Mein Tod ist nicht dein Tod

Dokumentarfilm | Deutschland 2006 | 88 Minuten

Regie: Lars Barthel

In einer sehr persönlichen Filmerzählung rekapituliert der Filmemacher auf poetische und metaphorische Weise die Beziehung zu einer indischen Frau, beschwört gemeinsames Glück, erinnert sich an Schwierigkeiten und Trennung und betrauert ihren frühen Tod. Ein Film über Liebe, Verlust und die Kunst des Loslassens, der durch seine Offenheit und Nähe in Bann schlägt. Ohne Spur von Larmoyanz, ist er als (selbst-)therapeutisches Mittel des Regisseurs erkennbar. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Ö-Filmprod. Löprich & Schlösser/Kopp Film/ZDF
Regie
Lars Barthel
Buch
Lars Barthel
Kamera
Lars Barthel · Marcus Winterbauer · Mario Köhler · Felix Leiberg
Musik
Nikko Weidemann
Schnitt
Grete Jentzen
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Ein riesiges Frachtschiff steuert dem Ufer entgegen, sein Rumpf ist rostig. Das Meer rauscht, fast schon im Wasser liegen zwei Hunde; es ist nicht zu erkennen, ob sie schlafen oder tot sind. Die sepiagetönten Bilder flackern ein wenig, das Filmmaterial ist fast 20 Jahre alt. Es sind Bilder des Abschieds, Bilder von letzten Tagen. Aber das ist am Anfang von Lars Barthels Filmerzählung noch nicht klar; denn nach dem Schiff und den Hunden beginnt Barthel ganz von vorn, da, wo alles anfing. Seine Frau Chetna hat er 1975 an der Filmhochschule der DDR, in Potsdam-Babelsberg, kennen gelernt, sie studierte dort Regie und war gerade 18 Jahre alt. Er studierte Kamera. Die beiden verliebten sich, Chetna wurde schwanger. Sie war wunderschön, mit kurz geschnittenem Haar und großen Augen, auch das zeigen alte Fotos und Filmmaterial aus Kameraübungen. Es geht aber nicht einfach um ein Porträt oder die Geschichte einer Liebe. Es geht um alles in Barthels überreichem Filmessay: Liebe, Tod, Trauer, Verlust, Politik, die Kunst des Loslassens und nicht zuletzt um das Kino, das Filmemachen. Chetna starb 1987 in Indien, beide hatten dort zusammen einen letzten Film gedreht. Nun tritt Barthel in seinem sehr persönlichen Film in einen posthumen Dialog mit seiner Frau. Es ist ihm Erfüllung eines Auftrags: ihre Asche zu suchen, die er, statt sie nach indischer Sitte im Wind zu verstreuen, an drei verschiedenen Stellen vergraben hat, jeweils mit einen Baum gekennzeichnet. In einem poetischen und zugleich präzisen, jede Nuance an Gefühlen und Zweifeln treffenden Text erzählt Barthel – meist eben in dialogischer Form – von seiner Trauerarbeit und seiner Reise, zurück in die Erinnerung und nach Indien. Seine Reflexionen sind von schonungsloser Ehrlichkeit, dabei nie exhibitionistisch. In einer so vielschichtigen wie vorsichtigen Annäherung umkreist er seine Erinnerungen, ergänzt durch das Foto- und Filmmaterial und Gespräche, zum Beispiel mit Chetnas Eltern: ihr Vater ein intellektueller Kommunist, der aus Liebe eine Frau aus einer niedrigeren Kaste heiratete. Sechs Jahre hat der Kameramann an seinem ersten Film gearbeitet, er spricht von der Biografie als „tückischem Material“. Die ungewöhnliche Form, für die er sich entschied, ist seiner Suche, seinem Versuch angemessen. Seine Doppelrolle als Beobachter und Beobachteter wird in Spiegelungen und Bildmetaphern aufgelöst; im Gespräch mit einem Freund sieht man ihn in einer langen Einstellung selbst im Spiegel. Mit diesem Freund paddelt er zu Beginn auf dem Fluss bei der Filmhochschule, filmt die sanft bewegte Wasseroberfläche; beide baden, während sie über Barthels Verlust und sein Vorhaben sprechen: als Teil der komplexen Wassermetaphorik im Film – in Indien werden die Toten am Flussufer kremiert – ein unangestrengter Verweis auf die erhoffte kathartische Wirkung des Projekts. Nach glücklichen Tagen in Brandenburg und der Geburt der gemeinsamen Tochter heiraten die beiden 1981 – das ist der „Freibrief zur Ausreise“ aus der DDR. Zur DDR, die aus diesem radikal subjektiven Blickwinkel fast ebenso fremd erscheint wie Indien, haben sie ein zwiespältiges Verhältnis. In den Worten, die Barthel für Chetna findet: „Indien kannten sie nur aus dem Märchen. Vielleicht waren sie deshalb so freundlich zu mir.“ An einer Stelle wirft sie ihrem Mann vor, er habe eine „Zonenzwangsbindung“ an sie entwickelt. Der Konflikt deutet sich an, Barthel will nach Indien, Chetna nach West-Berlin. Sie müssen ein Jahr auf die Ausreise warten, danach gehen sie doch nach Indien, die Beziehung wird zunehmend schwieriger. Chetna wirft ihrem Mann vor, dass seine Liebe sie erdrückt, er nicht loslassen könne. Sie kehren nach Berlin zurück, jetzt in den Westen, Chetna verlässt Barthel Hals über Kopf. Sie wird manisch depressiv, kommt zu ihm zurück, doch nichts ist wie zuvor. Wieder gibt es Filmaufnahmen, die ihren Wandel zeigen. Noch einmal gehen sie gemeinsam nach Indien. Aus ihrem letzten Film stammen die Bilder vom indischen Schiffsfriedhof. Als sich der gigantische Körper aus rostigem Eisen dem Ufer nähert und die Bugwelle auf den Strand schwappt, springen die Hunde auf, schütteln sich und laufen aus dem Bild.
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