Der Italiener (2005)

Drama | Russland 2005 | 99 Minuten

Regie: Andrej Krawchuk

Als ein sechsjähriger Waisenjunge von einem italienischen Ehepaar adoptiert werden soll, flüchtet er aus dem tristen Heim und begibt sich auf eine mühevolle Odyssee, um seine leibliche Mutter zu suchen. Beklemmend düster beschreibt der virtuos inszenierte Film eine herzlose, korrupte russische Gegenwartswelt. Nur im Blick und der Haltung des Kindes bündelt sich die unzerstörbare Hoffnung auf eine Rückbesinnung auf Menschlichkeit und Solidarität. Kein „Kinderfilm“ im üblichen Wortsinn, sondern vielmehr ein Film mit Kindern und über Kinder als wertvolles Versprechen für eine bessere Zukunft. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 10.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ITALIANETZ
Produktionsland
Russland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Lenfilm/Tulos Cinema
Regie
Andrej Krawchuk
Buch
Andrej Krawchuk
Kamera
Alexander Burow
Musik
Alexander Knaifel
Schnitt
Tamara Lipartija
Darsteller
Kolya Spiridonow (Vanya Solntsew) · Mariya Kuznetsowa (Madame) · Nikolai Reutow (Grisha) · Yuri Itskow (Schuldirektor) · Andrej Yelizarow (Timokha)
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Drama

Heimkino

Verleih DVD
absolut (1.66:1, DD2.0 russ.)
DVD kaufen

Diskussion
Kinder, die für Dollars verkauft werden: Mt unserem Land geht es bergab“, seufzt resigniert ein alter Mann, Wärter in einem Waisenhaus. Aus einem solchen heruntergekommenen Ort, der keine Zuneigung und Wärme kennt, ist der sechsjährige Vanya geflohen – obwohl er als „Auserwählter“ eigentlich die Chance auf ein „besseres Leben“ bekommen hatte: Ein italienisches Ehepaar, reiche, naive und ahnungslose Ausländer, tauchten eines Tages im tiefsten Winter in der verschneiten Einöde auf, um ausgerechnet ihn für die Adoption auszuwählen – für viel Geld, das eine geschäftstüchtige „Vermittlerin“ einstecken wird, die sich nicht dafür interessiert, woher die Kinder und Jugendlichen kommen, welches Schicksal sie erfahren haben. Doch Vanya, für sein Alter bereits viel zu erfahren und ernüchtert, stellt sich Fragen: „Hat man mich verloren oder verlassen? Was geschieht, wenn mich meine echte Mutter holen kommt und ich nicht mehr da bin?“ Seine zwar kindliche, aber gleichwohl unbeugsame Art, gegen alle Rückschläge anzugehen, Schmerz und Leid ebenso zu ertragen wie Angst und Hunger, weckt die Solidarität der anderen Heimkinder, die sich ihrerseits im Überlebenskampf organisiert haben und ihm immer ein Stück weiter zu Erkenntnis und Flucht verhelfen – zur Suche nach seiner wahren Mutter, während sich die „Vermittlerin“ gnadenlos an seine Fersen heftet und alles aufbietet, was man mit Geld kaufen kann, um den Ausreißer wieder einzufangen. Beklemmend düster beschreibt „Der Italiener“ eine korrupte und desillusionierte russische Gegenwartswelt, die man kaum ertragen könnte, würde sie nicht von Vanyas offenem Gesicht, seiner Hoffnung und seiner Unvoreingenommenheit im Blick auf die „geheimnisvollen Geschöpfe, die man Menschen nennt“ (wie man es ihm aus dem „Dschungelbuch“ vorgelesen hat), aufgehellt, ja geradezu überstrahlt. Behutsam spielt der Film mit Symbolen wie dem permanenten Blick der Kinder aus den Fenstern auf eine Welt, von der sie ausgeschlossen sind, oder dem Wortspiel mit der „Endstation“, an die man allzu schnell geraten kann und wo sich sogar eine Frau, deren Sohn bereits verschachert wurde, umbringt. Die erschütternde und vermeintlich unveränderbare Tristesse im Kinderheim verdichtet der meisterhaft inszenierte Film zu einer tarkowskijschen Elegie, ohne dabei je den präzisen analytischen Blick auf die Ausbeutungsmechanismen einer herzlosen, inhumanen Gesellschaft zu schwächen. Die Heimkinder sind lediglich eine Ware im lukrativen Geschäft mit der Adoptionsvermittlung ins Ausland, dem sich Vanya zunächst intuitiv, dann immer bewusster widersetzt. Statt sich zu freuen, dass er bald ein „Italiener“ wird, sucht er unbeirrt seine leibliche Mutter, was eine mühevolle, schmerzvolle und entbehrungsreiche Odyssee auslöst, mit der sich der Film zum spannenden Road Movie auf den Pfaden einer seelisch wie moralisch heruntergekommenen, an Werten armen russischen Gegenwart wandelt. Mag die Realität dabei aber auch noch so ernüchternd sein: Gegen jede Vernunft will der Film nicht resigniert beigeben, saugt vielmehr die wenigen Gesten der Gemeinschaft und Solidarität förmlich auf und verdichtet die Suche des blonden, hübschen Jungen zur vehement geführten, „störrischen“ Utopie, die für eine Rückkehr ins Leben, für die in seinen Augen immer noch mögliche Rückbesinnung auf Menschlichkeit eintritt – für die Rück- und Umkehr eines ganzen Landes. Am Ende bleibt Vanyas ungebrochener, zuversichtlicher Blick aus einem verwundeten, schmutzigen Gesicht. „Junge, suchst du mich?“, fragt seine ahnungslose Mutter, die man nur aus dem Off hört. Woraufhin, ebenfalls aus dem Off, ein Brief Vanyas an seinen Freund verlesen wird, der in die Zukunft und ein mögliches besseres Dasein blicken lässt. Wer mag da noch von „Kinderfilm“ sprechen? Dabei ist es im besten Sinne des Wortes einer: ein Film mit Kindern und über Kinder, aber bei weitem nicht nur für Kinder.
Kommentar verfassen

Kommentieren