Into the Wild

Drama | USA 2007 | 148 Minuten

Regie: Sean Penn

Ein junger Mann wandelt auf den Spuren der amerikanischen Romantik, um auf einer zweijährigen Wanderung durch die USA zu sich selbst zu finden. In Alaska scheint er seinen Träumen nahe zu kommen und stapft entschlossen in den endlosen Schnee. Die in biografische Kapitel eingeteilte Verfilmung eines Tatsachenberichts steht in der Tradition des amerikanischen Philosophierens und beschwört die letzte Grenze, die im Innern des Menschen liegt. Der interessante Film verzichtet auf jede kritische Distanz zu seinem Helden, wobei einige Regieeinfälle bisweilen irritieren. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
INTO THE WILD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Paramount Vantage/River Road Films/Art Linson Prod./Into The Wild/River Road Ent.
Regie
Sean Penn
Buch
Sean Penn
Kamera
Eric Gautier
Musik
Michael Brook · Kaki King · Eddie Vedder
Schnitt
Jay Lash Cassidy
Darsteller
Emile Hirsch (Christopher McCandless) · Marcia Gay Harden (Billie McCandless) · William Hurt (Walt McCandless) · Jena Malone (Carine McCandless) · Brian Dierker (Rainey)
Länge
148 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. zwei Kurzdokumentationen zum Film (22 & 17 Min.).

Verleih DVD
Tobis/Universum (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Dem großen Weltflüchtling Henry David Thoreau lauerten überall Gefahren. Im Läuten der Glocken, im Getöse der Fabriksirenen und nicht zuletzt im Ruf zu Tisch hörte er die Missklänge der Zivilisation. Wie Odysseus wollte er ihnen widerstehen und beschwor seine Leser, sich vor den „schrecklichen Stromschnellen, dem Wirbel, der Mittagessen heißt“ zu hüten. In Sean Penns Film „Into the Wild“ verhallt die Warnung nicht ungehört. Da sitzt ein frisch gebackener College-Absolvent mit seinen feierlich gestimmten Eltern im Restaurant, doch noch ehe der erste Gang vorüber ist, wird das Gefälle zwischen den Generationen zum reißenden Strom, und die Festtagsstimmung geht dahin. Die Untiefen des bürgerlichen Lebens sind dem jungen Mann ein ebensolcher Graus wie seinem philosophischen Ziehvater Thoreau, und so beschließt Christopher McCandless, auf den Pfaden der amerikanischen Romantik zu sich selbst zu finden. Statt eines Jura-Studiums tritt er eine Pilgerreise an, zerschneidet Ausweis und Kreditkarte und spendet das elterliche Studiengeld an eine wohltätige Organisation. Zwei Jahre lang wandert er kreuz und quer durch Nordamerika, findet Freunde und manchmal eine Bleibe, doch immer zieht es ihn weiter fort ins Unbekannte. In den Tiefen Alaskas scheint er schließlich seinen Träumen nah: Auf sich allein gestellt, stapft er in den endlosen Schnee, ein Einheimischer leiht ihm zum Abschied seine Schuhe. „Bring sie zurück“, sagt er, „wenn du lebend wiederkehrst.“ Alaska ist nicht nur das Ziel von McCandless’ Reise, sondern auch der Ruhepunkt des Films. Während sich der Aussteiger in der Wildnis einrichtet, einen ausgemusterten Schulbus als Zuflucht nutzt und zuletzt ums nackte Überleben kämpft, sieht man seiner in biografische Kapitel wie „Geburt“, „Mannesalter“ oder „Weisheit“ eingeteilten Bildungsreise zu. Sie führt durch eine immer noch erstaunlich offene Landschaft und immer wieder an markante Orte der amerikanischen Gegenkultur. Eine Weile findet McCandless Unterschlupf bei einem Hippie-Pärchen und wappnet sich mit priesterlicher Strenge gegen gutes Zureden und familiäre Nähe. Doch so oft er betont, das Glück liege abseits der menschlichen Gesellschaft, so oft scheinen ihn seine wechselnden Begleiter durch ihre Zuneigung und Güte widerlegen zu wollen. „Into the Wild“ beruht auf Jon Krakauers gleichnamigem Tatsachenroman, in dem der Autor Leben und Sterben des bei seinem Tod erst 24-jährigen Christopher McCandless rekonstruiert. Wie das Buch steht die Verfilmung in der großen Tradition amerikanischen Philosophierens, einer Beschwörung der letzten Grenze, die schon bei Thoreau nicht mehr auf der Landkarte zu finden ist, sondern im Innern des Menschen liegt. Nach der Eroberung des Westens wird die Entdeckung des wahren Selbst zur letzten Pioniertat. Auch McCandless trägt die Sehnsucht nach der charakterbildenden Einsamkeit im Herzen und findet in Sean Penn eine verwandte Seele. Allerdings wird in dessen schwärmerischer Abenteuergeschichte niemals deutlich, was dem Betrachter Thoreaus radikales Lebensexperiment heute noch zu sagen hat. Die vielfältigen Begegnungen mit der Hippie-Kultur legen ein Lehrstück über den Alltag utopischer Entwürfe nahe, doch dann hintertreibt Penn diesen Ansatz wieder, indem er McCandless’ Wanderjahre wie einen Rachefeldzug gegen seine Eltern erscheinen lässt. Während sich Penn inhaltlich penibel an die Fakten hält, nimmt er sich stilistisch alle Freiheiten: Die Erzählung springt vor und zurück, Tagebuchnotizen ziehen über die Leinwand, und für McCandless’ Familiengeschichte zaubert Penn eine eigene, ziemlich altkluge Erzählerin aus dem Hut. Überhaupt kann man einige Regieeinfälle nur für gründlich misslungen halten, insbesondere wenn sich zur rebellischen Grußkarten-Weisheit die entsprechende Bildsprache gesellt. Vielleicht fühlte sich Penn vom energischen Idealismus seines Helden einfach zu sehr angezogen, um dessen Wegen nicht auch dann noch mit Hingabe zu folgen, wenn sie in die Irre führen. Auf diese Weise hält er den inspirierenden Funken der Romantik immerhin eine Weile am Leben. Das ist nicht wenig, aber es ist nicht genug.
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