Mein Kind vom Mars

Literaturverfilmung | USA 2007 | 106 Minuten

Regie: Menno Meyjes

In einem Findelkind vom Mars sieht ein Fantasie begabter Science-Fiction-Autor nach dem Tod seiner Frau die Chance für einen familiären Neubeginn. Mischung aus stilisiertem Science-Fiction-Märchen und stimmungsvollem Vater-Sohn-Melodram. Die anrührende Geschichte über erzieherische Verantwortung vermeidet naheliegende Weihnachtsklischees und unterhält auch dank gut aufgelegter Darsteller vorzüglich. - Ab 10 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
MARTIAN CHILD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
New Line Cinema/Hannah Rachel Prod.
Regie
Menno Meyjes
Buch
Seth E. Bass · Jonathan Tolins
Kamera
Robert Yeoman
Musik
Aaron Zigman
Schnitt
Bruce Green · Valdis Oskarsdóttir
Darsteller
John Cusack (David) · Joan Cusack (Liz) · Bobby Coleman (Dennis) · Amanda Peet (Harlee) · Sophie Okonedo (Sophie)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10 möglich.
Genre
Literaturverfilmung | Melodram | Science-Fiction
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Warner (1:1,85/16:9/Deutsch DD 5.1/Engl.)
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Diskussion
Eigentlich pflegt der sechsjährige Waise Dennis ähnliche Gewohnheiten wie seine Altersgenossen. Akribische Sammelwut, ein neugieriges Fotografen-Auge und die Tendenz zum Herumhängen oder Verstecken in einem überdimensionalen Waschmaschinen-Pappkarton fügen sich zu einem exzentrischen, aber durchaus kindgerechten Verhaltensbild – ein oberflächlicher Eindruck, der indes täuscht. Wenn Dennis nämlich herumhängt, dann tut er dies wortwörtlich: kopfüber und stundenlang, von Balustraden, Klettergerüsten und Möbelstücken. Hunderte von Polaroids dienen ihm zum Einstudieren menschlicher Mimik, und seine ergaunerte Stichproben-Sammlung in Form von Schlüsseln, Pässen und Kleingetier nimmt sich neben dem Batterie-Blei-Hüftgürtel, der ihn vor der unzureichenden Erdschwerkraft beschützen soll, wenig absonderlich aus. Dennis kommt vom Mars. Auf der Erde befindet er sich nach eigenen Angaben nur auf Exkursion, und die ist befristet, was die Notwendigkeit menschlicher Umgangsformen zum Auffinden einer adoptierenden Ersatzfamilie oder gleichaltriger Freunde auf ein Minimum reduziert. Ins Abseits seiner fantasielosen Umwelt manövrierte sich auch der erfolgreiche Science-Fiction-Autor David Gordon von Kindesbeinen an, der nun, nach dem Tod seiner Frau, in der Adoption von Dennis die Chance zu einem familiären Neubeginn sieht. „Fragile – Handle with Care“ steht bezeichnenderweise auf dem Karton, der Davids zukünftigen Sohn beherbergt und durch dessen Griff-Aushöhlung sich im Vorgarten des Waisenhauses die erste Kontaktaufnahme zwischen Erd- und Marsbewohner vollzieht. Mithilfe von LSF45-Creme, Schirm und Brille gegen die allzu sonnige Sonne kann David das verschüchterte Kind schließlich dazu bewegen, seine Erderkundungen von einer größeren Box, nämlich seinem kantig-modernen Zuhause, aus zu unternehmen. In diesem behutsamen Zugeständnis an Dennis’ Psychose zeichnen sich zugleich die Erziehungskonflikte ab, mit denen sich der Witwer, der zwischen Empathie, Faszination und gesellschaftlich aufoktroyierter Negierung der kindlichen „Fantasiegebilde“ schwankt, bald konfrontiert sieht. Im Laufe der vorsichtigen Annäherung an sein kulleräugiges, beinahe autistisch anmutendes kindliches Pendant überkommen hingegen nicht nur den von John Cusack eindringlich als melancholisch-vereinsamten Single-Mann charakterisierten Autor Zweifel an der menschlichen Herkunft des selbsternannten Aliens. Die glaubwürdige Initiation einer grünen Ampelwelle oder eines Home-Runs beim Baseballstadion-Besuch sowie die marsianische Fähigkeit Farben zu schmecken – bis auf eine Blau-Geschmacksblindheit – lassen auch den Zuschauer lange Zeit im Ungewissen, ob er sich in einem abgehobenen Science-Fiction-Märchen oder einem bodenständigen Vater-Sohn-Melodram befindet. Die Verfilmung der autobiografischen Novelle „The Martian Child“ des Sci-Fi-Autors David Gerrold, dessen filmisches Alter Ego David Gordon anstelle der Fortsetzung seines Bestsellers „Dracoban“ (Harry Potter im All) die eigenen Erlebnisse mit dem Marskind niederschreibt, weiß Literatur und Film, Realität und Fiktion so zu verquicken, dass sich mit selbstironischen Seitenhieben die Adoptions- auch zu einer Adaptionsgeschichte wandelt. Wie Regisseur Menno Meyjes dem vorweihnachtlichen Set-Design mit blinkenden, sich bewegenden Rentieren und Weihnachtsmännern den verkitschenden Schnee vorenthält, so elegant umgeht er auch die Klischeeglätten, die diese Fabel über zwei Außenseiter, die sich gemeinsam aus dem Abgrund der Einsamkeit zu hieven versuchen, bereithalten könnte. Über drei Jahreszeiten hinweg wird die Frage nach erzieherischer Verantwortung, nach dem Verbiegungsgrad zugunsten sozialer Integration und nach kindlichen Verdrängungsmechanismen von leidvollen Erfahrungen aufgeworfen, in deren Beantwortung Meyjes’ Film besonders visuell die stärksten und anrührendsten Momente findet – wie im gemeinsamen MarsTanz mit abwechselnd erhobenen Zeigefingern im Seitwärtsschritt zu Gusters „You’re my Satellite“ oder Davids Sinnieren über Individuen und Universen auf einer Autofahrt, während der, ähnlich einer Sternreise, das vorbeirauschende Lichtermeer der Stadt in den regennassen Scheiben zu verschwimmen beginnt.
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