen Präsenz seiner Hauptdarstellerin lebt und zugleich die überschaubare Handlung lakonisch und lebensnah erzählt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PAS DOUCE
Produktionsland
Frankreich/Schweiz
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Bloody Mary Prod./Prince Film
Regie
Jeanne Waltz
Buch
Jeanne Waltz
Kamera
Hélène Louvart
Musik
Cyril Ximenes
Schnitt
Eric Renault
Darsteller
Isild Le Besco (Fred) · Steven Pinheiro de Almeida (Marco) · Lio (Eugénia, Marcos Mutter) · Yves Verhoeven (Miguel, Marcos Vater) · Christophe Sermet (Freds Liebhaber André)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Eine Kleinstadt in der französischen Schweiz. Die junge Krankenschwester Frédérique, genannt Fred, steckt in einer Krise. Sie ist aggressiv, unzufrieden und unfähig, Gefühle zu zeigen. Als ihr Freund ihr zu verstehen gibt, dass er eine andere gefunden hat, sucht sie in einer Kneipe wahllos Kandidaten für einen One-Night-Stand. Einer der beiden Männer, mit denen sie gleichzeitig Sex hat, beklagt sich, sie sei „pas douce“, nicht zärtlich. Das einzige, was ihr dazu einfällt, ist ein sarkastisches Lachen. Da weiß man, dass es ihr längst egal ist, was andere über sie denken. Es gab Zeiten, da gewann Fred Pokale im Schießen und erfüllte damit die Ambitionen ihres Vaters. Irgendwann müssen sie sich entzweit haben, denn als sie sich einmal am Schießstand begegnen, tauschen sie nur eisige Blicke. Kurz danach beschließt Fred, sich im Wald zu erschießen. Doch bevor sie abdrückt, tauchen zwei streitende Jungen auf. Der eine schreit den anderen an, und dieser schießt ihm mit der Steinschleuder ins Gesicht. Fred gerät außer sich, ob aus Ungeduld oder Unrechtsempfinden, nimmt den Schützen ins Visier und schießt ihm ins Knie. Unter dem Eindruck ihrer Tat entscheidet sie sich fürs Weiterleben. Sie will ihre Schuld gestehen, und doch halten sie die Angst und Ohnmacht darüber, was sie getan hat, davon ab. Dass sie im Krankenhaus auf ihr Opfer trifft, macht ihre Situation nicht leichter. Zunächst lehnt sie es ab, den schwierigen 14-Jährigen zu betreuen. Marco ist ein Scheidungskind, dessen Aggressivität ihn für die Eltern unerreichbar macht. Er lässt die Mutter spüren, dass er sich von ihr im Stich gelassen fühlt, wie er ohnehin im Gegensatz zu Fred seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Als sie merkt, dass er ihr in seiner Widerspenstigkeit charakterlich ähnlich ist, erkennt sie die Chance, durch ihn wieder zurück ins Leben und zu den anderen Menschen zu finden. Beide öffnen sich allmählich und überwinden ihre Einsamkeit. Selbst als Marco herausfindet, dass Fred diejenige war, die ihn angeschossen hat, bleibt ihre Freundschaft nach kurzer Krise bestehen. Die eigenwillige Schönheit Isild Le Besco gibt mit einer umwerfenden Körperpräsenz die verhärmte junge Frau, deren Dasein von Sinnleere und Gefühlsarmut geprägt ist. Regisseurin Jeanne Waltz lässt ihre Heldin ihre innere Verwüstung mit wilden Fahrradfahrten bekämpfen, in einer spröden, rauen Berglandschaft, die stets menschenleer zu sein scheint. Auch Marcos zerfetztes Knie, das Fred verbinden muss, versinnbildlicht ihr angegriffenes Gewissen. Seine Pflege steht für den Heilungsprozess zweier Seelen, an dessen Ende die Wahrheit und die Hinwendung zum Leben folgen können. Das naturalistisch inszenierte Drama urteilt nicht über Fred, verweigert eine moralische Verurteilung. Es ist das faszinierende Porträt eines jungen Menschen, der stark und zugleich schwach ist, fast von einer romantischen Wut auf die Welt gefangen, rigoros in seinen Ansprüchen und auf der verzweifelten Suche nach einem Grund, seine Existenz fortzusetzen. Fred hat genug Gründe sich umzubringen, doch auch mindestens einen Grund mehr, Marco eine Lektion zu erteilen. Als ihr Gesicht zum Schluss eine erstaunliche Zartheit preisgibt, ahnt man, dass es sich nicht so schnell wieder verdunkeln wird. Das Erleben von Schuld, Verzeihen und Erlösung haben es paradoxerweise verjüngt und nicht verhärtet. Die Schönheit des Augenblicks, die lange in diesem überaus intensiven Film keinen Platz hatte, bestimmt die letzten Szenen. Als Fred gelöst und mit sich selbst versöhnt Polizeibeamte in ihre Wohnung führt, um ihnen die Tatwaffe auszuhändigen, ist das der Höhepunkt einer Selbstfindung, die so lakonisch, kontrovers und lebensnah lange nicht mehr erzählt wurde.
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